ME.Gespräch mit Thees Uhlmann und Benjamin von Stuckrad-Barre: „Es brennt grundsätzlich hinter uns.“
ME-Redakteur Jochen Overbeck traf die beiden Romanautoren Thees Uhlmann und Benjamin von Stuckrad-Barre zum Gespräch in der Raucherlounge des Hamburger Hotels „Atlantic“. Ein Gespräch über die Sucht, das Schreiben und Brandschutz.
Benjamin von Stuckrad-Barre hat ein neues Buch geschrieben. Es entstand im „Chateau Marmont“ in Hollywood und heißt „Panikherz“. Jetzt sitzt Stuckrad-Barre mit Thees Uhlmann in der Raucherlounge des Hotels „Atlantic“ in Hamburg. Uhlmann hat ihm Mentholzigaretten mitgebracht, er trägt helles Denim und sieht aus wie Thees Uhlmann. Benjamin von Stuckrad-Barre trägt wie immer eine weiße Hose, dazu ein blau-weiß gestreiftes Sakko über Casual Wear.
Woher kennt ihr euch eigentlich?
Stuckrad-Barre: Das Komische ist, dass wir uns wahnsinnig gut kennen, ohne uns zu kennen – so empfinde ich es zumindest. Wir haben uns in unserem bisherigen Leben zwei, drei Mal gesehen. Aber wir haben einen gemeinsamen Freund gehabt, Rocco Clein. Der war für uns beide sehr wichtig. Er hat mir immer von Thees erzählt, und es war völlig klar: Thees gehört zum Liebeskreis dazu. Und da sind gar nicht so viele Leute drin. Ich hatte Thees also als Erzählfigur im Herzen. Was Rocco von ihm berichtet hat – Oasis, Fußball, Hamburg – reichte aus, um zu wissen: Da besteht eine tiefe Verbindung.
Uhlmann: Ich glaub’ an die Kraft von so Leuten wie Rocco Clein. Der hat gesagt: „Ihr beiden müsst euch mal kennenlernen. Ihr werdet wahnsinnig viel Spaß miteinander haben.“ Und er hatte recht. Benjamin ist übrigens für das einzige Mal verantwortlich, dass ich morgens in der Dusche umgefallen bin. Ich war ein bisschen wackelig, dass einfach mein Kreislauf weggesackt ist. Wir waren einmal mit Rocco auf der Reeperbahn aus, und danach noch im „Roschinsky’s“. Und am Tag danach lag ich in der Dusche, das ganze Bad war geflutet und meine Freundin fragte: „Was machst du denn da?“ Unschöner Moment!
Stuckrad-Barre: So eine Nacht ersetzt ein paar Jahre Freundschaft. Rocco hatte immer gesagt: „Thees ist unser Mann, Bruder! Der schreibt übers Scheitern, der geht ins Risiko, nach vorn, der ist Hysteriker und liebt dieselbe Musik wie wir, hält sich nicht mit Coolnessquatsch auf, ein Herzensmann.“ Kurzum: Traummann, tiefe Verbundenheit nach Sekunden.
Uhlmann: Das ist toll, wenn man da jetzt mit 40 Jahren darauf zurückschaut. Rocco hat Nachrichten angesagt. Bei Viva Zwei. Ein Typ wie Rocco, das muss man sich mal vorstellen. Du hast dir ein Leben erfunden, ich habe mir ein Leben erfunden. Ich finde es reizend, mit 40 darüber nachzudenken, ob man das heute genauso machen würde. Gibt es diese Chancen überhaupt noch? Könnte man noch so bedingungslos auf sein Leben einschlagen, wie wir das getan haben? Was ich in deinem Buch gelesen habe, ist frappierend. Du kannst mein Leben – mit der Ost-Geschichte, mit dem Fahrradfahren, mit der Provinz – auf deines drauflegen. Dein Vater war Pastor, meiner war Lehrer, aber sonst ähnelt sich das sehr. Ich habe auch einen Bruder, der mit Tempo 85 durch sein Leben fährt. Und ich flieg’ wie so ’ne Flipperkugel durch! Der Unterschied: Dein Udo Lindenberg ist mein Heavy Metal.
Benjamin, du sagst, du hast 15 Jahre für dieses Buch gebraucht. War Udo Lindenberg vor 15 Jahren der Ansatz?
Stuckrad-Barre: Nein, ich habe 15 Jahre gebraucht, um es schreiben zu können, um den richtigen Ton zu finden, die notwendige Distanz, um es wie einen Roman behandeln und schreiben zu können. In Los Angeles, Anfang letzten Jahres, begriff ich: Ich kann das wie einen Roman behandeln. Mein Leben hat nicht gesagt, wie dieses Buch sein soll, diese Denkweise hatte zuvor jahrelang zu keinem mich zufriedenstellenden langen Text geführt, doch nun begriff ich, es muss genau umgekehrt laufen, das ist dann gut fürs Buch und sogar auch für mein Leben. Das Buch hat mir gesagt, wie mein Leben zu laufen hat in diesem magischen Jahr in Los Angeles, und auch, wie es davor gewesen sein könnte, was die Geschichte ist und nicht, was meine Geschichte ist, denn die ist ja egal. Ich habe es aufgeschrieben wie die Geschichte eines anderen Menschen und konnte dadurch in aller Radikalität vorgehen. Udo hatte irgendwann gemerkt, dass ich in Deutschland sehr traurig und depressiv war, und nahm mich mit nach Los Angeles: „Stuckiman, lass mal loszischen, hm? Sonne abholen, das Grau wegzaubern, easy doz it, Hollywood und so. Rumstreunen, Sterne vom Himmel holen und so.“ Dann haben wir das halt gemacht, und er stellte fest, dass es mir da sofort viel besser ging. Udo sagte am Tag unserer geplanten Abreise: „Jetzt bleibst du hier. Ich fahr’ nach Berlin und grüß’ alle von dir und mach’ dir ’nen coolen Exilantenkurs klar.“ Und dann bin ich dageblieben, und plötzlich ging es wieder, plötzlich konnte ich wieder schreiben. Udo hat mir den entscheidenden Stupser gegeben: Einfach mal versuchen, loslegen, warum sollte das denn nicht klappen, und falls es nix wird, ist doch auch scheißegal.
