Marco Michael Wanda im Interview: „Als ich ‚AMORE‘ geschrieben habe, habe ich nur die Beatles und Falco gehört“


„Ich möchte Musik für alle machen“: Wanda-Sänger Marco Michael Wanda stellt sich in unserem Blind Date 14 Songs - und spricht über sie auch über die Songs des Wanda-Debüts AMORE, mit dem die Österreicher jetzt auf Deutschland-Tour sind.

Die Kellnerin begrüßt Marco Michael Wanda so herzlich, als wäre er ihr eigener Sohn. Er fragt, ob er heute ausnahmsweise anschreiben lassen dürfe. „Aber natürlich“, raunt sie freundlich. Immerhin ist der Musiker seit drei Jahren Stammgast in dem charmant-abgeranzten Beisl im Zweiten Wiener Gemeindebezirk – so lange, wie es seine charmant-abgeranzte Band Wanda gibt, die ihren Proberaum gegenüber hat.

Marco bestellt einen Kaffee und eine Packung Zigaretten und setzt sich an einen Ecktisch im Hinterzimmer. Bevor ich die Playtaste des Abspielgerätes drücke, warnt er: Neulich habe er bei einem Radiointerview keinen einzigen von zehn Songs erkannt, die ihm vorgespielt wurden. „Das war relativ erbärmlich.“ Im Blind Date – nachzulesen auch in der März-Ausgabe des Musikexpress – hingegen macht Herr Wanda nach einem holprigen Start eine ausgezeichnete Figur.

EAV – AMORE

Marco Michael Wanda: Ist das Rammstein?

Musikexpress: Nein, die EAV. Die hat 2007 ein Album mit dem Titel AMORE XL veröffentlicht.

Marco Michael Wanda: Wirklich? Großartig! Dieses „Brumm-Tata-Brumm-Ta“ („300 PS“, 1994 – Anm.) habe ich damals rauf und runter gehört.  Das und „Nie mehr Schule“ von Falco waren meine Schulschwänzer-Songs. Ich bin immer zu einem Freund gegangen, wir haben Nintendo gespielt und diese ganzen Lieder gehört.

ME: Hast du dir die alten EAV-Platten seitdem je wieder angehört?

Marco Michael Wanda: Nein, ich höre momentan nur Lieder, die mir als Versatzstücke dienen. Musikhören ist genauso meine Arbeit wie Musikmachen. Deswegen begebe ich mich auf die Suche nach Ideen, die mir was nutzen, sei das eine Klangfarbe, eine Stimmung oder ein textlicher Ansatz. Als ich AMORE geschrieben habe, habe ich nur die Beatles und Falco gehört. Aber dieser Song ist toll, wirklich. Den sollten Rammstein covern.

Angeblich will Thomas Spitzer, der Songschreiber der EAV, ja tatsächlich mehr in Richtung Rammstein gehen.

Marco Michael Wanda: Ja, da sind wir schon mitten in der Materie: Man braucht immer eine Vorlage. Wenn man sich nicht dem Zwang, nicht-epigonal sein zu müssen, unterwirft, dann kann man ja ruhig nach Vorlagen arbeiten.

Wie stehst du zu Rammstein?

Marco Michael Wanda: Da war ich immer entweder zu jung oder zu alt dafür. Ist nicht ganz mein Lebensgefühl.

Dabei haben die auch ein Album mit dem Titel LIEBE IST FÜR ALLE DA.

Marco Michael Wanda: Ah, schau her! Wunderschön.

BILDERBUCH – OM

Marco Michael Wanda: Witzig, das erkenne ich sofort, obwohl ich’s erst einmal gehört habe: Bilderbuch. Über die möchte ich wie einem Gesetz nach immer nur Gutes sagen. Das sind halt Kollegen. Ich finde die ziemlich cool. Clever, nach einem Hit wie „Maschin“ zu sagen: „Gib dir mehr Zeit!“ Wir sind in derselben Situation: Das, was bei Bilderbuch „OM“ ist, folgt ja jetzt bei uns in den nächsten Monaten, und da finde ich diese Botschaft – „Sei ein bissl locker, hab auch ein bissl Spaß!“ – gerade ziemlich gut.

