Marius Müller Westernhagen


Name: Müller-Westernhagen Vorname: Marius Geburtstag: 6. 12. 48 Geburtsort: Düsseldorf Größe: 182 cm Farbe der Augen: blau Unveränderliche Kennzeichen: Unter seinen deutschen Kollegen ist er der spröde Intellektuelle. Nichts von der Volkstümlichkeit eines Udo Lindenberg, nichts von dem Pathos eines Herbert Grönemeyer. MMW bewahrt Distanz - zu sich selbst, zu seinem Publikum, vor allem auch zu den Medien. Als "Schneemann" jedenfalls will er nicht wieder den Fehler machen, der ihn zu "Theo"-Zeiten in eine Sackgasse trieb: die Reduzierung auf ein eindimensionales Image.

ME/Sounds: Wenn du nicht gerade ein Interview gibst – was machst du an so einem langweiligen Tag wie heute?

MMW: „Telefonieren! In letzter Zeit war ich dauernd auf Achse und habe deswegen heute ein paar Freunde angerufen, bei denen ich mich dringend melden mußte. Dann habe ich auch noch länger mit Rene Tinner (Produzent/Toningenieur) gesprochen, um abzuklären, wann wir wieder ins Studio können.“

ME/Sounds: Womit wir auch schon beim Thema wären: Dein letztes Album DIE SONNE SO ROT entstand mit Hilfe von Rene Tinner im alten Can-Studio von Weilerswist. Kleine Band, keine Mietmusiker, neue Frisur, neue Umgebung, neuer Manu S??

MMW: „Kann man sagen, ja! Das Ganze bahnte sich vor einiger Zeit in München an. Nächtelang habe ich mich mit meinem .väterlichen Freund‘ und Produzenten Lothar Meid über das Woher und Wohin unterhalten. Eins war klar: In dem alten Trott sollte es nicht weitergehen. Jedes Jahr eine Platte – und doch irgendwie das Gefühl: .Alter, der reine Wahnsinn ist das nicht!‘ Lothars Reaktion: ,Jo, wos wüllstdojetza mochen, etabliert wie du bist?‘ Er dachte, ich wolle nur einen anderen Produzenten. Aber darum ging es nicht! Ich wollte nur Spannung, Abenteuer, keine Pfefferminz-Neuauflage und keine Abwarte-Kiste, keine Mietmusiker.“

ME/Sounds: Wie kam es denn letztlich zu der Besetzung mit dem Trio-Gitarristen Kralle. Lothar Meid und dir?

MMW: „Anfangs waren fünf Musiker an DIE SONNE SO ROT beteiligt; Namen brauchen wir nicht nennen. Nach etwa vier Tagen merkten wir, daß die beiden, die später ausschieden, nur Erfüllungsgehilfen waren. Die zwei wurden nach Hause geschickt, und es blieb bei der Kombination dieser drei Seelentypen und der Maschinen. Ergab einen tollen Bruch.

Zu Kralle hatte ich direkt einen Draht. Von ihm kam auch der Vorschlag, das Can-Studio mal näher in Augenschein zu nehmen. Mein erster Eindruck: .Hier kann man noch Musik machen!‘ Das schon gebuchte Musicland in München wurde abbestellt. Wir bekamen von Rene Tinner, der ja lange nicht jeden reinläßt, grünes Licht; die Arbeit konnte beginnen.“

ME/Sounds: Ende ’84 wurde im „Stern“ über deine LP berichtet. Unter deinem Bild stand „Comeback eines Rockers“. Siehst du SONNE SO ROT überhaupt als Comeback an?

MMW: (lacht) „Jaja, dieses Wort vom Comeback. Während der Tournee konnte man dauernd was von Jetzt ist er wieder da‘ lesen. Ich habe das gar nicht so empfunden. Ich selbst habe weitergearbeitet wie immer.“

ME/Sounds: Aber gab es nicht tatsächlich einen Bruch nach PFEFFERMINZ oder STINKER?