Uhlmann: Ich habe das nicht auf dem Udo-Level, aber es ist eine ähnliche Geschichte. Ich wollte nicht mit Tomte weitermachen. Ich bin zu meinem Freund Tobias Kuhn hin und habe gesagt:
„Tobias, ich kann nicht mehr. Kannste mir nicht ein bisschen helfen?“ Und er hat überhaupt nicht überlegt, sondern gesagt: „Du schreibst nur über Norddeutschland und spielst Klavier.“ Ich habe geantwortet: „Norddeutschland interessiert keinen und Klavierspielen kann ich nicht.“ Das hat er nicht akzeptiert, und deshalb habe ich das gemacht. Tobias ist für mich eine wahnsinnige Autorität. Wie Udo für dich. Solche Menschen brauchst du.
Stuckrad-Barre: Um es mal schlagerig und kitschig zu sagen: Die großen Künstler können einem wieder beibringen, sich wie ein Kind zu verhalten. Irgendwann weiß man, was man kann und was nicht, was man sich zutraut – und das ist dann auch wiederum ein Problem, dann ist man begrenzt und eingehegt vom schon Gemachten. Und Udo funktioniert da anders: total intuitiv. Als ich einwandte, dass ich es mir nicht leisten kann, so lange in L. A. zu bleiben und ja auch Dinge in Berlin zu erledigen habe, hat er nur gesagt: „Aha, aha. Interessant, mhmhmh. Oder – du machst es einfach.“ Ich hätte mich das gar nicht getraut, so zu arbeiten, einfach los, nicht wissend, was das wird und ob es was wird.
Du hast während deiner Anfänge als Musikjournalist die Arbeiten von Udo Lindenberg eher schlecht wegkommen lassen …
Stuckrad-Barre: Meine Udo-Geschichte in Kurzform: Als Kind totaler Fan, dann, als ich angefangen habe, zu schreiben, waren Udos Platten ziemlich schlecht. Dann natürlich griechische Tragödie: Als Erstes muss man seine Helden fertigmachen. Eine Form von akuter Zwanzigjährigkeit. Der Kippschalter während meiner Drogenjahre, in denen ich buchstäblich nicht mehr wusste, wo ich wohne, war aber dann wiederum Udo. Ich kannte meine Adresse nicht mehr, aber jederzeit wirklich alle Udo-Songs auswendig. Dann habe ich ihn nachts einfach mal angerufen. Ist doch egal, wenn man mal ein paar Jährchen schlechte Platten macht, die Alternativen bei einer so langen Karriere sind ja viel schlimmer: sterben oder verstummen. Ich bin also wieder zugestiegen und habe, komplett auf Kokain zwar, aber demzufolge bester Laune, ein Udo-Hörbuch gemacht: „Poesiealbum Udo Lindenberg“.
„Die großen Künstler können einem wieder beibringen, sich wie ein Kind zu verhalten.“ – Benjamin von Stuckrad-Barre
… für das du sogar nach London gereist bist.
Stuckrad-Barre: Zu Bryan Adams. Ich hatte mir den Termin erschlichen mit der Behauptung, ich würde eine Geschichte über ihn schreiben wollen. Ich hatte relativ schlechte Haut wegen der Drogen und dachte: „Das ist sicher ein gutes Einstiegsthema. Bryan Adams hat doch auch immer schlechte Haut.“ Ich saß also völlig bedröhnt vor ihm und sagte: „Bryan, ich möchte mit dir über Hautprobleme reden.“ Er antwortete, das sei gar nicht sein Thema, und das stimmte, er hatte total gute, glatte Haut. Er taxierte mich und sagte, einen Tipp hätte er doch: Ich solle einfach die Chemie weglassen, die Haut werde es mir danken. Ich sagte: „Ach, interessanter Ansatz, aber ganz was anderes noch: Kannst du bitte einen Text von Udo
Lindenberg hier in mein Diktiergerät reinsprechen?“ Er las „Germans“, einen der wenigen englischen Udo-Texte ein, er wollte wahrscheinlich einfach, dass ich gehe, und es war klar, ich gehe erst, wenn ich den Udo-Text von ihm rezitiert auf Band habe. Und als ich so monatelang herumzog und eine Schneise fragender Gesichter und Kopfschütteln hinterließ beim Einsammeln berühmter Stimmen, die Udo-Texte einlesen, merkte Udo dann: Der meint es ernst. Seltsamer Neuzugang, aber seltsam, so Udo, seltsam ist ja gut, ein Gestörter mehr, das schadet ja nicht, ist ja viel mehr Firmenprinzip.
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