Hast du Angst, dass euch der ganze Rummel um Wanda zu viel werden könnte?

Marco Michael Wanda: Nein, ich hätte sogar gerne noch mehr. Wir haben für nächstes Jahr 150 Gigs geplant. Am liebsten würde ich 300 spielen.

Ich habe vorhin Maurice, den Sänger von Bilderbuch, interviewt. Er lässt schön grüßen.

Marco Michael Wanda: Oh, das ist aber lieb!

Ich glaube, man will sich kennenlernen.

Marco Michael Wanda: Ja, das liegt irgendwie auf der Hand. Wir sind ja doch alle irgendwie im selben Boot.

Musikalisch habt ihr nicht viel gemeinsam.

Marco Michael Wanda: Gar nichts, das ist auch toll. Wir haben unsere Reviere gut abgesteckt und können uns nie in die Quere kommen. Das wird nie so eine Blur-Oasis-Feindschaft.

Die wäre aber sehr medienwirksam.

Marco Michael Wanda: Ja, aber ich habe das Gefühl, österreichische Musiker verzichten auf Skandale. Und wer Drogen nimmt, nimmt sie zu Hause. Es ist alles ein bisschen unaufgeregt.

THE DOORS – ALABAMA SONG (WHISKY BAR)

Marco Michael Wanda: Oh ja, oh mein Gott, ja! Jedes Lied von denen ist großartig. Man muss die Doors als kulturellen Erdrutsch verstehen. Sie haben sich als eine Art Priesterschaft begriffen, die einer Öffentlichkeit Lust ermöglicht. Diesen Gesellschaftsauftrag haben wir von ihnen übernommen.

Thematisch erinnert mich dieser Song an einen von euch: „Ich will Schnaps“.

Marco Michael Wanda: Ja, das ist wohl ein textliches Versatzstück. Am Anfang dachte ich, das wäre fast schon zu ähnlich.

Den Text haben die Doors von Bertolt Brecht übernommen.

Marco Michael Wanda: Oh, das ist interessant. Das wusste ich nicht. Das traue ich ihnen aber natürlich sofort zu.

Hast du den Artikel von Martin Blumenau (Moderator und Autor des österreichischen Jugendradiosenders FM4 – Anm.) über euch gelesen?Er schreibt darin, dass Texte übers Saufen oft sehr lokal verankert sind und es einem besoffenen Publikum recht machen wollen.

Marco Michael Wanda: Das finde ich irrsinnig tragisch. Das ist doch etwas, das zutiefst aus der Bohème des 18. und 19. Jahrhunderts kommt: die Unterscheidung des Bürgertums in Großbürgertum und Provinz. Dass der Arbeiter über den Bauern schimpft oder der Großgrundbesitzer über den Knecht haben wir ein bissl sehr hinter uns – und dafür sind sehr viele Menschen gestorben. Blumenau muss wissen, welches Bild von Öffentlichkeit er mit seinem Gesellschaftsauftrag vermitteln will, aber ich würde ihm vehement widersprechen. Ich möchte Musik für alle machen. Ich glaube, uns hören eh mehr Menschen als ihn lesen.

UDO JÜRGENS – GRIECHISCHER WEIN

(langes Schweigen)

Das kennst du, oder?

Marco Michael Wanda: Ich habe eine schreckliche musikalische Bildung. Mozart erkenne ich immer. Schubert und Beethoven auch. Seit fünf Jahren höre ich das „Requiem“ von Mozart.

Auf der Suche nach Versatzstücken?

