Mit halber Kraft voraus 10 CC

Manchester ist eine Stadt wie Gelsenkirchen oder Wanne-Eickel: Nicht gerade besonders sauber, ĂŒberwiegend hĂ€ĂŸlich verbaut, bei Regen besehen wahrlich abstoßend eben Industrie-Revier. Zumindest eines aber hebt Manchester unter den ĂŒberall gleich aussehenden Industrie-StĂ€dten hervor: Manchester ist die traditionelle Metropole bester englischer Popmusik von jener Sorte, die Sonnenschein auf drei Minuten komprimiert, jedoch den Eindruck eines zweiwöchigen Mallorca-Urlaubs vorgaukelt — die absolut realitĂ€tsferne Anmache, Pop zum Quadrat, Mimikry an sich. Und besonders drei Namen stehen fĂŒr diesen Super-Pop, nĂ€mlich Herman's Hermits, Hollies und lOcc.


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Wie ist diese wundersame Vorliebe fĂŒr sonnigen Pop gerade in einer Stadt wie Manchester zu erklĂ€ren? Graham Gouldman, 10 cc’s Bassist und SĂ€nger, schien diese Frage nicht zum erstenmal beantworten zu mĂŒssen: „Die Leute hier in Manchester galten seit jeher als weniger sophisticated gegenĂŒber etwa den Londonern – daher die Vorliebe fĂŒr unprĂ€tentiösen Pop und weit weniger fĂŒr irgendwelche progressiven Rocksachen. Hier leben hart schaffende Arbeiter, die in der Freizeit hĂŒbsche, sonnige Songs hören wollen, von wegen Ablenkung und so. Dies ist wohl der Grund fĂŒr die Existenz unserer Popbands hier.“

Graham Gouldman sollte es wissen, denn seit dreizehn Jahren gilt er als eine der zentralen Figuren des Manchester-Pop. „Look Through Any Window“ und „Bus Stop“ von den Hollies, „No Milk Today“ und „East West von Herman s Hermits, daneben noch „For Your Love“, „Evil Hearted You“ und „Heart FĂŒll Of Soul“ von den Yardbirds – all diese Köstlichkeiten stammten von Gouldman’s Schreibtisch, weshalb der KĂŒnstler denn auch freimĂŒtig zugab, an einem solchen Schreibtisch könne ein Musiker weit mehr verdienen als zwanzig Jahre lang hinter irgendwelchen Gitarren. Tantiemen nennt man so etwas.

Im Jahre 1964, als Herman’s Hermits und die Hollies Manchester’s erste Hit-Meriten markierten, zupfte der Bassist noch brav bei den Whirlwinds. Im Jahr darauf wechselte er zu den Mockingbirds, deren Drummer Kevin Godley hieß, und landete schließlich bei den Mindbenders, die mit „A Groovy Kind Of Love“ und „Ashes To Ashes“ gewissen Hit-Ruhm erlangt hatten und sich musikalisch an ihrem Gitarristen und SĂ€nger Eric Stewart orientierten.

Nach dem Ableben der Mindbenders 1968 versandete die Manchester-Szene fĂŒr eine Weile. Eric Stewart arbeitete im Studio, Graham Gouldman zog nach Amerika. Dort sollte er als Komponist fĂŒr den Kasenatz-Katz Singing Orchestra Circus, eine extrem obskure Vereinigung mĂ€ĂŸig talentierter Musiker, Hits nach dem Fließband-Verfahren schreiben. Die beiden Produzenten Kasenatz und Katz galten als unberechenbare AttentĂ€ter auf alle Hitlisten, die mit riesigem Hype solch unsĂ€gliche Bands wie Lemon Pipers, 1910 Fruitgum Company oder Music Explosion nach oben lifteten. Diese Hit-Fabrik war nichts fĂŒr Gouldman. Er ging zurĂŒck nach Manchester, wo ihn alte Bekannte mit offenen Armen empfingen: Eric Stewart, Kevin Godley sowie Lol Creme hatten sich mittlerweile unter dem Namen Hotlegs mit der Jux-Platte „Neanderthal Man“ etabliert. Manche Leute fanden diesen simplen Song einfach schrecklich, andere wiederum schrecklich einfach.Und das Trio wollte sich verstĂ€rken und endlich auch mal live auftreten.

Der Name: 10 cc. Auf solch eine Idee konnte lediglich Jonathan King kommen, Chef des UK-Plattenlabels und anfangs Betreuer der Band. King war in den Sechzigern selbst erfolgreich als SĂ€nger („Everyone’s Gone To The Moon“) und Komponist („It’s Good News Week“ von Hedgehoppers Anonymous). Das Quartett spielte locker Hits ein: „Donna“, „RubberBullets“, „The Dean And I“ und „Wall Street Shuffle“, warf nebenher aber noch hĂŒbsche Alben wie „10 cc“ und „Sheet Music“ auf den Markt. Ende 1974 wechselte die Band die Firma und ging zu Mercury.

