Millenium – Die 50er
Was auch immer das nächste Jahrhundert bringt - so viel steht fest: Das zu Ende gehende rockte und rollte. In den verbleibenden Ausgaben dieses Jahres blicken wir zurück auf das Zeitalter des Rock; die aufmüpfigen Fünfziger, die revolutionären Sechziger, die hedonistischen Siebziger, die oberflächlichen Achtziger und die eklektischen Neunziger. Und auf die Stars und Stile der jeweiligen Dekade, von Rockabilly bis Rap, von Marilyn Monroe bis Madonna. Den Anfang macht das Jahrzehnt in dem alles begann: die Fünfziger. Elvis und Chuck legten los, Marion Brando rebellierte als "Der Wilde", und Jimmie Dean katapultierte sich mit seinem Porsche ins Nirwana. A Wop Bop A Loop Bop A Lop Bam Boom here are the golden olden days of rock'n'roll!
VON PETER FELKEL
SELTEN KLANG EINE KRIEGSERKLÄRUNG beiläufiger, desinteressiert beinahe – und damit um so bedrohlicher. Ein paar Worte nur, doch danach war nichts mehr wie früher. „What are you rebelling against“, will der Mittelstandsbürger, typisch amerikanisch, typisch fünfziger Jahre, von den Gestalten wissen, die daherkommen wie Invasoren aus einer fernen Galaxis. „Gegen was rebelliert ihr eigentlich?“ Und der Chef dieser Desperados in (eans und Leder? Der nuschelt sein längst legendäres „What have you got?“ Einfach so. „Was hamse denn so da?“ Man müßte ihn jetzt sehen, Marion Brando alias „Johnny“ alias „The Wild One“, den hochgeklappten Kragen seiner schwarzen Jacke, diesen unsagbar gelangweilten „Get off of my cloud“-Blick, diese halbstarke Superhelden-Pose. „Was hamse denn so da?“ Das enthält den Kern all dessen, was da noch kommen sollte: die „Got a lot o‘ livin‘ to do“-Angebereien des Rock’n’Roll; die „Eight miles high“-Attküde der Hippies; die „Don’t know what I want, but I know how to get it“-Anarchie des Punk; die „Still haven’t found what I’m lookin‘ for“-Allüren des Eighties-Pop; die „Here we are, now entertain us“-Aggression des Grunge. Kurz: Wenn es um die Geburtsstunde des Rock geht, dann kommt dieser Moment aus Laszlo Benedeks 1954er Film „Der Wilde“ der Wahrheit verdammt nahe.
Gleichwohl wäre es ein Irrtum anzunehmen, der Rock’n’Roll sei via Urknall in die Welt geplatzt. Und auch McKinley Morganfields (alias Muddy Waters) berühmtes Verdikt, „The blues had a baby and they named it rock’n’roll“, greift zu kurz. Sicher, die neue Musik war gleichermaßen ein Baby von Blues wie von Country, ein Mix aus schwarzer Sinnlichkeit und weißem Sentiment, doch sie war ebenso nur Momentaufnahme einer mählichen Entwicklung, die in der Zeit um die Jahrhundertwende in den Rotlichtvierteln von New Orleans ihren Anfang genommen
haben könnte. Dort also, wo sich Buddy Bolden buchstäblich um den Verstand geblasen haben soll. Kennern gilt der sagenumwobene Kornettist, der 1907 in einer Irrenanstalt landete, als „erster Jazzmusiker im engeren Sinne“ (rororo-)azzlexikon). Noch wichtiger aber: Sein Leben voller Drogen, Frauen und Musik, stets am Abgrund balancierend, kann als Blaupause gelten für viele, die später kamen.
Beispielsweise für den Typen, von dem Keith Richards sagt: „Dieser Bursche hatte vermutlich vier Hände und drei Gehirne.“ Und dem Eric Clapton bescheinigt: „Seine Musik bleibt der gewaltigste Aufschrei, den man je von einem Menschen gehört hat.“ Beide reden von Robert Johnson, dem wohl wichtigsten Bluesmusiker aller Zeiten, der zunächst an drei Novembertagen des Jahres 1936 in San Antonio, dann nochmal an einem Juniwochenende 1937 in Dallas ins Studio ging und 29 Songs aufnahm, zwölf davon in je zwei Versionen. Damit war das in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzustufende Lebenswerk des Mannes aus Hazelhurst/Mississippi vollendet, der einst an einer gottverlassenen Kreuzung seine Seele dem Teufel verkauft haben soll, um so Gitarre spielen zu können, wie er das bei diesen Aufnahmen dann tat; der am 16. August 1938 starb, vergiftet von einem eifersüchtigen Ehemann, mit dessen Frau er rumgemacht haben soll; der im „Me And The Devil Blues“ sang: „You may bury my body down by the highway side, so my old evil spirit can get a greyhound bus and ride.“ Lind damit den Archetypus schuf für das Pop-Motiv schlechthin: das Unterwegssein.
