Mavi Phoenix im Interview: „Den Künstler von damals gibt es nicht mehr“
Zwei Jahre lang hat Mavi Phoenix sich Zeit genommen und eine Öffentlichkeitspause eingelegt. Nach seinem Outing als Transgender begann er mit der Transition – und zeitgleich mit der Arbeit an seinem zweiten Studioalbum MARLON. Wir haben uns über die Turbulenzen des Datings, Männlichkeitsbilder, Britpop und Stimmveränderungen unterhalten.
Wie ein junger, unverbrauchter Pete Doherty – so strahlte Mavi Phoenix im vergangenen Jahr in seinem ersten Fernseh-Auftritt seit seiner Öffentlichkeitspause. Mit „Nothing Good“ präsentierte er beim „Neo Magazin Royale“ einen neuen Gitarren-Sound mit ordentlich Britpop als Treibstoff.
Nicht nur der Albumtitel MARLON ist als nun bürgerlicher Name des Künstlers ein Statement. Auch seinen Sound hat Mavi Phoenix einmal umgekrempelt. Mit dem Langspieler hat er sich von seinem lange charakteristischen Autotune entfernt und dafür der Gitarre angenähert. Von Emo, Indie-Rock bis zum Britpop zelebriert MARLON die alternativen Gitarrengenres der 2000er. Alteingesessene Fans müssen aber auch die Rap-Parts nicht missen.
Thematisch spricht die Platte vor allem von den Turbulenzen des Datings in den Mittzwanzigern: Hoffnungsschimmer, anfängliche Euphorie, Nähe-Distanz-Spiele und dann doch wieder Desillusionierung. Davon lässt sich Mavi Phoenix allerdings nicht allzu lange runterziehen. Seine Songs stecken voller Selbstfindung, Sexpositivität und dem eigenen Umgang mit mentaler Gesundheit.
Musikexpress.de: Wie schnell stand der Titel deiner Platte MARLON für dich fest?
Mavi Phoenix: Sehr schnell! Während des Prozesses kamen mir trotzdem Zweifel, ob er der richtige oder doch zu öde ist, weil es einfach mein Name ist. Im Endeffekt ist MARLON für mich aber viel mehr als ein Name. Es war ein Hoffnungsschimmer, wie ein Licht am Ende des Tunnels.
Ein großes Motiv, das aus dem Album rauszuhören ist, ist die Liebe und das Schreiben über Dating sowie romantische Zuneigung. Auch eine Storyline dahingehend ist auf der Platte erkennbar. Hast du das für dich auch so konzipiert?
Ja und das ist alles auch sehr lustig für mich, weil ich vorher nie so viel über die Liebe geschrieben habe. Auf einmal war dieses Thema wieder sehr präsent — als wäre es das erste Mal, dass ich mich wieder verliebe. So hat es sich zumindest angefühlt. Deswegen ist auf einmal so viel Stoff für die Songs da gewesen. Vorher dachte ich immer: „Über die Liebe schreiben, ganz cool, aber macht irgendwie jeder“. Und dann habe ich es doch selber gemacht.
Der Opener der Platte „Only God“ wirkt beinahe spirituell. Du singst: „You’re my only god / I put you on a pedestal“. Dadurch bekommt der Song einen sakralen Charakter.
Ich bin ein Mensch, der, wenn er wirklich verliebt ist, mit Haut und Haaren drinsteckt. Da erkenne ich mich dann teilweise auch selber nicht wieder. Und ich denke, alle kennen es, dass eine Person manchmal Seiten an einem hervorbringen kann, die man so noch nicht kannte. Der Song ist eine Anspielung auf diesen Zustand. Verliebtsein ist wie krank zu sein. Wie wenn man mit Grippe im Bett liegt.
Im Kontrast dazu findet gegen Ende des Albums förmlich eine Desillusionierung statt. Im vorletzten Track „Pretty Life“ singst du die Zeilen: „It was a pretty life / But right here, right now Imma say this is a sacred life“. War das ein bewusster Schritt, eine Person nicht mehr so stark glorifizieren zu wollen, sondern davon abzurücken und wieder aufs Leben zu schauen?
Voll! Es ist spannend, weil ich die Songs immer schreibe ohne viel darüber nachzudenken. Aber jetzt, wo wir so darüber reden: Der Song ist wirklich entstanden, als ich dann auch darüber hinweg war. Zu einer Zeit, als ich langsam gemerkt habe: Jetzt bin ich wieder normal. Und wie weird, was die letzten Monate passiert ist.
Neben dem markanten Kontrast zwischen Anfang und Ende, fallen aber auch mehrere Entwicklungen innerhalb der Storyline des Albums auf. Songs wie „Leaving“ und „Nothing Good“ sprechen die langsam frustrierende Erkenntnis an, die entsteht, wenn die Beziehung nicht so läuft wie man möchte.
