Manfred Mann
Würde man eine Wahl des ehrenwertesten Rockmusikers veranstalten, Manfred Mann befände sich gewiß im engsten Siegerkreis. Doch auch bei konkreteren Auswahlkriterien könnte er manchen Vogel abschießen:
Kaum einer scheint ehrlicher und selbstkritischer zu sein; kaum einer verfügt zugleich über derart erstaunliche wie geschickte Instrumentalfertigkeiten – die Integration des Synthesizers in die erdverbundene Rockmusik (im Gegensatz zum Space-Rock) ist besonders sein Verdienst. Und noch was: länger als zum Beispiel die Beatles ist MM auch schon im Geschäft.
Ein Ende der Karriere aber ist nicht absehbar.
Anfangs fragten wir uns jedesmal, wieso wohl ein Deutscher namens Manfred Mann in die englische Hitparade gelangen konnte. Später dachten wir, er sei wohl doch ein Engländer, vielleicht von deutscher Abstammung? Doch schlußendlich war er nichts von allem, sondern Südafrikaner, am 21.10.1940 in Johannesburg als Mike Lubowitz geboren. Und demgegenüber klang der Künstlername Manfred Mann zwar nicht genial, aber schon merklich besser.
Heute bereitet es selbst Dreißigjährigen schon etliche Mühe, sich der Anfänge richtig zu entsinnen. Denn Manfred Mann begann noch früher als Beatles oder Stones, genauso früh wie die Beach Boys, also 1961. Damals schickte sich in Südafrika ein gewisser Howard Carpendale an, ein bißchen berühmt zu werden, was ihm dann in der BRD noch besser gelang. Ein noch gewisserer Mickie Most tingelte mit eigener Rockcombo durch jenes Land, bevor er nach England zurückkehrte und dort mit dem RAK-Plattenlabel und unzähligen Produktionen Weltruhm erlangte.
Manfred Mann war von Hause aus Jazzer, was erstens geringe Gagen, zweitens eine elitäre Fan-Gemeinde und drittens mäßige Popularität bedeutete. Also wanderte MM nach London aus, das damals eine in wahrlich allen Farben schillernde Musikszene besaß, vom Kommerz noch relativ unberührt. Und sogar für Jazzer gab’s da einigermaßen lohnende Auftrittsmöglichkeiten -Ken Colyer, Chris Barber, Kenny Ball und Acker Buk fühlten sich mit ihrem Zicken-Jazz (‚tschuldigung: Dixieland-Traditional) jedenfalls äußerst wohl. MM nahm das Angebot an, in einem Ferienlager allabendlich aufzuspielen und gründete deshalb mit Mike Hugg (dr, vib), Mike Vickers (sax, fl, g) und Dave Richmond (bg) die Mann-Hugg Blues Brothers, die trotz ihres Namens Jazz spielten. Offenbar geriet die Sache so erfolgreich, daß das Quartett beisammenblieb und sich fortan durch die eminent lebendige Clubszene wühlte.
Damals schien musikalisch alles möglich, sogar nebeneinander. 1962 im Ealing Club konnte man einen P.P. Bond (P.P. gleich ‚permantly pissed‘), später Paul Jones geheißen, neben einem Brain Jones erleben, aus dem Stegreif Evergreens singend. Beide traten zugleich mit einer Band namens The Roosters auf, bis dann Jones zu den Rolling Stones wechselte und von Eric Clapton ersetzt wurde. Am Baß bei den Roosters: Tom McGuiness, später Bassist bei Manfred Mann.