MMW: „Ja, bei GEILER IS SCHON wußte ich nicht mehr so recht, wohin ich wollte. Obwohl einige gute Songs drauf sind, fiel die LP uneinheitlich aus: ein Heavy Metal-Song, einer mit Synthesizern. Wir haben rumprobiert: Wo geht es nun hin?

Aber heute deswegen von einem Comeback zu reden, halte ich dennoch für falsch. HERZ EINES BOXERS kam bei den Medien schlecht an, obwohl wir davon über 150000 Einheiten verkauften. Damals, nach den LPs, die 400000 Stück verkauften, war das vergleichsweise wenig, aber heute erreicht kaum jemand solche Umsätze.“

ME/Sounds: Nun ja, dein Kollege Herbert Grönemeyer hat die Platin-Grenze schon überschritten…

MMW: „Das macht mir kein Kopfzerbrechen. Erfolg hat viele Väter. Manchmal trifft man halt den Publikumsgeschmack und manchmal bewegt man sich weg. Tödlich ist es nur. wenn man auf Teufel komm raus seinem Publikum hinterherläuft. Da wird man zu seiner eigenen Karikatur. Dafür gibt es hierzulande leider genügend Beispiele.“

ME/Sounds: Anderes Thema: Kochst du zuhause?

MMW: (lacht) „Nein, kann ich nicht! Kaffee und Spiegeleier sind das Höchste der Gefühle.“

ME/Sounds: Das besorgt also alles deine Freundin?

MMW: „Über persönliche Dinge wollten wir doch nicht reden!“

ME/Sounds: Aber das ist doch der springende Punkt: Warum hat man deiner Meinung nach Interesse am Privatleben der Künstler?

MMW: „Die Fans haben wohl Interesse daran, weil sie wissen wollen, wer der Mensch Marius ist. Viele Journalisten hingegen stochern aus rein kommerziellen Erwägungen in anderer Leute Privatleben herum.“

ME/Sounds: Anders gefragt: Würdest du nicht auch gerne etwas über die Person und die Persönlichkeit der Leute, die dich interessieren, erfahren?

Wir hatten schon des öfteren das Vergnügen. Aber selbst dann sind Interviews mit MMW kein Zuckerschlecken: Privates wird von vorneherein ausgeklammert: Unterrock-Schnüffelei, Kollegen-Beschimpfe, schmutzige Wäsche waschen? Nein danke!

Das Stichwort heißt Presse-Paranoia. Nach dem „Over-Exposure“ in der Vergangenheit will Marius seine Arbeit beurteilt wissen, nicht sich selbst. Im „Theo“-Jubel fast ertrunken, hat er hautnah erleben müssen, wie Medien-Mechanismen ihr Eigenleben entwickeln. Aber Schneemänner weinen nicht. Sie handeln: Das „Idol der Turnschuh-Generation “ trat selbst auf die Publicity-Bremse.

Nun ist die innere Emigration beendet, das alte Image abgetragen. Daß der neue Marius kein pflegeleichter Allzweck-Star ist. verwundert niemanden, verlangt auch keiner. Unbequem, aber durchaus sympathisch das Marius-Motto: „Lieber verbrennen, als so n leiser Furz zu sein“.

MMW: „Sicher, aber über diejenigen, die mich interessieren-wie z.B. Robert de Niro -, erfährt man in der Regel rein gar nichts. Im übrigen bin ich dafür, daß man nach seiner Arbeit beurteilt wird – und nicht nach seinem Privatleben! Man braucht eine Insel, wo man allein ist und die man nicht preisgeben sollte. Andernfalls ist man verletzbar.“

ME/Sounds: Auf dem Höhepunkt des „Theo“-Booms wolltest du jedes Interview vordem Druck lesen. Warum?

MMW: „Ich wollte einfach richtig zitiert werden. In einem Vier-Augen-Gespräch sagt man schon manchmal Dinge, die gedruckt einen ganz anderen Stellenwert bekommen.

Okay, ich hatte damals wirklich so etwas wie eine Presse-Paranoia. Nicht von ungefähr! Man ging soweit, Sprechweise und Diktion der .Theo-Figur auf mich zu übertragen. Das hat mich gestört.“

ME/Sounds: Abgesehen davon – was hat dir die Presse im einzelnen angetan?

