Matthew Sweet – Girlfriend


Was lange währt, wird endlich gut.

Aus zwei Jahren Gefühlschaos und Daseinsfrust formt Matthew Sweet Pop-Perlen für die Ewigkeit.

Aller guten Dinge sind drei. Mit zwei Alben — Jnside‘ (1986) und „Earth* (1989) — machte der Mann aus Lincoln, Nebraska, auf sich aufmerksam, und erntete dos Übliche: hervorragende Kritiken, fehlendes Publikumsinteresse. Doch die dritte Arbeit sollte aus dem Sänger, Songwriter und Gitarristen einen Sieger machen. .Girlfriend* ist vom romantischen Covergirl bis hin zum letzten Ton ein Meisterwerk, wahre Popkultur, wie man sie heute nur noch selten zu hören bekommt. Alles fließt lebt und atmet, Fehlerquoten eingeschlossen, denn es sind gerode die menschlichen Ungenouigkeiten, die .Girlfriend“ so überzeugend machen. Was in einem New Yorker Studio mit Hilfe bekannter Freunde — Fred Mäher als Co-Produzent und Schlagzeuger, Lou Reed-Gitarrist Robert Quine, Ex-Television Richard Lloyd und seinem persönlichen Freund Lloyd Cole — eingespielt wurde, klingt schlichtweg spontan. So, als habe man eben erst die Idee zu dem Song gehabt und längst vergessen, daß es überhaupt technischer Hilfsmittel bedarf, um Musik zu konservieren. Und gerade diese Direktheit und Intimität machen die Größe dieser Platte aus. Ob Sweet in bester Crozy Horse-Monier die verzerrten Gitarren aufheulen läßt {.Girlfriend‘) oder seufzend die eifersüchtigen Zweifel eines verunsicherten Lovers (.Winona“) besingt, ob er auf die göttliche Fügung (.Divine Intervention“) wartet oder zu schleppendem Groove mehrstimmige Chöre („Evangeline‘ addiert — .Girlfriend“ ist in seiner Vielfalt stimmig, — leicht und tiefschürfend, heiler und melancholisch, romantisch und zynisch zugleich. Melodien auf Taille und Rockwut aus dem Bauch zeugen von berückender Echtheit. Matthew Sweet macht Erfahrungen hörbar: den Frühling einer neuen Liebe, den Winter einer zerbrechenden Ehe, mit allen Zwischentönen menschlicher Emotion im Zweiertakt. Charmantes Schmuckwerk zu den sechzig Minuten für’s Herz versteckt sich zwischen den Zeilen: ein Jefferson Airplane-Zitat im Titelsong, ein im Song locker angezähltes Solo, ausfransende Fade outs. Man ist als Hörer hautnah dabei und sollte — wie vom Maestro empfohlen — nicht zögern, die fünfzehn Songperlen laut zu hören. „What a beauliful moment / the truth comes out at last.. .!* llh)

DIE SCHLAGE

Matthew Sweets leichte Popweisen waren eine schwere Geburt. Zwei Label-Wechsel, und zwei hochgelobte, aber erfolglose Alben bildeten das wenig rühmliche Startkapital für „Girlfriend“. Und damit ging das Schlamassel erst los. Während der Vorbereitungsphase zur dritten LP trennte er sich von seiner Ehefrau, .die schrecklichste, schmerzhafteste Erfahrung“ seines Lebens. Um das Wirrwarr der Gefühle zwischen den Tönen perfekt zu machen, stolperte er kurz darauf über seine Jugendliebe, um mit ihr prompt einen zweiten Frühling einzuläuten. .Ich spazierte während der Produktion dieser Platte am Rande des Nervenzusammenbruchs.“ Ein (Un)-Glück kommt selten allein. Kurz vor Fertigstellung seines emotionalen Hindernislaufes in musikalischer Form wurde Sweefs A & R-Mann bei seiner Plattenfirma gekündigt — und der Künstler flog gleich mit raus. Als letzter Tropfen war das mehr als genug: .Da hebst du gerade den Kopf aus dem Dreck und kassierst gleich den nächsten Hieb.“ Und noch einen drauf: Eine Überschwemmung in seinem Haus in Prlnceton, New Jersey, ruinierte seine gesamte Gitarren- und Plattensammlung. .Das Schicksal war eindeutig gegen mich und meine Musik.“ Mit den fertigen Bändern, ohne Geld, ohne Plattenvertrag, war Sweet kurz davor, eine akademische Karriere als Steinzeitforscher einzuschlagen. Bis das spate Wunder mit dem amerikanischen Label ZOO kam. Der Chef persönlich wurde dort auf Sweets Werk aufmerksam und entschloß sich sofort, die Platte zu veröffentlichen. Der Künstler dankte es ihm mit einem fröhlicheren Titel: Statt .Girlfriend* hatte er eigentlich .Nothing Lasts“ vorgesehen.

DIE KÜSSE

Schicksalsschläge in dieser Massierung (siehe links), hauen den stärksten Musiker aus den Stiefeln. Es sei denn, er hat einen guten Freund, der ihm hilfreich zur Seite steht. Matthew Sweet hatte Glück – gleich zwei treue Musiker-Kollegen hielten ihm in den letzen Jahren immer dann die helfende Hand hin, wenn ihm das Wasser bis zum Halse stand: Fred Mäher und Lloyd Cole. Mäher, nach seiner Zeit als Schlagzeuger bei „Material“ gefragter Produzent für schwierige Fälle (Scritty Polftty, Lou Reed), erklärte sich Anfang 1990 bereit, Sweets neue Songs zu produzieren. Und mehr noch – Mäher sprach mit dem Besitzer seines Stammstudios in New York, Matthew (der die Aufnahmekosten vorstrecken mußte) nicht allzu schwer zur Kasse zu bitten. Mäher erinnert sich: .Wir hatten für etliche Songs schon einen Drumcomputer programmiert, auch um Geld zu sparen. Dann spielten sie aber derart harte Gitarren dazu, daß ich kurzerhand mein Set aufgebaut habe, um per Hand zu trommeln.“ Ein echtes Kunststück, denn der Aufnahmeraum im „Axis‘-Studio ist gerade mal acht Quadratmeter groß. Mähers größere Leistung aber war es, die chaotische Arbeitsweise des wilden Sweet und seiner Gast-Gitaristen Richard Lloyd (Television) und Robert Quine (Lou Reed) in Pop-Bahnen zu lenken:

.eigentlich spielten wir Punk-Sessions, die ich am Abend der Aufnahmen immer sofort gemischt habe — mit dem brutalen Gitarren-Lärm im Ohr.“ Weniger lärmig ging Lloyd Cole, Sweets zweiter Kumpel, zur Sache – er stellte feineren Saiten-Klang von Tremolo-Gitarre bis Western-Klampfe (kostenlos) zur Verfügung: Matthew hat mir bei meinen letzten beiden IPs sehr geholfen. Klar, daß ich mich da revanchiere.“