Und während aus Liverpool die ersten Zeichen des Mersey-Ansturms drohten und sich in Newcastle ein Eric Burdon erste Meriten ergröhlte, wogte in London ein Kampf um die Vorherrschaft bei den Rhythm & Blues-Bands. Die Frage lautete: Entweder die Stones mit Jones und Jagger oder die Yardbirds mit Keith Reif und Eric Clapton. Die Yardbirds besaßen mit Julie Driscoll die weitaus fähigere Fan-Club-Sekretärin, doch die Stones in Andrew Oldham den gewiefteren Manager und mit Jagger den charismatischeren Sänger. Die Stones gewannen, wie man weiß. Was aber nebenbei immens wichtig war: Dieser Kampf sowie die Existenz weiterer guter R & B-Bands wie Graham Bond Organisation, Long John Baldry’s sowie alle Alexis Korner-Ableger inklusive John Mayall (der puren Blues spielte) lenkten die Augen und Ohren auf eine Spielart, die nicht so geziert und akademisch wie Jazz klang, sondern weit mehr zum Mitrocken einlud: Rhythm & Blues made in England. Unglücklicherweise geriet die dynamischste und fähigste R & B-Band, die Yardbirds, ins Pop-Fahrwasser und löste sich nach Umbesetzungen und langen Querelen, an denen auch der zuvor genannte Mickie Most beteiligt war, vorläufig auf. Um dann 1968 unter dem neuen Namen Led Zeppelin wie derauf zustehen.
Die gesamte R&B-Chose war 1966 weitgehend gelaufen, jedenfalls an der Oberfläche. Die Stones waren längst Pop, Eric Burdon träumte von Flower Power, und gelegentliche Rückgriffe auf den R & B, am besten von der Spencer Davis Group, waren nur noch kleiner Teil innerhalb einer breitgefächertern, ungemein aufstrebenden Szene. Ach ja, und unser Manfred Mann mischte auch mit. Der schlaue Fuchs hatte mit das Klügste gemacht, was in solchem Wirrwarr möglich war: 1963 hatten die Mann-Hugg-Blues-Brothers auf Druck der EMI-HMV, ihrem ersten Plattenlabel, ihren Namen in schlicht Manfred Mann geändert und statt Dave Richmond den Ex-Rooster Tom McGuiness als Bassist engagiert. Sänger wurde Paul Pond alias Paul Jones, ein bubihaft anzuschauender Jüngling mit gelegentlich narzistischen Anflügen. Und: Manfred Mann hatte sein Repertoire zu zwei Dritteln in R & B umfunktioniert.
Speziell auf den LPs stellten er und die Band eine extrem saubere Variante der ursprünglich negroiden Musikform vor nicht so verschwitzt wie Jagger, Burdon und Konsorten. Zunächst klang das zwar weit weniger ‚echt‘, aber andererseits spiegelten ja auch die Kollegen bloß Echtheit vor: Die meisten Frührocker sangen von Ghetto und Gehtnichtmehr, entstammten jedoch gutsituierten Mittelklasse-Familien. Insofern trat also MM ehrlicher auf: Er versuchte erst gar nicht die Mimikry des scheinbaren underdogs. Was auch wenig Zweck gehabt hätte. Denn damals wie heute zählt das Aussehen einer Band oder mindestens ihres Sängers ganz erheblich, wenn es um Erfolg oder Mißerfolg geht. Und die frühen Manfred Manns wirkten unter all den rüden Rockern echt ordentlich, oder besser noch: wie jazz-gemäße Intellektuelle, mit Hornbrille und Akademiker-Bart – jedenfalls noch harmloser als die schon netten Jungs von den Beatles.
Der rasche Erfolg der Manfreds war umso erstaunlicher, als sie eine zweispurige Karriere anpeilten, die nach den üblichen Regeln des Showbiz scheitern mußte: Auf LP brachte die Band relativ anspruchsvolle R & B- oder Jazz-Songs, oft mit richtig schwierigen Soli. Doch auf Single benahmen sie sich plötzlich wie eine Teeny-Horde, die wahlweise „Sha La La“, „Do Wah Diddy Diddy“ oder „Five, Four, Three, Two, One“ skandierte. Man stelle sich heutzutage vor, beispielsweise Abba würden neben ihren Single-Hits die Langspielplatten mit Jazz-Rock vollspielen. Undenkbar!