MMW: „Eigentlich nichts! Ich sehe das heute auch eine ganze Ecke cooler, da mich dieser Mechanismus, der vielleicht ein speziell deutsches Phänomen ist, heute nicht mehr so extrem betrifft. Solange man angesagt ist, registrieren die Medien jeden Furz, und die amtlichen Jubel-Perser pushen dich in ungeahnte Höhen.

Da es jedoch irgendwann mal für Presse und Publikum uninteressant wird, nur Gutes zu schreiben oder zu lesen, verkehrt sich das-Ganze ins Gegenteil. Der Jubel wird zu Häme – und dieselben, die dich hochgejubelt haben, stampfen dich jetzt mit Wonne in den Boden. Das ist nicht nur ungesund, sondern für viele auch tödlich.

Diesem falschen und ungesunden Interesse ist man nur gewachsen, wenn man sich isoliert. Nur so kann man die Leute stoppen, die mit diebischer Freude darauf warten, daß dem erfolgreichen Arschloch da oben auch mal was in die Hose geht.“

ME/Sounds: Welche Eigenschaften schätzt du an Frauen?

MMW: „Also erst einmal kann ich das nach Geschlecht nicht trennen. Zu den Eigenschaften, die ich an Menschen schätze, gehören Loyalität, Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit und – vor allem – Humor, der zeugt von Intelligenz.“

ME/Sounds: Liest du deine Fanpost?

MMW: (zögert) „Manchmal! Die meisten verlangen sowieso nur ein Autogramm. Dann gibt es wieder Leute, die dir jahrelang schreiben – oft mit den unsinnigsten Anliegen.“

ME/Sounds: Lernt man seine Verehrer/innen) auch einmal persönlich kennen ?

MMW: „Sicher, auf Tourneen. Ein Mädchen ist uns neulich hinterhergereist. Man spricht dann schon mal ein paar Worte mit ihnen, aber man darf da nicht zuviel Nähe aufkommen lassen, sonst macht man ihnen ungerechtfertigte Hoffnungen. Das ist Publikum, und ich unterhalte sie.“

ME/Sounds: Apropos Tourneen. Ist dir der Weg von den großen Arenen in die mittelgroßen Hallen schwergefallen?

MMW: „Ehrlich gesagt: Nein! In den Arenen kommt es meist nur noch auf Energie-Übertragung an; Musik findet eigentlich nur in den kleineren Hallen statt. Wenn man als Musiker voll im Trend liegt, kommen

viele Leute nur aus Neugier. Mit dir und deiner Musik haben die meist wenig im Sinn.“

ME/Sounds: Die meistzitierteste Zeile von der letzten LP ist wohl: „Lieber verbrennen, als so n leiser Furz zu sein“. Verstehst du dich als Rebell?

MMW: „Wohl nicht im klassischen Sinne des Worts. Das ist, mit aller Deutlichkeit gesagt, eine Liedzeile. Ich halte die Flamme schon so. daß ich nicht verbrenne. Der Song mit dieser Zeile entstand aus Frust nach dem ,Rockpop in Concert-Auftritt. Wenn man dem Geschäft .Rockmusik‘ ganz böse will, dann würde ich sagen: Dumme Leute machen dumme Musik für dumme Leute. Leider ist das in vielen Fällen so.

Bei dem besagten Auftritt tat mir vor allem Joe Cocker leid. Okay, das ist so ein Mülleimer-Typ; auch zum Treten und Getreten-Werden gehören immer zwei. Ich frage mich dann: Warum läßt der Mann das bloß mit sich machen? Nur für Geld? Für mich ist Musik ein Teil meines Lebens, aber eben nur ein Teil. Es gibt auch noch andere Dinge. Wenn man sich zu sehr vereinnahmen läßt, verliert man. so vermute ich, auch seine Qualitäten. Man verbrennt!“

ME/Sounds: Aber wurde nicht Leidenschaft, innere Beteiligung, eben Verbrennen immer als das Benzin der Kreativität angesehen?