Gut möglich, daß Johnsons „old evil spirit“ da einem jungen Mann aus Mount Olive/Alabama begegnete: Auch Hank Williams war der Typ des unsteten Wanderers, unterwegs auf dem „Lost Highway“, „Im So Lonesome I Could Cry“ singend oder „I Saw The Light“ oder „Lovesick Blues“, seinen ersten Millionenhit von 1949, justament jenem Jahr, in dem in den USA die ersten Vinylplatten auf den Markt kamen (und zunächst zugunsten der guten, alten Schellacks links liegengelassen wurden). Williams jedenfalls galt zurecht als Genius der Countrymusik, dem gleich mehrere Kunststücke auf einmal gelangen: die vergleichsweise engen Grenzen des Genres zu sprengen, mit Vorurteilen über diese sogenannte „Hinterwäldlermusik“ aufzuräumen, und sich in Zeiten, in denen nahezu die kompletten Charts aus der Feder der Fließbandschreiber derTin Pan Alley stammten, als Songwriter zu etablieren. Der Preis des Ruhms: elf Goldene Schallplatten, Wohlstand, eine verkable Drogensucht
und ein schneeweißer Cadillac, in dem er am Neujahrstag 1953 auf dem Weg zu einem Konzert in Canton/Ohio starb. Angeblich an Herzversagen.
Da war die Saat von Roben Johnson (und Charlie Patton und ßukka White und vielen anderen) längst aufgegangen. Die Schwarzen aus den Südstaaten waren während der vierziger lahre in hellen Scharen in die Industriestädte des Nordens gewandert, hatten sich in den Fabriken Detroits oder Chicagos verdingt und mit ihrer Musik die Erinnerung an Mississippi, Tennessee, Louisiana wachgehalten. Einziger Unterschied: Um gegen den Lärm der Metropolen zu bestehen, mußte ein anderer Sound her als in den Bretterkaschemmen von Clarksdale oder Lamont. Da traf es sich gut, daß ein gewisser Les Paul, ein begnadeter Bastler, 1941 den Prototyp einer elektrischen Gitarre entwickelt hatte, die später bei der Firma Gibson in Serie ging. Das musikalische Äquivalent zum Radau der Maschinen, zum Lärm der Straße ließ den ruralen Blues in verräucherten Kellerclubs zum urbanen Rhythm’n’Blues mutieren. Die harschen Klänge von Muddy Waters und John Lee Hooker, von Ughlnin‘ Hopkins, Howlin‘ Wolf und all den anderen fanden immer mehr Freunde, waren jedoch gefangen im Ghetto der „race charts“. Daß 10 000 kreischende Teenager im Oktober 1944 den Verkehr am New Yorker Times Square zum Erliegen bringen, weil Frank Sinatra im Paramount Theatre auftrat, mochte die „moral majority noch hinnehmen. Doch wenn John Lee Hooker unverhohlen „l’m in the mood for some of your love“ knurrte, drehte man besser das Radio ab und sperrte das Töchterchen ein. So mag der Stoßseufzer von Sam Phillips, Besitzer der Plattenfirma Sun und des gleichnamigen Studios in Memphis, anno 1952 allzu verständlich erscheinen: „Hätte ich einen Weißen, der singt wie ein Schwarzer, würde ich im Handumdrehen eine Million verdienen.“ Es sollte funktionieren.