Marco Michael Wanda: Ja. Ich suche irgendetwas, das ich nicht in Worte fassen kann. Ich würde gerne einmal über die Grenze des Pop gehen, für ein einziges Lied oder ein Album. Sagen wir so: Wenn’s uns noch lange gibt, für ein ganzes Album und wenn’s uns nicht mehr lange gibt, dann nur für ein Lied. Ich hätte gerne so viele Stimmen wie in einer Oper. Ich möchte viele Stimmen für ein einziges Lied – auch polyrhythmisch und im Kanon. Einfach ein bisschen mehr als Lead-Stimme und Background-Gesang. Eins mehr.  Was ich da vorhabe, kann man dann nicht mehr live umsetzen, zumindest nicht in einer Fünfer-Konstellation. Aber wie gesagt, das ist Luxus. Bevor man dann so frei spielen darf, muss man sich mit Pop einen großen Namen machen.

Ihr habt doch jetzt schon einen Namen.

Marco Michael Wanda: Das sagen mir immer so viele Leute, aber ich sehe uns jetzt noch ziemlich am Anfang. Ich finde, wir müssen jetzt schon nach gewissen Regeln weitermachen. Ich will nicht als exzentrischer Klangkünstler dastehen.

(Der Refrain von „Griechischer Wein“ setzt ein)

Marco Michael Wanda: Oh ja, natürlich! Das läuft immer im Café Dogenhof (Café im Zweiten Wiener Gemeindebezirk – Anm.), weil die Besitzerin eine Griechin ist.

Hatte Udo Jürgens eine Bedeutung für dich?

Marco Michael Wanda: Musikalisch nicht, nein. Aber ich habe seine Biografie gelesen. Mich hat fasziniert, dass er mit vier, fünf Jahren die Bombenangriffe der Flieger auf den Tasten des Flügels seiner Eltern interpretiert hat. Eines Nachts dachten sie, es gebe einen Bombenangriff und wollten in den Luftschutzkeller fliehen – dabei hat Udo nur auf dem Klavier gespielt. Die Geschichte finde ich faszinierend. Ob sie wahr ist, weiß ich nicht. Zumindest ein schöner Mythos.

Das ist oft auch nicht so wichtig, oder?

Marco Michael Wanda: Ja, dann ist es halt ein schöner Mythos. Der Jesus war ja sicher auch ein Gemenge aus 18 verschiedenen Propheten verteilt auf drei Jahrhunderte.

Ihr arbeitet in euren Interviews auch an einem Mythos.

Marco Michael Wanda: Ja, sehr bewusst. Am Anfang zumindest. Jetzt fällt uns nix mehr ein.

Habt ihr das so geplant?

Marco Michael Wanda: Nein, das ist einfach passiert. Es liegt daran, dass unser Keyboarder, Christian Hummer, sehr witzig ist. Am Anfang wollt ich sehr ernst sein, aber er hat mich in den Klamauk gezogen.

CONCHITA WURST – RISE LIKE A PHOENIX

Marco Michael Wanda:Das ist doch Madame Phoenix! Conchita Wurst… Conchita Wurst….Tom Sawyer? Nein. Tom Ederhartinger? Nein.

Ihr bürgerlicher Name ist Tom Neuwirth.

Marco Michael Wanda: Gut, hier haben wir es aber eindeutig mit Conchita Wurst zu tun.

Paul Gallister, euer Produzent, hat bei diesem Lied die Orchestrierung übernommen.

Marco Michael Wanda: Er hat mitgearbeitet, aber ich weiß nicht, was er genau gemacht hat. Es hat mit dem Arrangement zu tun.

Habt ihr euch gar nicht darüber unterhalten?

Marco Michael Wanda: Einmal hat er erwähnt, dass es toll ist, mit Conchita zu arbeiten.

Er gewinnt mal eben so den Song Contest und erwähnt es kaum?

Marco Michael Wanda: Ja, der ist sehr bescheiden. Er hat große Ziele. Ich glaube, er misst sich insgeheim weniger mit zeitgenössischen oder irdischen Leistungen als mit so historischen Figuren wie George Martin – insgeheim! Nicht dass er jetzt einer ist, der im Studio steht und sagt: „Ich bin der George Martin!“ Aber er redet viel von George Martin, deswegen interpretiere ich eine Bewunderung für dessen Arbeit hinein.