„Leaving“ beschreibt wirklich den Moment, wenn man noch absolut drinnen ist, in der ganzen Sache. Aber auf der anderen Seite schon sieht, dass es eigentlich nichts werden kann. Und trotzdem probiert man es immer wieder und wieder. Im Endeffekt läuft es aufs „Leaving“ hinaus, man will es aber nicht wahrhaben, weil man noch verliebt ist. In dem Song bin ich sicher stärker rübergekommen, als ich in dem Moment war. Das war auch das, was ich wollte: Zu sagen, „ich geh jetzt“. Aber in Wirklichkeit war es gar nicht so. Manifestieren wollte ich es trotzdem.
Der Song hat auch einen gewissen Stadion-Charakter — auch wenn er eher langsam ist. Aber die Britpopeinschläge geben „Leaving“ zusammen mit den Lyrics etwas Hymnenartiges.
Das Gefühl hatte ich auch. Wenn das jetzt irgendein Old White Guy vor 60 Jahren geschrieben hätte, könnte es voll der klassische Hit sein.
In den Songs „Just An Artist“ und „Moon“ beschreibst du expliziter eine toxische Beziehung und — Stichwort einer Generation – emotionale Unverfügbarkeit. Auf „Moon“ gibt es passend dazu die Zeilen „So let me know when you’re ready / To call me your boyfriend“, auf die die andere Person dann antwortet: „Actually I’m scared now / I think I’m gonna back out of this as soon as I can“. Ist diese Unverbindlichkeit in Beziehungen etwas, das dich stark beschäftigt hat?
Ja, zu dieser Zeit hatte ich gerade mit den Hormonen angefangen und war auch äußerlich ein Mann. Damit habe ich neu zu daten begonnen. Und es hat sich alles auch so neu angefühlt — das war es ja erstmal auch. Ich musste meinen Platz finden. Was für ein Mann will ich überhaupt sein? Alle Geschichten sind mir in dieser Dating-Phase passiert. Eigentlich hasse ich Dating. Ich war auch immer jemand, der gesagt hat: Ghosten ist voll scheiße. Aber wenn du jemanden auf einer Dating-App kennenlernst und die Person schreibt nach zwei Sätzen nicht mehr zurück: get over it. Für mich ist die Musik ein Ventil dafür. Auf „Just An Artist“ singe ich ja auch: „I’m just an artist baby / My feelings consume me / I can’t go on if you don’t text me that emoji“. Das würde ich in echt niemals sagen. Aber in der Musik ist auch der Platz dafür, das gekränkte Kind und all die gekränkten Gefühle rauszulassen.
Ein weiteres Thema, das du auf MARLON ansprichst, ist das der psychischen Gesundheit. Beim Song „So Happy I’m Useless“ thematisierst du Medikation mit den Lines: „Thanks Mr. psychiatrist / For the pills I can see clearly / And I get cheap thrills“. Du setzt die Ironie so ein, dass man sich nicht hundertprozentig sicher sein kann, ob es purer Sarkasmus ist, du doch irgendwo glücklich bist oder ob die Medikation letztendlich ein zweiseitiges Schwert ist?
Ich habe gemerkt, dass das Thema der Mental Health im Moment generell viel mehr diskutiert wird. Gerade durch Corona. Und ich merke auch in meinem Umfeld, dass es vielen Leuten seit der Pandemie schlechter geht. Bevor „So Happy I’m Useless“ entstand, stand ich vor der Entscheidung Antidepressiva zu nehmen oder nicht. Dann habe ich recherchiert und von Leuten auf Reddit gelesen, man würde sich wie ein Zombie fühlen und habe echt Schiss bekommen. Trotzdem wusste ich aber auch, dass es so für mich nicht weitergeht. In dem Song habe ich diese Angst verarbeitet, dass es mir dann vielleicht besser geht, aber man nichts mehr mit mir anfangen kann und ich nur noch vor mich hinvegetiere. Die Angst war zum Glück letztendlich unberechtigt. Fragt lieber euren Arzt statt auf Google zu lesen. Alle reagieren anders darauf.
Im Mai vorigen Jahres hattest du deinen ersten Auftritt seit deiner Transition beim „Neo Magazin Royale“. Du bist dort schon 2018 einmal aufgetreten — ein mehrschichtiges Comeback quasi. Wie hast du den Abend in Erinnerung?
Er war auf jeden Fall stressig. Ich habe sehr viel Druck verspürt, weil ich wusste: Das ist der Moment, in dem ich abliefern muss. Wie in der Abi-Prüfung. Und du denkst dir: Ich habe so viel auf diesen Moment hingearbeitet und es sind alle da vom Team. Gleichzeitig habe ich mich total gefreut. Es ist so ein krasses Gefühl, wenn ein Orchester deinen Song begleitet, den du in Wien in deiner Mini-Wohnung geschrieben hast. Es hatte fast etwas von „Bitter Sweet Symphony“, als die Strings einsetzten.