Nicht so bei unserem Fuchs Manfred, der oft besser durchblickte als die meisten anderen. Sein zweigleisiges Konzept erwies sich als genau richtig in einer Zeit, in der jedermann, der mehr als fünf (!) LPs besaß, schon als reicher Experte galt. Musikgeschäft war damals identisch mit Singleverkauf, und alle Bands ließen zwei, drei Singles anlaufen, preßten diese dann einschließlich der B-Seiten nochmals auf eine große Platte, die sie mit einigen weiteren Songs streckten und dann Long Playing Record, kurz LP nannten. Und nicht alle Leser werden sich daran erinnern, daß noch Ende der Sechziger ein Doppelalbum im Laden bis zu DM 42,- kostete (was heute wohl DM 60,- wären). Ganz im Gegensatz zur momentanen LP-Flut war man damals mit monatlich drei oder vier Alben ziemlich umfassend informiert…
Manfred Mann hatte dies alles voll im Griff. Zwei Anläufe fielen zwar zunächst 1963 unter den Tisch: „Why Should We Not?“ und „Cook-A-Hoop“. Doch dann gelangen ihm 1964 bis 1969 insgesamt 15 Hits, darunter alberne Songs wie „5,4, 3,2,1“ und „Hubble Bubble Toil And Trouble“, die jedoch als Erkennungsmelodie der britischen TV-Serie „Ready Steady Go“ bekannt und Hits wurden. Und dann im Sommer ’64 „Do Wah Diddy Diddy“ – beiderseits des Atlantiks ein Nr. 1 -Hit. Gewiß Leichtgewichts-Pop, aber gekonnt und ungemein eingängig, wie auch die berühmten Nachfolger „Sha La La“, „Oh No Not My Baby“, „If You Gotta Go, Go Now“, „Pretty Flamingo“, „Mighty Quinn“.
Mit der Zeit wurden die MM-Hits bei sparsamer Instrumentierung immer ausgefeilter, siehe und höre „Semi-Detached Suburban Mr. Jones“, „Ha Ha Said The Clown“ oder „My Name Is Jack“. Zwischenzeitlich konnte sich MM sogar Mißerfolge leisten („So Long Dad“) und galt trotzdem hinter unantastbaren Größen wie den Beatles und den Stones als der Hauptmacker der englischen Szene. Selbst Bob Dylan äußerte sich lobend über MM’s Adaption seiner Songs. In der Tat, Manfred zeigte ein deutliches Faible für Dylan-Songs: „With God On Our Side“, „Mighty Quinn“, „Just Like A Woman“, „If You Gotta Go, Go Now“, später auch noch „Father Of Day, Father Of Night“, „You Angel You“, „It’s All Over Now, Baby Blue“, „Please Mrs. Henry“ – niemand wußte relativ anspruchsvolle Komponisten wie Dylan, aber auch Bruce Springsteen, RandyNewman oder Joan Armatrading besser, pop-näher zu interpretieren als MM. Dieses Talent hat Manfred durch all die Jahre glänzend bewiesen.
Daneben zehrte MM bis heute von einer fast unglaublichen Fähigkeit, Personalwechsel ohne Schwierigkeiten zu verdauen und stets relativ unbekannte und doch hochgradig kompetente Musiker an sich zu binden. Außerdem ließ MM seinen Musikern immer genügend Auslauf zur Verwirklichung spezieller Talente oder auch Unarten. Dies erklärt womöglich die Tatsache, daß man bis heute nie von personellen Schwierigkeiten bei MM gehört hat – geradezu vorbildlich schien ja kürzlich die Trennung von Chris Thompson zu verlaufen.
Schon Mitte der sechziger Jahre konnte Gitarrist Mike Vickers häufig seine multiinstrumentalen Talente vorzeigen, wobei Boß Manfred selbstgenügsam nur den Background orgelte. Gleiches galt für Mike Hugg, der zudem runde zehn Jahre mit unserem Mann zusammenarbeitete, ehe er sich 1971 in die TV-Branche begab. Nur teilweise mit Talent, sondern auch mit Ego-Trips hatte Paul Jones zu schaffen: Der Sänger galt als das optische Aushängeschild der frühen MMs, beliebt bei fast allen Mädchen. Jones‘ eher helle Stimme eignete sich glänzend für die Popsongs, weniger indes für R&B, doch immerhin konnte Paul Mundharmonika spielen.