MMW: „Sicher! Für den ,Schneemann‘ habe ich auch drei Jahre gekämpft, damit der Film so wurde, wie er jetzt ist. Aber hinterher muß man das Ganze auch wieder relativieren können – Abstand gewinnen, runterkommen!“

ME/Sounds: Was tust du um runter zukommen ?

MMW: „Nichts, ich komme runter! Nach großen Arbeiten habe ich schon .Depressionen‘, man ist runter und down und merkt, – ums profan zu sagen. – daß man die Welt doch nicht verändern kann. Im Laufe der Jahre habe ich diese Phasen immer besser in den Griff bekommen: Erstens nehme ich mich nicht mehr so wichtig und zweitens weiß ich genau, was gut und was schlecht für mich ist. Ich bin nicht mehr so leicht zu verunsichern, nicht mehr so abhängig von externer Bewunderung.“

ME/Sounds: Man liest hier und da. daß die Figur des „Dorn“ im „Schneemann“ eine Neuaullage des „Theo“-Mythos sei. Wie denkst du darüber?

MMW: „Ich glaube, das ist Blödsinn. Der Dorn ist als Figur wesentlich stimmiger als der Theo. Ich habe den Film jetzt ein paar Mal gesehen und finde, daß ich ein gehöriges Stück weitergekommen bin. Das ist sicherer, genauer, gesetzter – Dorn ist einfach ein Mann und kein Junge. Das gibt mir Hoffnung, denn als Schauspieler wird’s ja erst ab 40 richtig interessant. Da habe ich noch alles vor mir.“

ME/Sounds: Stell dir vor. wir schrieben das Jahr 1995. Wen kannst du dir besser vorstellen – den Schauspieler oder den Musiker Marius Müller-Westernhagen?

MMW: „Schwer zu sagen. Ich werde so lange Musik machen, wie es mir Spaß macht, und ich identisch damit bin. Die Frage ist nur: Wer kommt in zehn Jahren? Welches Publikum habe ich dann? Der Schauspieler wird es da vielleicht einfacher haben.

In der Rockmusik verkauft man ja seine Jugend mit. obwohl sich das immer mehr als ein Überbleibsel, als ein Mißverständnis aus den Sechzigern entpuppt. Musiker sind keine politischen Idole, keine Heroen inzwischen ist das Showbusiness. Punkt!“

ME/Sounds: Was wolltest du als kleiner Junge werden?

MMW: „Nur Fußballer! Mein Problem war. daß ich zu schmächtig war. Heute sucht man ja wieder Techniker, aber seinerzeit war der Muskelberg gefragt. Ich hatte noch die Hinterhof-Ausbildung als Fußballer, bin sogar mit zu Lehrgängen gefahren und konnte mit beiden Füßen schießen, aber wenn man dich dreimal umgerannt hatte, hattest du halt schlechte Karten.

Außerdem – wenn ich heute sehe, wie die sich auf die Knochen wichsen, bin ich ganz froh, daß ich kein Berufskicker geworden bin. Außerdem sind die drogenmäßig höchstwahrscheinlich ebenso heavy drauf wie manche Musiker. Ich habe seinerzeit mal Flohe interviewt – und der hat offen zugegeben, daß Doping in der Bundesliga an der Tagesordnung sei.“

ME/Sounds: Musiker sind, so hast du vorhin gesagt. Entertainer, die im Showgeschäft sind und keine politischen Saubermänner mit hehren Idealen…

MMW: „Das anzunehmen, wäre ja auch äußerst verlogen. Musiker verdienen Geld, wenn sie Glück haben, sogar sehr viel Geld. Das ist ja nichts Ehrenrühriges. Aber wenn man sich ein Image aufgebaut hat, wonach Geld des Teufels ist, dann finde ich das albern. Wenn einer viel verdient und mit einem Rolls vorgefahren kommt, warum nicht?