Stimmt es, dass er dich in einem Lokal sitzen sah und gesagt hat: „Du schaust so fertig aus, willst du nicht noch ein bisschen Geld verdienen, bevor du stirbst?“

Marco Michael Wanda: Das hat er mir im Verlauf eines Gesprächs gesagt. Er hat mich nicht damit angesprochen.

Kannte er deine Songs da schon?

Marco Michael Wanda: Nein, er kannte noch nichts. Ich hatte vorher mal bei einer Jam Session mitgemacht. Er wusste, wer ich bin und dass ich Musik mache, aber nicht, was für eine. Aber ich habe das Gefühl, dass er ein bissl nach mir gesucht hat und ich nach ihm. Weil ich auch gewusst habe, dass er etwas mit Produktion macht. Und in meiner Vorstellung war das ein Traumszenario, das sich realisiert hat, nämlich mit einem musikalischen Partner an Liedern zu arbeiten. Mit einem, der etwas über die Materie weiß. Ich bin der, der etwas über Kunst weiß, und er ist jemand, der etwas Kunst und die Materie weiß. Das ist eine gute Mischung. Er macht bei der Produktion all das, was man gar nicht hört. Erst wenn man die Gitarre, das Schlagzeug und den Bass abdreht, würde man hören, was er da alles hingelegt hat. Dann sind sehr viele Layer und sehr viele Spuren. Sehr feine Arrangements, wie Schneeflocken, sehr schön gesetzt. Oft ist es so, dass ich eine Melodie im Kopf habe und sie nicht umsetzen kann. Ich summe sie ihm dann vor, und er macht das dann in drei Minuten. Mit ihm zu arbeiten, ist großartig!

Ich habe ein Video von dir gesehen aus dem Café Jenseits. Da sitzt du neben dem Nino und spielst deine eigenen Songs fast ein bisschen widerwillig, weil du nicht Gitarre spielen willst. Aber du schreibst Musik auf der Gitarre, oder?

Marco Michael Wanda: Ja. Aber ich kann nicht selber spielen. Das ist sehr mühsam. Ich bewundere diese Gitarristen, die cool ausschauen können und gleichzeitig auf ihre Akkorde schauen. Das kann ich nicht.

Du hast einmal gesagt, dass du nie mit jemand anders arbeiten willst als mit Paul Gallister.

Marco Michael Wanda: Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir das helfen würde. Ich bin nicht jemand, der nach einem bestimmten Sound sucht. Ich glaube, was viele andere Musiker dazu treibt, bei jedem neuen Projekt mit einem anderen Produzenten zu arbeiten, ist, dass sie sagen: „Diese Platte muss ein bisschen organischer sein.“ Ich bin sehr zufrieden mit dem Sound, den wir haben. Und der kommt von ihm.

Und das Album hat er euch wirklich gratis produziert?

Marco Michael Wanda:Ja. Natürlich ist er prozentuell beteiligt, und wenn wir groß werden, ist er reich, aber er hat’s mal ohne Geld gemacht. Und sehr viel mit uns gearbeitet, auch über die Plattenproduktion hinaus. Er hat also wirklich die Rolle eines George Martin eingenommen, war sehr autoritär am Anfang. Da hat er gesagt: ‚Das geht nicht, und das geht!’ Und er hat immer ein offenes Ohr, wenn’s ein Problem gibt.

Ist das Outro von „Schick mir die Post“ das Intro zu „Stehengelassene Weinflaschen“?

Marco Michael Wanda: Das ist ein Zitat, ja. Du bist der erste, dem das auffällt. Es hat ja schon etwas Konzeptuelles. Es wiederholen sich auf dem Album viele Textzeilen, und das wird beim zweiten Album weitergehen. Das wird so eine Art Geschwisteralbum, und all diese Lieder bilden einen Reigen, der auf eine gewisse Weise zusammengehört.

Wann soll das Album rauskommen?

Wahrscheinlich im September. Sieben Lieder könnten wir schon so, wie sie sind aufnehmen. Fünf brauchen wir noch.