Dazu tauchten regelmäßige Ausbrüche in Narzismus auf, die zu solchen Songs wie „The One In The Middle“ führten: Sänger Jones stellte in diesem Hit die gesamte Band vor und gipfelte im Refrain in der Feststellung, der Mann in der Mitte (also er selbst) habe doch ein hübsches Gesicht. Demzufolge fühlte sich Jones zu Höherem berufen, verließ Mitte ’66 die Manfreds und nahm zunächst zwei nette Hits auf: „High Time“ und „I’ve Been A Bad Bad Boy“ – letzterer aus einem Spielfilm von Peter Watkins, in dem Jones neben der damaligen Attraktion Jean Shrimpton agierte und einen von religiösem Firlefanz umflorten, von Managern und Medien zugrunde gerichteten Popstar spielte. Der Film hieß „Privilege“. Unlängst reaktivierte Patti Smith mit „Set Me Free“ ein weiteres Stück aus diesem Film.
Das Tragische an der Sache war aber, daß Paul Jones ungewollt sich selbst gespielt hatte. Die Presse hatte herausbekommen, daß Jones ein Examen der Oxford Universitat besaß („undergraduate“) und somit längere Sätze sprechen und neben John Lennon als der Alibi-Intellektuelle der Popszene herhalten konnte. Fortan verlangte man von Jones andauernd Kommentare zu Problemen und solchen, die keine waren, und überforderte den Sänger total – nicht intellektuell, aber vom Status her. Und nachdem Jones zum x-ten Mal beantworten sollte, wie wohl Marianne Faithfull’s Sexeskapaden zu verstehen seien, da wurde es allen einfach zu langweilig und von heute auf morgen wollte niemand mehr etwas von Paul Jones wissen. That’s Showbiz.
Unterdessen hatte MM seine eigenen Problemchen, die er jedoch weit lockerer bewältigen konnte. Als Mike Vickers die Manfreds Anfang ’66 verlassen hatte, wurde Tom McGuiness an die Gitarre befohlen und mit Jack Bruce ein Bassist an Land gezogen, oder besser gesagt: von John Mayall abgeworben. Mayall war zutiefst empört über MMs Praktik und beklagte sich im Song „Double Crossing Time“ ganz fürchterlich darüber. Doch schon ein halbes Jahr später hatte sich alles in Luft aufgelöst: Jack Bruce, entgegen landläufiger Meinung auch nach der Zeit bei MM ein unbekannter Bassist, der sowieso nur auf „Pretty Flamingo“ aufgetaucht war, gründete mit einem weiteren Unbekannten namens Ginger Baker und dem Star Eric Clapton des Trio Cream wodurch alle drei dann zu Rockgrößen wurden.
Der MM-Baß ging nun an Klaus Voormann über, einen Deutschen, der das Cover zur Beatles-LP „Revolver“ angefertigt hatte und später in John Lennons Plastic Ono Band von sich hören ließ. Zugleich integrierte MM erstmals in der Rockszene Bläser in eine Band: Lynn Dobson und Henry Lowthcr, zwei gestandene Jazzer, die sich jedoch nach kurzer Zeit als zu teuer erwiesen. Mehr Glück hatte Mann mit Paul Jones‘ Nachfolger, der nicht nur besser sang, sondern auch musikalisch mehr drauf hatte: Mike D’Abo. Als Sänger der Band Of Angels kannte man Mike flüchtig, als Komponist des Evergreens ,,Handbags And Gladrags“ sowie des Foundations-Hits „Build Me Up Buttercap“ sorgte er für reichliche Einnahmen und besaß zudem als Produzent von Rod Stewart und Chris Farlowe gewisses Renomee. Später trat er in der Ur-Fassung von „Jesus Christ Superstar“ auf und werkelte in den Siebzigern gemeinsam mit dem Ex-Dave Clark Five-Sänger Mike Smith an einem (gescheiterten) Comeback.
