Lou Reed: Der Rockaholic
Ein Platz im Rock-Olymp ist ihm schon seit den Tagen von Velvet Underground sicher. Trotzdem macht Lou Reed (54) munter weiter.
Sie gelten als der große Perfektionist In der Rockuene – ist dieser perfektionistische Anspruch eine Frage des Alters?
In meinem Falle schon, ja. Ich machte mich in den späten 70er Jahren auf die Suche nach dem perfekten Klang – was immer das bedeuten mag. Zuvor war ich in erster Linie an Drogen, Irrsinn und dem ganzen dämlichen Rock’n’Roll-Lifestyle interessiert. Danach wurde ich clean, weil ich ansonsten hopps gegangen wäre und suchte eben nach neuem Irrsinn. So kam ich darauf,dem perfekten Klang, dem perfekten Album nachzujagen. Das ist auch eine Art zu überleben.
Im Laufe Ihrer langen Karriere haben Sie In Interviews immer wieder gern behauptet, daß Rock’n’Roll für Sie nicht einfach nur Musik ist…
Sondern?
…sondern auch ein Lebensstil, dem Sie zu 100 Prozent frönen. Sind Sie nach wie vor der Rock’n’Roller par excellence?
Klar, auch wenn ich dadurch einer aussterbenden Spezies angehöre. Wer traut sich denn heute noch zu behaupten: „Ich nehme mir jegliche Freiheit! Ich bin gegen die anderen! Ich bin ein Individualist!“ Das ist es, was für mich Rock’n’Roll als Lebensstil ausmacht – anders zu sein als die anderen, etwas darzustellen. Und weil ich so bin, habe ich kein Problem damit, wenn man mich weiterhin als Rock’n’Roller hinstellt. Das ist ein Kompliment für mich.
Wobei sich Ihre Einstellung gegenüber dem Rock’n’Roll im Laufe der Jahre ganz offensichtlich verändert hat.
Inwiefern?
Sie haben einst behauptet, daß der Rock’n’Roll als Lebensstil Sie In den 60er und 70er Jahren beinahe zerstört habe, in den 80er und 90er Jahren hingegen eine Art Heilung gewesen sei.
Wer soll das gesagt haben?
Sie selbst!
Ich gebe nichts auf Second-Hand-Informationen aus meiner Vergangenheit. Ich habe garantiert eine Menge Müll geredet in früheren Zeiten. Jedenfalls wäre es dumm von mir gewesen zu behaupten, daß Rock’n’Roll jemanden umbringen oder heilen kann. Beides mußt du schon selbst hinkriegen. Auch ein Baptist wird sicher nicht behaupten, daß die Tatsache, Baptist zu sein, ihn umbringt oder erlöst. Er kann nicht die Probleme seiner Existenz dem lieben Gott in die Schuhe schieben. Man kann nicht immer andere für den eigenen Schrott verantwortlich machen. Nun, mein Gott heißt Rock’n’Roll. Und ich werde den Teufel tun, ihn um irgendwas zu bitten oder ihn zu diskreditieren. Rock’n’Roll ist einfach nur eine diffuse Kraft, die im Leben mancher Leute etwas auslösen kann. Und in meiner Religion ist es nun mal das Wichtigste, ordentlich Gitarre spielen zu können.
Und gute Texte zu schreiben.
Das kann zumindest nicht schaden.
Wobei in Ihrem Falle die Entwicklung beim Texteschreiben sehr spannend verlaufen ist. Während Sie in den 70er und 80er Jahren ein sezierender Beobachter und Analytiker der Gesellschaft waren, haben Sie sich auf den letzten beiden Alben doch sehr die intime Nabelschau beschränkt.
Ich bin in meiner Arbeit immer nur den Themen nachgegangen, die mich im Moment interessiert haben. Und das war in den letzten Jahren eben eher die Selbstreflektion. Doch dieser Anspruch kann sich schon in kürze wieder ändern. Das ist ja das Gute daran, wenn man Künstler ist: Man kann bei diesem Job radikal egoistisch sein und muß sich vor niemandem für seine Arbeit rechtfertigen. Du mußt einfach nur die Fähigkeit besitzen, etwas Wesentliches zu erkennen und es zu Kunst umzuformen. Doch um auf Ihre Frage zurückzukommen. Ich habe jetzt wirklich noch keine Ahnung, worüber ich auf meinen kommenden Platten singen werde.
Was haben wir denn musikalisch zu erwarten? Angeblich wollten Sie ja schon mit „Magic And Loss“ Ihre introspektive Phase abschließen, um sich fortan wieder dem rohen Rock’n’Roll zuzuwenden.
Wie gesagt, mein Geschwätz von gestern interessiert mich nicht. Ich werde auf meiner nächsten Platte genau das realisieren, wozu ich Lust habe. So habe ich es stets gehalten.
Ist es nach einer so langen Karriere nicht schwer, ständig weiterzukomponieren?
Nein, warum? Ich habe doch sonst nichts zu tun.