Apropos George Martin. Das passt gerade ganz gut…

THE BEATLES – A DAY IN THE LIFE

Marco Michael Wanda: Um Gottes willen! Das ist ein Lied, das mich immer wieder vernichtet, wenn ich es höre. Ich hab’ mal Sex gehabt und bin genau beim letzten Klavieranschlag gekommen. Das sind ja 16 Pianos auf vier Spuren! Das hab’ ich urgut getimet. Da bleib’ ich mein Leben lang stolz drauf.

Und angefangen hat der Beischlaf beim ersten Song der Platte?

Marco Michael Wanda: Nein, der ging nur für die Dauer des Liedes. Ich habe mich sehr beeilt. (lacht)

Das Intro habt ihr für „Schickt mir die Post“ reproduziert, oder?

Marco Michael Wanda: Du bist ein Mann vom Fach! Ja, wir haben uns erlaubt, die Beatles zu zitieren.

Wenn Oasis das dürfen …

Marco Michael Wanda:Alles ist zurückzuführen auf dieses Lied und drei andere von den Beatles. John Lennon ist der wichtigste Musiker für mich. Nicht weil er der beste Sänger oder sogar Musiker war. Irgendwas an seiner Kunst war so bahnbrechend scharf und reduziert. Der gehört zur Avantgarde wie Hemingway, dem man überhaupt nicht zuspricht, dass er durch die Technik des Weglassens auf Augenhöhe mit James Joyce war. Und ich finde, John Lennon ist natürlich einzuordnen in die moderne Avantgarde.

Und Paul McCartney?

Marco Michael Wanda: Der ist ein Musiker, ein brillanter Musiker, aber John Lennon war ein Künstler – nicht dass Paul McCartney nicht auch großartige Kunst gemacht hätte!

Gut, schauen wir mal, was als nächstes kommt…

Marco Michael Wanda: Können wir das noch kurz zu Ende anhören?

Ja, klar.

(Greift zur Zigarettenpackung) Magst a Zigarett’n?

Danke, ich rauche nicht. Habt ihr das Österreich-Special im Musikexpress gelesen, in dem ihr auch vorkommt? Da hatten drei von sechs abgebildeten Künstlern Zigaretten im Mund.

Marco Michael Wanda: Ja! Raucht der Maurice von Bilderbuch auch?

Das weiß ich gar nicht. Zumindest raucht er in seinen Videos nicht. Wer macht eigentlich eure Videos?

Marco Michael Wanda: Wolfgang Seehofer und Florian Senekowitsch – das sind zwei freie Filmleute. Die kenn ich… ich weiß gar nicht, woher. Aber das sind tiefe Freundschaften. Wir kennen uns zehn Jahre oder länger.

Und die haben auch ohne Bezahlung für euch gearbeitet?

Marco Michael Wanda: Ja, natürlich.

Die Videos sehen sehr teuer aus.

Marco Michael Wanda: Sind sie aber nicht. Kosten so 2000, 3000 Euro pro Stück. „Bologna“ hat  nur 600 Euro gekostet: die Fahrt hin und zurück. Und die eine Weinflasche, die wir kaputt gemacht haben.

Kommt von AMORE noch eine Single-Auskopplung?

Marco Michael Wanda: Nein, ich glaube nicht. Es ist jetzt keine Zeit, und ich will keinen Scheiß machen. Man könnte auch aus Live-Sachen was zusammenschneiden, so wie Nirvana das bei „Lithium“ gemacht haben. Aber wir wollen das nicht. Wir wollen weiterhin diese kleinen Geschichten mit den Videos erzählen. Und momentan haben wir nicht die kreative Kraft.

Denkt ihr euch selbst die Konzepte für die Videos aus?