DAS JAHR 1954 HAT BEGONNEN Zeit, für einen kurzen Moment das Land, das den Rock’n’Roll hervorbringen wird, am Vorabend dieses wahrlich weltbewegenden Ereignisses zu betrachten. Der Koreakrieg ist vor einem halben Jahr zu Ende gegangen, die LISA haben wieder einmal die freie Welt verteidigt. Das Land prosperiert, es regieren die „family values“ und Senator McCarthy, der mit dem Ausschuß für unamerikanische Llmtriebe vier Jahre lang böse Kommunisten hetzt. Erst als er auch Präsident Eisenhower ins Visier nimmt, wird dem Amoklauf des Mannes aus Wisconsin ein Ende bereitet. Und dann gibt es da natürlich den alltäglichen Wahnsinn der Rassentrennung. Bis zu Rosa Parks‘ mutiger Tat, mitten im zutiefst rassistischen Mississippi auf einem „Whites only“-Busplatz sitzenzubleiben, die Initialzündung für die Bürgerrechtsbewegung, dauert es noch ein ganzes Jahr (und auch dann ist noch nichts gewonnen).
Die Kids sehen sich um – und finden wenig, was ihnen gefällt. Doch sie sind viele, und sie haben reichlich Kohle, was der Unterhaltungsbranche natürlich nicht verborgen bleibt. Rock-Chronist Nik Cohn erinnert sich in seinem Standardwerk „A Wop Bop A Loop Bop A Lop Bam Boom“: „DieTeens kauften einfach alles, was man ihnen vorsetzte -Motorräder, Bluejeans, Haaröl, Pferdeschwänze, Milchshakes und, hauptsächlich, Musik.
Der einzige Haken in der Musikindustrie war, daß man nicht genau wußte, was die Teenager wirklich wollten. Man konnte nur tonnenweise Lärm produzieren und dann sehen, was sich am besten verkaufte. Auf diese Weise brauchte es nur Zeit, dann würde man auf eine Goldader stoßen.“
Der spätere Goldjunge war 18, als er im Sommer 1953 schüchtern in Sam Phillips‘ Studio in Memphis
schlich, um für seine Mom das Lied „My Happiness aufzunehmen. Seither herrscht Funkstille, was die musikalische Karriere des Lastwagenfahrers Elvis Aaron Presley angeht. Bis zu jenem 5. Juli 1954, an dem Scotty Moore, Hausgitarrist der Sun Studios, und Bassist Bill Black den Nachwuchssänger noch einmal zur Session bitten. „1 Love You Because“ und „That’s All Right“ werden eingespielt, tags darauf „Harbour Lights“ und „Blue Moon Of Kentucky“. Presleys selbstbewußte Äußerung vom Vorjahr scheint plötzlich Sinn zu machen: „Wie hören Sie sich eigentlich an“, wollte Marion Keisker, eine Radiosprecherin, wissen. Trockene Replik: „Ich höre mich an wie niemand anders.“ Bis zur von Sam Phillips erhofften Million ist es zwar noch ein weiter Weg, doch die Rock’n’RollMaschine nimmt Fahrt auf. Bill Haley, Ex-Countrysänger mit Mondgesicht und Schmalzlocke, spielt mit seiner Begleitgruppe The Comets die Single „Rock AroundThe Clock“ ein. Zunächst tut sich nichts. Doch als der Song ein lahr später im Kino-Drama „Blackboard Jungle“ (deutsch: „Saat der Gewalt“) eine wichtige Rolle spielt, geht die Scheibe ab wie eine Rakete, bleibt ein Jahr in den Charts und verkauft sich weltweit – Achtung! – 15 Millionen mal. Nik Cohns lakonischer Kommentar: „Die Popmusik war geboren.“ Einen Namen hat der sich anbahnende Wahnsinn auch schon: „Rock’n’Roll“, im Slang der Schwarzen aus den Südstaaten ein Begriff für „Geschlechtsverkehr“. Selbstverständlich behaupten sogleich Gott und die Welt, sie hätten diesen Begriff geprägt. Zu Wären ist die Frage der Urheberschaft natürlich längst nicht mehr, deshalb nur so viel: Alan Freed, ein weißer Radio-Dl aus New York, hat die magischen Worte wenn schon nicht erfunden, so doch ab 1954 populär gemacht. Eine Marginalie freilich im Vergleich zu der Explosion, die zuerst Amerika und kurze Zeit später die Alte Welt erschüttert: Zunächst entert Klvis mit „Baby, l.et’s Play House“ einigermaßen unspektakulär die Countrycharts und wird unter tatkräftiger Mithilfe seines Managers „Colonel“ Tom Parker, eines zwielichtigen, aber enorm effizient arbeitenden Seifmade-Strategen mit kleinkrimineller Vergangenheit, vom New Yorker Branchenriesen RCA angeworben. Derweil erobern Marion Brando und lames
Dean die Kinos, letzterer mit drei melodramatischen Werken im Spannungsfeld von Träumen und Traumata der Adoleszenz: „Giganten“, „Jenseits von Eden“ und „… denn sie wissen nicht was sie tun“. Brando und Dean werden zu Prototypen jugendlichen Rebellentums, prägen Sprache, Gang, Kleidung Millionen Jugendlicher in aller Welt. Und eine Geisteshaltung, die „Krieg den Eltern“ heißt und „Friede der Clique“, und sich zwischen Küssen im Kino und Sex im Auto, Drive-In-Diner und Eisdiele, Party und Baggersee manifestiert. Den Soundtrack liefern Chuck Berry, der 1955 mit „Maybelline“ seinen ersten Hit hat, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Carl Perkins und natürlich – Elvis.