Mit D’Abo, Voormann, Mc-Guiness und Hugg erlebte MM von 1967 bis 1969 eine kontinuierliche und extrem erfolgreiche Zeit, deren Hits bis heute hochbeiiebt sind. Ganz nebenbei jedoch wurde Manfred der Popsongs immer müder und suchte Flucht in Soundtracks, von denen ,.Up The Junction“ wohl seine gelungenste Arbeit darstellte. Nicht, daß MM später Distanz zu einen Liedchen bezogen hätte, im Gegenteil: „Beispielsweise ‚Do Wah Diddy‘ war ein kaltblütig durchdachter Angriff auf die Hitparaden. Wir wollten eine Hitsingle produzieren, nichts anderes.“
Bis 1969 war’s denn auch wirklich nichts anderes, doch dann verließTomMcGuinessdie MM’s, um mit dem Ex-Mayall-Schlagwerker Hughie Flint die Folkrock-Band McGuinees Flint zu gründen. Und MM löste gleich die gesamte Band auf. Nur Mike Hugg, seinen alten Spezi, den brauchte er noch.
Chapter Three hieß die nächste Band deshalb, weil nach Jazz und Pop nun tatsächlich das dritte MM-Kapitel aufgeschlagen wurde; Dauer: 1969 bis 1971.
MM vollführte einen Schwenk, den man sich im Schaugeschäft öfters wünscht: Ein Künstler hat für seinen Lebensunterhalt alles unter Dach und Fach und geht nun seinen eigentlichen, unter Umständen völlig unkommerziellen Neigungen nach. Bei uns hat das Adamo in vorbildlicher Weise getan.
Unkommerziell war Chapter Three in höchstem Maße. Vergleiche mit Blood, Sweat & Tears waren völlig unangebracht, weil B S & T erheblich eingängiger und weniger kompliziert klangen, obzwar beide doch Jazzrock spielten. Grund dessen war vor allem, daß MM die Einflüsse des Mitte der sechziger Jahre entwickelten Free Jazz in sein Konzept einbezog und damit für reichlich dissonante Klänge sorgte. Und wenn man uns heute weismachen will, die beiden Chapter Three-Alben seien ein Muß für jeden Sammler, so ist Vorsicht angebracht: Wer Chapter Three’s Musik hören will, sollte den Namen Ornette Coleman schon buchstabieren können.
Gelegentlich tönten Chap 3 brillant, etwa in „Traveling Lade“. „Lady Ace“ oder „One Way Glass“ – in den kürzeren Stücken. Doch manchmal geriet die bis zu fünfköpfige Combo auch in Endlos-Phasen, die am Publikum vorbeispielten. Trotzdem können die Chap 3-Alben für Jazzgeübte eine Fundgrube sein, an denen neben Mann und Hugg (dem Hauptkomponisten)Insidern bekannte Leute wie Bernie Living, Steve York, Craig Collinge, Nick Evans, Dave Quincy und David Coxhill mitwirkten. Was aber nichts daran ändert, daß Miles Davis‘ „Bitches Brew“ zur gleichen Zeit sehr viel wichtiger war.