Marco Michael Wanda: Das machen wir gemeinsam mit den Videomachern. Die zündenden Ideen kamen eigentlich immer von Florian Senekowitsch, von mir oder von Stefan Redelsteiner (Manager von Wanda und ehemaliger Geschäftsführer von Problembär Records – Anm.), der für „Schick mir die Post“ eine gute Idee gehabt hat. Die Idee, dass die Band mich aus dem Krankenhaus holt, kam von ihm. Ich hab das dann ergänzt um ein italienisches Fest. Es ist schön, auf diese Weise zu arbeiten, wenn drei, vier Leute schnell sind und treu, dem Produkt gemäß arbeiten, dann geht’s sehr schnell.

Warum die „Shining“-Referenz im „Auseinandergeh’n ist schwer“-Video?

Marco Michael Wanda: Gute Frage. Keine Ahnung. Das kann man nicht begründen, glaube ich. Irgendwie haben wir uns gedacht, die wesentliche Qualität ist eigentlich der Horror. Verlassenwerden ist ja ein ziemlicher Horror. Das ist ziemlich grauslig. Und da sind wir auf „Shining“ gekommen, weil das ja ein Film über die Entfremdung eines Familienvaters von seiner Familie ist. In Wahrheit ist das ja ein psychologisches Drama viel mehr als ein Horrorfilm.

(Der finale Piano-Klang in „A Day In The Life“ setzt ein: Ta-dah!)

Da: der Orgasmus!

Marco Michael Wanda: Ja, du kannst dir vorstellen, wie das war… (er reißt die Arme zu einer triumphalen Geste in die Luft)

Das nächste Lied habt ihr vielleicht auch zitiert. Mal sehen, was du sagst …

MADONNA – LIKE A VIRGIN

Marco Michael Wanda: (nach ein paar Noten) Das ist ja „Kairo Downtown“! Arg!

Also gar keine bewusste Anspielung?

Marco Michael Wanda: Überhaupt nicht! Madonna haben wir alle in unserer Kindheit gehört. Ich nehme an, daher kommt das. Mit der hätte ich in den 80ern so gern eine Affäre gehabt. Sie war ja mit Basquiat zusammen.

Und mit Sean Penn. Und mit Guy Ritchie.

Marco Michael Wanda: Unglaublich. Das ist halt ihr geniales Image aus der Zeit: diese männerfressende junge Frau. Ich glaube, einmal im Leben lässt man sich gerne fressen. Nur einmal, weil das ja auch wehtut, egal wie lustvoll es ist. Ich hätte mich gerne einmal von Madonna fressen lassen.

Das wäre deine „Luzia“ gewesen.

Marco Michael Wanda: Genau, drei Monate mit Luzia. Länger hält man das gar nicht aus.

Hast du dich schon mal fressen lassen oder kommt das erst?

Marco Michael Wanda: Ich hab mich nie fressen lassen, nein. Ich glaube, jetzt ist es auch zu spät. Jetzt bin ich zu alt und zu intelligent dafür.

DER NINO AUS WIEN – DU OASCH

Marco Michael Wanda: Der Nino. Als wir bei unserm Label, Problembär Records, unterschrieben haben, hat mir Stefan Redelsteiner alle Nino-Platten gegeben. Die habe ich dann in Dauerschleife gehört. Ich konnte eine Woche lang das Bett nicht mehr verlassen. Ich war wie ein Depressiver, nur dass es mir irrsinnig gut ging.

Hat dich Ninos Art zu texten inspiriert?

Marco Michael Wanda: Er hat mir damit Mut gemacht. Der Nino war der Erste, der nach 20, 30 Jahren wieder ehrliche Lieder im Dialekt geschrieben hat – er und Ernst Molden natürlich! Der Nino ist sehr schnell ein enger Freund geworden. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit 27 noch einmal so eine tiefe Freundschaft eingehen könnte.

Ist es für ihn ein Problem, dass ihr als seine Vorband begonnen habt und die Rollen jetzt vertauscht sind?

Marco Michael Wanda: Das ist egal. Wenn wir gemeinsam spielen, haben wir das Gefühl, es gibt keine Vorband mehr. Das ist wie ein Theaterstück mit zwei Akten. Es passt so oder so gut – egal, wer zuerst spielt.

(Ein Kellner kommt zum Tisch)

Kellner: Den kenn i! Des is der Angelo!