Gerade in Deutschland gibt es da so ein paar Herrschaften, die sich einen abkneifen, bis der Mercedes bestellt wird und die so tun, als besäßen sie nichts außer ihrer vergammelten Jeans. Dabei sind die mittlerweile schwerreich. Das ist doch albern und verlogen.“

ME/Sounds: Stichwort Benefiz-Platte…

MMW: „Oh ha. gutes Thema! Da habe ich mich kürzlich schon drüber ereifert. Seit ich die Nummer von den Amerikanern gehört habe, schäme ich mich nur noch – wie die singen, wie das klingt!! Bei der deutschen .Band für Afrika‘ ging alles viel zu hektisch zu: Treffen, Vorschläge, Abstimmung. Es gab verschiedene Fraktionen, und als man sich dann entschieden hatte, wurde an zwei Nachmittagen dieser Song zusammengestückelt.

Normalerweise braucht man heute für eine gute Single sieben bis acht Tage. Bei der ,Band für Afrika‘ kam jeder mal ins Studio und hat gesungen – und so klingt das dann auch.“

ME/Sounds: Konkrete Frage: Warum hat man sich nicht auf wenige Vorsänger geeinigt?

MMW: „Weil wir in Deutschland sind deshalb! Mir hätte ein Platz im Chor gereicht. Aber nein, jeder mußte eine Zeile plärren!

Es ging doch darum, die kommerziellste Nummer überhaupt zu finden – eine Nummer, die jede Großmutter kauft. Mit Profilierungssucht oder hochfliegenden künstlerisehen Ambitionen hatte das doch rein gar nichts zu tun. Für’n Arsch! Das war Studentenkram, da fehlte es an Souveränität und Intelligenz. Nun ja, wir haben eine Menge verkauft, aber bei dem Künstler-Aufkommen und bei dem Impact hätte die Nummer viel länger an der Chartspitze stehen müssen.

Und wenn man da schon Profilierungsgelüste verspürte, dann hätte man sich auch Mühe geben müssen, denn in gewisser Hinsicht ist der Song ja ein Aushängeschild deutscher Musik. Stattdessen waren alle hektisch, drängelten, guckten auf die Uhr. So nicht!!‘ ME/Sounds: Was denkst du von der Benefiz-Idee an sich?

MMW: „In Afrika war und ist eine Situation, wo einfach geholfen werden muß egal wie! Wer das PR-mäßig für sich ausschlachtet, hat das mit sich abzumachen. Übel wird mir nur, wenn ich in der .Bild am Sonntag‘ lese, daß Frau Nena. edel wie sie ist, aus eigener Tasche DM10 000 gespendet hat. Das geht doch niemanden etwas an. Bei einer konzertierten Aktion wie der .Band für Afrika‘ konnte keiner ausscheren; die Hauptsache war und ist, soviel Geld wie möglich zusammenzukriegen.“

ME/Sounds: Videos gehören heute zum Musik-Alltag. Warum gibt es keine MMW-Videos?

MMW: „Weil es bei uns außer .Formel Eins‘ keine Show gibt, wo man sie einsetzen kann. Dabei wäre es recht interessant gewesen, von .Mackie Messer ein Video zu machen.“

ME/Sounds: Was hältst du von der gewandelten Mediensituation: Videos. Telespiele. etc. ?

MMW: „Nichts! Ich hasse diesen Video-Kult: Erstens, weil er die Leute vom Kino fernhält – und zweitens, weil er zur Desensibilisierung beiträgt. Ich war in .Paris, Texas‘ und habe mit Erschrecken feststellen müssen, daß junge Zuschauer bei einem 10-Minuten-Dialog das Kino verließen. Warum? Weil sie zuhause vorspulen, bis wieder gebumst wird oder Autos ineinanderrasen Diesem Konsumdenken wird in Amerika noch Vorschub geleistet. Nimm z.B. Spielberg-Filme: Die sind von vorne bis hinten durchkalkuliert. Alles ist erforscht: der Stoff.

die Akzeptanz der bcnauspieler, usw. Schlimm!

Aber genau da liegt die Chance des europäischen Films. Wir haben nicht soviel Geld und müssen uns etwas einfallen lassen.

