Machtspielchen


Während Cartel mit ihrem Debüt in Deutschland vor allem bei türkischen Jugendlichen einen beachtlichen Erfolg erzielen konnte, schlug die Formation in der Türkei selbst ein wie eine Bombe. Nicht einmal drei Monate ist der erste Longplayer der Gruppe hier auf dem Markt, und schon zählen Cartel zur ersten Liga türkischer Erfolgsmusiker. Ganz klar: die Rapper aus Kiel, Nürnberg und Berlin sind im Heimatland ihrer Eltern die Shooting Stars des Jahres. Die erste Tour durch die Sportarenen des Landes war ausverkauft, 300.000 Kassetten (Doppelplatin!) wurden bislang verkauft und machen das Erstlingswerk zur meistverkauften Importplatte der türkischen Geschichte. Cartel stellen für den türkischen Musikmarkt in mehrfacher Hinsicht ein Novum dar. Zum einen steckt die HipHop-Szene dort noch in den Kinderschuhen, eigene Acts gibt es nicht. Zum anderen stellen die Cartel-Mitglieder, auch wenn sie in Deutschland —wo sie auch geboren sind — wohnen, Identifikationsfiguren für türkische Jugendliche dar. Sie treten, ungewohnt für türkische Popstars, ungeschminkt auf und sagen in ihren Texten offen, was ihnen nicht paßt. Doch der plötzliche Erfolg bringt auch Probleme mit sich. Stärker als in Deutschland stehen sich in der Türkei konkurrierende Gruppen aus dem Musikbusiness, der Presse und Politik offen gegenüber. Und wer sich für einen Partner entscheidet, spricht sich gleichzeitig gegen einen anderen aus. Während Cartels Plattenfirma Raks und der Konzertveranstalter Ahmet San eine Quasi-Monopolstellung inne haben, sind die Rivalitäten in anderen Bereichen ungleich größer. Seitdem beispielsweise die überregionale Tageszeitung Sabah Cartels Konzerte sponsert und die Gruppe auf ihren Titelseiten featuret, reagiert das Konkurrenzblatt Hürriyet mit erfundenen Stories, um der Band ein schlechtes Image zu verpassen. Auch politische Gruppen versuchen, das Cartel für ihre Zwecke einzuspannen. Und das, obwohl sich die Musiker aus politischen Diskussionen, die die Türkei betreffen, betont heraushalten. Schon als die Band zu ersten Interviews im Sommer diesen Jahres an den Bosporus reiste, wurde sie am Flughafen von der rechtsradikalen Organisation Die Grauen Wölfe begrüßt. Die türkische Ausgabe der Zeitschrift Tempo erstellte sogar eine Fotomontage, die das Cartel mit dem Führer der Partei zeigte. „Wir können niemandem mehr vertrauen“, klagt Erci E., „außerdem können wir das Geschehen nur schlecht kontrollieren, weil wir eben in Deutschland leben.“