Marco Michael Wanda: Genau, der Angelo aus Wien! (lacht)

RIO REISER – JUNIMOND

Oh ja: Rio Reiser. Ich habe sein Grab besucht. Das ist auf diesem Bauernhof, auf den sich die ganze Band in den 70ern zurückgezogen hat. Ich habe auf Rios Flügel gespielt. Der steht dort. (Mittlerweile ist das Anwesen in Fresenhagen, Nordfriesland, an eine Privatperson verkauft worden. Reisers Grab wurde 2011 nach Berlin umgebettet – Anm.)

Du siehst dich eher in einer Tradition mit Reiser als mit den Protagonisten des Austropop?

Marco Michael Wanda: Ja, viel, viel näher.

Weswegen?

Marco Michael Wanda: Schwierig. (Überlegt lange) Österreichische Sänger von Qualtinger bis heute arbeiten mit Rollenprosa. Alle schlüpfen in eine Rolle, wie Thomas Bernhard das benannt hat. An Rio Reiser gefällt mir, dass er keine Rolle einnimmt. Er ist wie ein Hirsch, der heult. Es reimt sich nichts bei ihm, nichts ist konzipiert. Es ist keine intelligente Musik.

Aber als Sänger schlüpfst du doch auch in Rollen.

Marco Michael Wanda: Ja, insofern sind Wanda dann doch sehr österreichisch. Natürlich kann man wahrhaftige Gefühle auch über eine Rolle artikulieren. Die eigenen Befindlichkeiten sind mir nicht so wichtig. Ich mache etwas, das über mein Schicksal hinausweisen soll. Es geht mir mittlerweile relativ gut damit, dass es mir oft schlecht geht. Jetzt hätte ich gerne, dass andere Menschen, von dem, was ich durchgemacht habe, profitieren.

Musst du leiden, um etwas zu erschaffen?

Marco Michael Wanda: Hemingway hat mal gesagt: „Das Geheimnis einer gelungenen künstlerischen Karriere ist eine beschissene Kindheit.“ Aber das glaube ich überhaupt nicht. Kunst ist immer Ausdruck von Lebensfreude oder eines Problems mit dieser.

NIRVANA – SMELLS LIKE TEEN SPIRIT

Marco Michael Wanda: Bist du deppert! Diese Band ist ein eigenes Interview wert!

War Kurt Cobain wichtig für dich?

Marco Michael Wanda: Sehr wichtig. Er singt ja: „I’m contagious“ (sic!). Und das stimmt: Er kann einen jungen Mann mit seinem selbstbezogenen Schmerz anstecken. Sehr viele junge Menschen verdanken ihm, dass etwas artikuliert wurde, das vorher nicht artikuliert war. Meine Mutter ist Therapeutin. Auf einem Seminar hat sie ihre Patienten gebeten, Lieder mitzunehmen, die für sie prägend waren. Von zwölf Teilnehmern sind acht mit „Teen Spirit“ gekommen und haben weinend erklärt, dass das ihre ganze Jugend auf den Punkt bringt. Also: Hut ab vor einer solchen, fast schon humanitären Leistung. Schade, dass Kurt Cobain das selbst nicht überlebt hat.

Viele Leute werden eure Lieder, wenn schon nicht mit einer ganzen Entwicklungsstufe, dann doch mit einer gewissen Zeit verbinden.

Marco Michael Wanda: Das ist sehr schön, ja. Ich hatte nie eine Band, die in meinem Zeit-Raum-Gefüge gewerkt hat. Ich habe immer nur Leute gehört, die schon tot waren. (Überlegt.) Ausnahmslos eigentlich. Das ist erstaunlich.

HAFTBEFEHL – LASS DIE AFFEN AUS’M ZOO (FEAT. K.I.Z.)

Marco Michael Wanda: Was mich von Rap unterscheidet, ist, dass ich auch immer ein Underdog war, aber ich hab mein Leben lang immer versucht, wieder zurückzukommen in die Gesellschaft. Ich glaube, HipHop versucht in seinen authentischsten Momenten, den Underdog-Status zu bewahren.