Endgültig geschehen ist es um die musikhörende Menschheit unter 20 am 28. Januar 1956: Elvis singt „Heartbreak Hotel“ im TV, in der „Tommy and Jimmy Dorsey Stage Show“. Wobei „singt“ das falsche Wort ist. Elvis schlurft, zuckt mit den Hüften, zieht die Lippe hoch, wackelt mit dem Kopf: „Well, since rny baby left me“ (Zucken, Wackeln, Schlurfen) „well, I found a new place to dwell“ (die Zuschauer reiben sich die Augen) „it’s down at the end of lonely street“ (unerhört so etwas) „that“ (Schnippen) „Heartbreak Hotel“ (Ogottogott, was ist das?). Elvis – „the pelvis“ (das Becken), wie sie ihn nach diesem spektakulären Auftritt nennen werden – bringt puren Sex auf den Bildschirm. Sex
& Rock’n’Roll: Die Altvorderen sehen endgültig den Untergang der zivilisierten Welt heraufdämmern. Ein Gebrauchtwagenhändler aus Cincinnati entdeckt eine neue Geschäftsstrategie: „Wir garantieren, daß wir in Ihrer Gegenwart fünfzig Elvis-Platten zerbrechen, wenn Sie noch heute eines dieser Autos kaufen.“ Hilft alles nichts: „Heartbreak Hotel“ verkauft sich wie geschnitten Brot, allein in den ersten Tagen nach der Fernsehshow eineinhalb Millionen mal. Nun geht’s richtig los: Im September tritt Elvis in der Ed-Sullivan-Show auf – so etwas wie der Ritterschlag dieser Branche -, zeitgleich erscheinen sieben Singles, kommt sein erster Film in die Kinos.
Spätestens jetzt ist klar: Elvis ist Projektionsfläche für Fan-Fantasie, fleischgewordener Rock’n’Roll, der „King“, ist aber auch der kleinste gemeinsame Nenner, zu einem Gutteil auch Ausgeburt genialer Geschäftstaktiken, ist im Einzelfall immer die etwas weniger gute Variante. Die Musik: Chuck Beny, der mit seinem archetypischen Stil praktisch jeden Musiker inspirierte, der nach ihm eine Gitarre zur Hand nahm, oder Buddy Holly („Peggy Sue“, „That’ll Be The Day“, „Oh Boy“ etc.) hatten rückblickend erheblich mehr Einfluß auf die Rockmusik als – sagen wir – „Hound Dog“ oder „Love Me Tender“. Das Image: Wo Elvis lässig und cool, aber eben auch entrückt wirkt, gibt Little Richard den Kastenteufel am Klavier, der sich oft genug – „Oo, maah soulü!“ – nur brüllend zu artikulieren vermag und wo er hinkommt, den dicken Max markiert. Und Jerry Lee Lewis den „Killer“, der die Single „Whole Lotta Shakin‘ Going On“ millionenfach verkauft, der als Elvis-Nachfolger gehandelt wird, aber am 12. Dezember 1957 seine Cousine Myra ehelicht – er 22 Jahre alt, sie zarte 13 – und sich so nachhaltig die Karriere versaut.