Daß Chapter Three nach knapp zwei Jahren wieder geschlossen wurde, wunderte denn auch kaum jemand. Unser Mann hat damals vielleicht unterschätzt, wie sehr MM mit „Do Wah Diddy“ und eben nicht mit Jazzrock in Verbindung gebracht wurde. Die Bürde des Hitparaden-Stars…
Zwei scheinbar simple Sätze haben seither, seit 1972, Form und Inhalt von Manfred Mann’s Earthband treffend beschrieben: „…die Earthband, die fast alle Vorzüge seiner (MM’s) bisherigen Jazz-und Rock-Aktivitäten vereinigte“ (Schmidt-Joos/Graves); und vielleicht noch gelungener: „Er beherrscht die hohe Kunst, Schwieriges einfach erscheinen zu lassen: Manfred Mann.“ (Hamburger Abendblatt). Wie wahr! Kaum sonstwo wurde Poppiges und Rockiges, Schnelles und Langsames, Hartes und Lyrisches, Jazz und Elektronik derart abgerundet verschmolzen wie bei MM’s Earthband. Man kann über wohl jede große Band der siebziger Jahre verschiedener Meinung sein bei der Earthband fällt das sehr schwer. Mögen „Solar Fire“ und „Watch“ die gelungensten Alben der Band sein, so wird doch niemand ernstlich behaupten, auch bloß eines der insgesamt neun MME-Alben sei wirklich mißlungen. Und immer wieder stellt man fest, daß die Earthband keine so eingeschworene Fan-Gefolgschaft besitzt wie Yes oder Genesis, jedoch auch nirgendwo eingeschworene Feinde (im Gegensatz zu Yes oder Genesis). Auf kaum beschreibbare Weise vereint die Earthband offenbar Qualitäten, die fast jedermann/-frau ansprechen, ohne daß die Band deshalb besondere Konzessionen an den Massengeschmack macht. Gewiß lassen sich dafür Gründe aufreihen. MM’s zielsichere Hand bei der Bearbeitung fremder Songs: „Spirits In The Night“ und „Blinded By The Light“ von Bruce Springsteen; der 1973er-Hit „Joybringer“, der vom Klassik-Komponisten Gustav Holst inspiriert war; oder „Davy’s On The Road Again“ von John Simon/Robbie Robertson. Ausserdem spielt sicher Mann’s altes Talent, unbekannte, aber richtige Musiker für sich auszusuchen, eine wesentliche Rolle. Die Herkunft der ersten Earthband-Besetzung mutet abenteuerlich an: Bassist Colin Pattenden hatte bei Engelber Humperdinck, Leapy Lee und Solomon King gezupft; Sänger/Gitarrist Mick Rogers hatte Erfahrung bei Gene Pitney und Adam Faith gesammelt; Drummer Chris Slade kannte man aus der Band von Tom Jones. (Was ganz nebenbei auf die musikalischen Qualitäten von Begleitmusikern von Schlagersängern hindeutet, die wir Rockfans so gern abschätzig betrachten).
Die späteren Earthband-Musiker Dave Flett (g), Pat King (bg) und Chris Thompson (voc, g) kannte vor der Zeit bei MM kaum jemand, doch besonders im Falle Thompson ist ersichtlich, wie glänzend man sich anscheinend bei MM entwickeln kann. Mittlerweile führt Thompson seine eigene Band Night in erste Erfolgsregionen. Die ganz neuen Earthband-Mitglieder Steve Waller (voc, g) und John Lingwood (dr) sind ausnahmsweise von ihrer Herkunft etwas bekannter: Waller von der Funk-Jazz-Band Gonzales, Lingwood aus der Band von Leo Sayer.
Noch ein Grund für die Qualität der Earthband, der leicht übersehen wird: MM benutzt zwei Synthesizer als voll integrierte Instumente, ohne Effekthascherei und mit einer Souveränität, wie das außerhalb des reinen Elektronik-Rocks bislang nur noch Pete Townshend auf „Who’s Next“ vermocht hat. Sicherlich haben Mann und Townshend dem Image des Synthesizers so mehr gedient als z.B. Rick Wakeman.
Und noch eine Sache existiert da, die enorme Parallelen zu den sechziger Jahren aufzeigt: Damals wie heute ist Manfred Mann’s Band ein Top Act ohne Gesicht, ohne Schönlinge im Vordergrund, ohne transzendentale oder pseudo-progressive Kramereien, ohne Skandale und ohne besonders exaltierte Bühnenshow. Man mag es glauben oder auch nicht: Hier ist eine Band,bei der tatsächlich die Musik und nichts als die Musik im Vordergrund steht. Wolfgang Bauduin