Oder die Protagonisten werden so erfolgreich, dass sie ein Teil der Gesellschaft werden.

Marco Michael Wanda: Aber dann ist man ja wieder ein Außenseiter. Millionär zu werden, bedeutet ja erst recht einen Rückzug aus der Gesellschaft.

Kannst du mit dieser aggressiven Art des deutschen HipHop etwas anfangen?

Marco Michael Wanda: Überhaupt nicht. Es muss auch das geben. Aber auf meiner einsamen Insel gibt’s das ned.

Und das…?

ANDREAS GABALIER – I SING A LIAD FÜR DI

(Nach 20 Sekunden, bevor der Gesang einsetzt.) Ist das Musik? Das versteh’ ich noch gar nicht.

(Gabalier fängt an zu singen.)

Marco Michael Wanda: Die Stimme ist toll, aber mit den Texten komme ich nicht ganz zurecht. Was mich sehr erschrocken hat, ist das Albumcover, auf dem Gabalier als Hakenkreuz inszeniert ist. Da frage ich mich immer noch: Ist dieses Cover zufällig passiert? Ist das ein peinlicher Fehler? Oder ist das bewusst gewesen? Ich bin aber kein Gericht. Im Zweifelsfall muss man den Angeklagten laufen lassen. Wenn so was noch mal passiert, dann kann man schon sehr streng werden, aber ich glaube, jetzt reicht es nicht. Das kann auch alles PR-Spielerei sein.

Aber wäre es als PR-Spielerei nicht noch viel schlimmer, weil es dann bewusst mit dem rechten Rand liebäugelt?

Marco Michael Wanda: Die Frage ist, ob das von ihm ausging oder nicht. Das ist alles so undurchsichtig. Ich kann mir vorstellen, dass einem ab einem gewissen Punkt einer Karriere einfach alles passieren kann, weil rundherum ganz viele Leute entscheiden. Deswegen weiß ich nicht, ob Gabalier überhaupt selbst gewusst hat, dass er da als Hakenkreuz steht. Jemand sollte ihn das mal fragen.

ADRIANO CELENTANO – SUSANA

Marco Michael Wanda: Meine Mutter ist Halbitalienerin. Ich bin mit dem Mythos aufgewachsen, dass die Italiener Pop-Musik anders wahrnehmen. Wenn man hört, wie hier mitgeschrien wird, glaube ich das sogar.

Hat euch Italo-Pop als Genre beeinflusst?

Marco Michael Wanda: Als Genre nicht, weil es das ja gar nicht gibt. Das konstruieren wir von außen. Aber die einzelnen Musiker haben uns sehr beeinflusst. Adriano Celentano weniger als Künstler wie Lucio Dalla, Lucio Battisti und Luigi Tenco. Ich überlege, unser Album auf Italienisch einzusingen.

Sprichst du italienisch?

Marco Michael Wanda: Zum Singen wird es reichen.

RAINHARD FENDRICH – STRADA DEL SOLE

Marco Michael Wanda: Das ist der Lieblingsmusiker unseres Gitarristen. Der ist mit Fendrich aufgewachsen und liebt seine Musik abgöttisch. Ich finde auch, dass er tolle Lieder geschrieben hat, aber ab 1986 waren sie merkwürdig arrangiert, sehr in ihrer Zeit gefangen.

Du kannst das sehr genau auf ein Jahr festmachen.

Marco Michael Wanda: Ja, weil wir das 86er-Album (KEIN SCHÖNER LAND – Anm.) gestern erst gehört haben. Damals hat sich etwas verändert in Fendrichs Sound. Zu der Zeit sind ja alle sehr zeitgenössisch geworden. Falco hat hingegen 1981 schon ein Album gemacht, das vom Sound her über die 80er-Jahre hinausgeht (EINZELHAFT – Anm.) . Deswegen ist er zurecht auch der Visionär dieser Partie. Aber dieses Fendrich-Lied ist schon wunderbar.