Hier erst (und ohne Jonathan King) entwickelten lOcc ihr Konzept aus höchst eingĂ€ngigen Melodien und brillianten Texten wahrlich zur Perfektion. Auf den beiden Alben „The Original Soundtrack“ und „How Dare You“ stimmte alles bis hin zur geistesblitzartigen Cover-Gestaltung. Daß man 10 cc-Melodien bereits beim zweiten Anhören mitpfeifen konnte, erschien angesichts der witzigen, oft auch sarkastischen Texte fast zweitrangig.

In „Une Nuit A Paris wurde trefflich beschrieben, wie Touristen in Paris geneppt werden; „I’m Not In Love“ war die perfekte Hymne an eine Geliebte, in „Blackmail“ versucht ein Voyeur, die von ihm heimlich nackt abgelichtete Frau mit Hilfe der Fotos zu erpressen, doch der Ehemann schließlich schickt die Fotos begeistert an „Playboy“; die Frau avanciert vom Ausklapp-Girl zum Filmstar – der Voyeur erkennt zerknirscht, daß eigentlich er die Dame zum Superstar machte.

Man konnte die lOcc-Texte noch ad infinitum weiter erklĂ€ren, doch sei hier nur noch ein Auszug aus „Art For Art’s Sake“ zitiert: „Keep me in exile the rest of my days, burn me in hell but as long as it pays — art for art’s sake.money for God’s sake‘. Genau dies machte und macht die professionelle Einstellung der 10 cc-Musiker deutlich. Die Band gaukelte vielleicht Sonnenschein, nie aber tiefgreifende Botschaften vor, sie machte stets ihr Hauptanliegen klar: „We’re only in it for the money — but we like it“.

Rein professionell ging daher auch die Trennung der 10 cc-Leute vonstatten. Ende 1976 verließen Lol Creme und Kevin Godley die Band, um mit dem Gizmo, einem Gitarren-Synthesizer, zu experimentieren. Das Duo drohte unlĂ€ngst ein Triple-Album an.

Gouldman und Stewart begingen daraufhin den Fehler, ohne grĂ¶ĂŸere VerstĂ€rkung ein Album aufzunehmen, das von kalter Studiotechnik (sowieso eine latente Gefahr bei 10 cc) nur so strotzte: „Deceptive Bends“. Hierzu befragt, funkelte Graham Gouldman mit den Augen. Das Album sei seiner Meinung nach sehr gut gelungen, allerdings mĂŒsse er zugeben, daß es Ă€ußerst schwierig fĂŒr nur zwei Musiker sei, zugleich alle GesĂ€nge, alle Instrumente sowie die Arrangements und die Produktion zu handhaben. Na also!

Prompt fĂŒllte sich 10 cc zum Sextett auf: Paul Burgess (dr), ein alter Freund der Band, Stuart Tosh (dr, perc), frĂŒher bei Pilot, Rick Fenn (g), ein junger Musiker mit bemerkenswerter Technik, schließlich noch Tony O’Malley (keyb), ehedem bei Kokomo. AnlĂ€ĂŸlich eines Heimspiels im Elizabethanian Ballroom zu Manchester konnte ich die Band erleben – es klang schlichtweg perfekt.

L—ive wirkten lOcc alles andere als steril, abzĂŒglich „I’m Not In Love“, das grĂ¶ĂŸtenteils ĂŒber Band eingespielt wurde. Selbst die unterkĂŒhlten Songs der LP „Deceptive Bends“ erhielten ungeahnten Dampf – was den Schluß nahelegt, daß diese Platte der Ausrutscher eines unter Zeitdruck stehenden und mit zeitgleicher Produktion, Arrangierung und Einspielung total ĂŒberforderten Duos war, das sich durch die VerstĂ€rkung zum Sextett flugs wieder erholt hat. Neben der subtilen Lightshow ĂŒberraschte zudem noch der ungemein klare Sound, der sich bereits StudioqualitĂ€ten nĂ€herte. Und wenn lOcc sich mal vom vorgefertigten Konzept lösten und zu begeisternden Soli anhuben, dann spielten sie so manch anderer Band glatt den Hintern ab.

Graham Gouldman erzĂ€hlte, die Gruppe wolle im September zur Aufnahme eines neuen Albums ins Studio ziehen und sich anschließend auf einer Tournee in der BRD vorstellen. Mit dem Drive von Manchester sollte sich diese Tour zu einem Höhepunkt der kommenden Saison entwickeln, und auch dem nĂ€chsten Album kann man anscheinend hoffnungsfroh entgegensehen. Wenn dann auch noch Lol Creme und Kevin Godley mit ihrer Gizmo-Sache richtig hinlangen, kann man das frĂŒhere Quartett zu seiner Halbierung nur beglĂŒckwĂŒnschen. Dann war’s die sinnvollste Trennung seit Genesis und Peter Gabriel.