Meanwhile in Europe: Auch hier finden die Helden von jenseits des Großen Wassers Heerscharen von Bewunderern, die bei Konzerten „Hail! Hail! Rock’n’Roll!“ grölen und danach das Inventar zu Kleinholz verarbeiten, die in Filme wie „The Wild One“ oder „Blackboard Jungk“ rennen und fortan die Lässigen in extrascharfer Teddyboy-Kluft oder coolem Leder mimen. So zerlegen randalierende „Halbstarke“ 1958 nach einem Bill Haley-Konzert in Westberlin das Mobiliar des Sportpalastes. Sachschaden: die damals horrende Summe von 50 000 Mark. Auch in Hamburg, Essen und Stuttgart sorgen Haleys eigentlich harmlose Shows für zertrümmerte Konzertsäle. An eigenen Stars generiert Deutschland aber bloß Schwiegermütterträume wie Peter Kraus. Der ist als Rock’n’Roller allerdings eine halbe
Portion, gibt seine kreuzbraven Liedchen auf einer viersaitigen Gitarre zum besten und wirkt wie Peter Alexanders kleiner Bruder. Etwas echter, gar gefährlicher scheint da schon Ted Herold, der immerhin eine Spur rauher klingt und aussieht, als hätte er tatsächlich schon mal eine Schlägerei gehabt. In England springt der 18jährige Cliff Richard wie ein Tiger in die Charts („Move It“, 1958), nur um im )ahr darauf als Hauskätzchen einen Millionenhit zu landen („Living Doll“). Der Treffer bringt den smarten Sänger auf den Geschmack – fortan zählt Cliff zu den Weichspülern. Zum Glück gibt es Skiffle, jenen Bastard aus Swing, Blues, Country, Folk und Rockabilly – und Lonnie Donegan ist sein Prophet. Zumindest drüben in Albion, wo er 1956 mit „Rock Island Line“ zum Superstar aufsteigt und in zwei Dutzend Hits Fragen nachgeht wie „Does your chewing gum lose its flavour on the bedpost over night?“ Und in der Tat: Allmählich verliert Rock’n’Roll, jenes bittersüße Aroma des Aufmüpfigen, seinen Geschmack. Warum? Vielleicht, weil die Helden müde sind, tot oder andere Probleme haben. Little Richard zum Beispiel: Als die Russen 1957 mit dem „Sputnik“ den ersten Satelliten in eine Erdumlaufbahn schicken, interpretiert der Mann aus Macon/Georgia dies als Zeichen Gottes, sein Leben nicht weiter an den blasphemischen Rock’n’Roll zu vergeuden. Während der Rückreise per Schiff von einer Australien-Tournee soll Richard Penniman – so sein bürgerlicher Name – deshalb all seinen Juwelenschmuck ins Meer geworfen und gelobt haben, seine Kunst fürderhin dem Herrn zu widmen. Wieder zu Hause in den USA verkauft er seine sechs Cadillacs und schreibt sich für die folgenden zwei Jahre als Theologie-Student am Oakwood Adventisten-College in Huntsville, Alabama, ein. Oder Elvis. Der verläßt am 1. Oktober 1958 in Army-Uniform in Bremerhaven die USS General G.M. Randall. Der „King“ wird „Private“ (Soldat) und leistet bis März 1960 im hessischen Friedberg seinen Wehrdienst ab. „That’s when the heartache begins“, um den Meister selbst zu zitieren. Oder, anders gesagt: „Elvis has just left the building.“ Der Schmerz nimmt zu: Am 3. Februar 1959 stirbt Buddy Holly bei einem Flugzeugabsturz nahe Mason City/Iowa. Unter den Opfern zwei weitere Rock’n’Roller: Ritchie Valens und J.P. Richardson, besser bekannt als „The Big Bopper“. 13 Jahre später wird Don McLean in seinem Song „American Pie“ dieses schwarzen Tages als „the day the music died“ gedenken.
Doch keine Bange, ganz so schlimm wird es denn doch nicht, auch wenn ausgangs der Fünfziger geklonte Figuren wie Fabian, Frankie Avalon oder Bobby Rydell mit ihren glattgestriegelten Schmuseballaden das Kommando in den US-Charts übernehmen. Ein paar Wochen nach dem Tag, da die Musik angeblich starb, sitzen im britischen Liverpool drei junge Typen herum, die sich „Johnny & The Moondogs“ nennen, üben Gitarrespielen und basteln an eigenen Songs. Die beiden älteren sind dicke Freunde, sie haben sich am 6. Juli 1957 beim Pfarrfest im Vorort Woolton kennengelernt. Ihre Namen: John Lennon und Paul McCartney. Der jüngere heißt George Harrison. Von ihnen wird noch zu hören sein.