Aber auch bei uns gibt es genügend Negativbeispiele. Selbst auf die Gefahr hm. daß ich mir Feinde mache: Die Gottschalk/ Krüger-Filme sind für mich der blanke Zynismus. Die beiden sind dazu eigentlich viel zu intelligent. Sie wissen ganz genau, daß sie Scheiße machen.“

ME/Sounds: Steht diese Aussage nicht im Gegensatz zu deinem oben geäußerten Verständnis von Entertainment?

MMW: „Überhaupt nicht! Entertainment hat doch mit mangelnder Qualität nichts zu tun. Man hat schon die Pflicht, das Optimale an Qualität zu bieten. Man darf nicht seine eigenen Ansprüche runterschrauben, nur um dem Publikum zu gefallen. Denn so blöd, wie man meint, sind die Leute nicht!“

ME/Sounds: Was macht dich wütend?

MMW: „Wütend macht mich nicht mehr soviel. Was mich ärgert, ist Ignoranz, Neid. Intoleranz und das – vor allem in Deutschland verbreitete – Uniformierungs-Denken: Als Grüner muß man ausgebeulte Cordhosen & Parka tragen, und sich möglichst eine Woche die Haare nicht waschen.“

ME/Sounds: Lebst du gerne in der Bundesrepublik?

MMW: „Nun, ich bin hier gboren, verankert, man spricht meine Sprache. Wir kämpfen hier mit drei Problemen: Erstens sind wir mit angloamerikanischer Musik aufgewachsen und stellen fest, daß uns die Wurzeln eigentlich fehlen.

Zweitens. Wir haben ein merkwürdiges Verhältnis zu unseren Stars – wohl wegen der Nazi-Zeit.

Und drittens: Wir leben mit sehr vielen Menschen auf sehr engem Raum zusammen, was Neid und Mißgunst fördert. Wie kann der fröhlich sein? Wieso lacht der? Warum hat der mehr als ich? Dauernd checkt jeder jeden.“

ME/Sounds: Hast du einen Home-Computer?

MMW: „Nein, dafür habe ich keine Ader. Ich schreibe meine Texte mit der Hand und tippe sie nachher in die Schreibmaschine.“

ME/Sounds: Hast du Angst vorm Zahnarzt?

MMW: „Hatte ich mal. 11 Jahre lang habe ich mich vor einem Zahnarztbesuch gedrückt. Durch Zufall habe ich dann einen Doktor gefunden, der nicht gleich mit dem Bohrer ankam, sondern mir alles nett erklärte.“

ME/Sounds: Mit welchen Zeitgenossen würdest du gerne mal zu Abend essen?

MMW: „Schwer zu sagen. Großteils wohl mit Leuten aus der Politik. Zum Beispiel mit Gaddafi.“

ME/Sounds: Wie ist es mit unserem Bundeskanzler?

MMW: „Ja, wenn ich mal einen Abend lang anständig lachen möchte. An deutschen Politikern würde mich interessieren Brandt, Schmidt. Wehner und Strauß.“

ME/Sounds: Hältst du dich für höflich?

MMW: „Ja, ich würde einer alten Dame über die Straße helfen.“

ME/Sounds: Hast du Angst vorm Altern?

MMW: „Hm, hatte ich phasenweise. Jetzt nicht mehr? Man gewinnt Sachen und verliert andere. Wenn man es schafft, sich immer wieder neue Perspektiven zu eröffnen, halten sich Gewinn und Verlust die Waage. Ich habe nur Angst davor, über Körper und Geist keine Kontrolle mehr zu haben. Das wäre schrecklich.“

ME/Sounds: Welche Zeitungen liest du?

MMW: „Stern. Spiegel…“

ME/Sounds: ME/Sounds?

MMW: „… ehrlich? Nä!“

TEDDY HOERSCH (Um diesem kulturellen Defizit ein Ende zu setzen, entschloß sich die ME/Sounds-Redaktion in seltener Einmütigkeit, Herrn Marius Müller-Westernhagen ab sofort ein Frei-Abo zukommen zu lassen!)