Oral History

Musiker erzählen von den Abenteuern, die sie erlebt haben als die Berliner Mauer fiel


Zum Jubiläum 30 Jahre Mauerfall: eine Oral History von und mit MusikerInnen, die die Ereignisse des 9. November 1989 live auf beiden Seiten der Berliner Grenze miterlebt haben. Mit Berichten von Faith-No-More-Bassist Billy Gould, Jacques Palminger, Mia-Schlagzeuger Gunnar Spies, Christiane Rösinger und anderen Zeitzeugen, die sich an diese sagenhafteste Nacht der neueren deutschen Geschichte erinnern.

Ghazi Barakat: „Westberliner beleidigten Ostberliner, es ging hin und her …“

Ghazi Barakat, 1965 in Frankfurt am Main als Sohn eines PLO-Diplomaten und einer Deutschen geboren und aus ungewöhnlichen Gründen mit der DDR vertraut wie nur wenige im Westen, wurde mit Bands und Projekten wie Golden Showers und Boy From Brazil zur legendären Berliner Underground-Figur.

Auch ich wohnte damals in einer WG in Kreuzberg, gleich an der Mauer. Als um 22 Uhr meine Mutter ins Telefon rief: „Die Mauer ist offen!“, lehnten wir uns zuerst einmal aus dem Fenster und schauten nach: Bei uns stand sie noch. Wir hatten zwar einen Fernseher, aber auf dem guckten wir nur Videos. Dann riefen allerdings immer mehr Leute bei uns an, also liefen wir doch mal los zum Grenzübergang am Moritzplatz.

Ghazi Ende der 80er-Jahre in einer Kneipe in der Berliner Oranienstraße.

Dort ging es ab! Wie viele andere Kreuzberger wollten wir gleich in den Osten hinüber, aber die DDR-Grenzer hielten uns ab. Es gab Stress. Leute, die aus Ostberlin kamen, verteidigten sogar ihre Grenzbeamten. Westberliner beschimpften Ostberliner und umgekehrt. Die Spannungen, die es bald zwischen Ost und West geben sollte, waren für mich also schon in dieser Nacht zu spüren.

Am Tag drauf hatte ich Geburtstag und feierte eine typische exzessive Westberliner Riesenparty – mit 30 zusätzlichen Gästen aus Ostberlin! Die kannte ich alle, weil ich als Palästinenser Mitte der 80er im Bruderstaat DDR eine Berufsausbildung mit Abitur gemacht hatte. Drei Jahre hatte ich in Neubrandenburg gelebt, war von dort an den Wochenenden aber immer wieder nach Ostberlin geflohen, auf der Suche nach Leuten, die Punkrock mochten und John Peel hörten.

Rosa Extra waren eine der ganz frühen DDR-Punkbands; hier bei einem Hoffest im Prenzlauer Berg 1984, bei dem auch Ghazi mit dabei war.

Da war ich schnell fündig geworden, bald kannte ich die ganze Szene: Stefan Döring, Robert und Ronald Lippok, Bernd Jestram und so weiter. Auch bei Rosa Extra, der Vorläuferband von Die Skeptiker, hatte ich schon als Gastsänger mitgemacht. Als die Mauer fiel, sah ich all meine alten Freunde wieder!

Ghazis aktuelle musikalische Projekte heißen übrigens Pharoah Chromium und Abstract Nympho.

Rainer Jestram