Du hast im Juli 2021 ein Video gepostet: „One Year on Testosterone: Voice Updates“, in dem du den Prozess der Veränderung deiner Stimme durch Testosteron mit uns teilst. Wie bist du musikalisch mit diesen Stimmänderungen umgegangen?
Ich war schon etwas lost am Anfang. Ich hatte sehr darauf gewartet, dass sich die Stimme verändert. Habe das auch jeden Morgen nachgeprüft. Und nach vier oder fünf Wochen ging es wirklich sehr schnell. Es hört sich erst an, als ob du heiser wärst oder eine Erkältung hättest. Währenddessen habe ich die ganze Zeit geschrieben und an Songs gearbeitet. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich eine Melodie im Kopf habe, die ich umsetzen will, es aber nicht mehr hinbekomme. Meine Muskeln hatten sich ganz anders erinnert an beispielsweise diese und jene Anstrengung, um ein hohes C zu produzieren. Auf einmal ging es nicht mehr. Ich ging deshalb zum Gesangsunterricht, um wieder ein Gefühl für meine Stimme zu bekommen. Habe am Anfang viel gerappt und später erst wieder mit dem Singen angefangen. Aber als die Songs schließlich zur neuen Stimmlage gepasst haben, hat sich das umso schöner angefühlt.
Musstest du auch einige Songs wieder umschreiben?
Ja, „Leaving“ zum Beispiel hatte ich vor der Transition schonmal aufgenommen. Kurz vor der Veröffentlichung der Platte machten wir das nochmal. Es war ein pain in the ass. Die Tonlage war eigentlich sehr hoch. Ich habe durchgebissen und daran gearbeitet, weil ich es mir nicht versauen lassen wollte. Von wegen ich könnte jetzt alles eine Oktave runtersetzen. Das hört sich dann scheiße an.
Im Februar 2020 warst du zu Gast beim Format „Auf Klo“ und hast Bedenken geäußert, mit deinem Outing vielleicht deine Karriere zerstört zu haben. Wie schätzt du das mittlerweile ein?
Ich würde tatsächlich sagen, dass ich die Karriere von Mavi Phoenix 2018 zerstört habe, weil es die de facto nicht mehr gibt. Beziehungsweise diesen Künstler von damals, den gibt es nicht mehr. Klingt hart, aber das merkte ich. Es ist nicht so, als würde ich total an der Vergangenheit hängen. Aber ich bin jetzt ein neuer Act. Ich muss mir mit diesem Album viel neu aufbauen, weil ich als Künstler wenig mit der Vergangenheit zu tun habe. Deswegen waren die damaligen Ängste berechtigt. Es ist jetzt weder besser noch schlechter, sondern einfach anders. Und das ist okay.
Auf der Tour deines vorherigen Albums BOYS TOYS hattest du einen Bühnenbanner mit dem Titel: „Just an average guy(?)“, der gleichzeitig auch als Zeile im Song „12 Inches“ des Albums vorkommt. Bist du der Antwort dieser Frage näher gekommen?
Was ist eigentlich ein „Average Guy“? Ist überhaupt irgendwer „average“? Aber: ja, ich bin der Antwort näher gekommen. Ein „Average Guy“ ist im Grunde das, was ich sein will. Ich will keine Extrawürste bekommen oder eine Spezialbehandlung.
Die ganz große Frage derzeit ist auch, wie definiert man überhaupt das Männlichkeitsbild neu? Wie würdest du ein positives Männlichkeitsbild definieren?
Wenn ich so durch die Welt gehe, bemerke ich, dass extreme Unterschiede gemacht werden zwischen Mann und Frau. Zum Beispiel wenn ich in ein Taxi steige und der Fahrer nett mit mir redet, mich seinen Bruder nennt und ich früher eher ein ungutes Gefühl hatte. Das ist so unglaublich unfair. Der Ball liegt bei den Männern selbst, wenn es darum geht, Männlichkeitsbilder zu verändern. Man muss aus den komplett männlichen toxischen Denkmustern ausbrechen. Erst neulich habe ich einen Post gesehen, dass niemand je Frauen entschuldigt im Sinne von „Das ist halt ein Mädchen“ oder „Girls will be girls“. Von Anfang an geht Weiblichkeit mit Restriktionen einher und Männlichkeit mit Freiheit.
Mavi Phoenix‘ zweites Studioalbum MARLON ist am 25. Februar 2022 bei LLT Records erschienen. Hier könnt Ihr das Album im Stream hören: