Musikexpress präsentiert: Paradise Lost
Was macht eigentlich so ein Heavy Metal-Musiker, wenn er nach einem Konzert zur Ruhe kommen will? Er tauscht seine speckige Lederkluft gegen einen bequemen Trainingsanzug, wäscht sich die verschwitzten Haare, bindet sie zu einem akkuraten Zöpfchen und haut sich ins Hotelbett. Schlafen kann er nicht – zu aufgedreht. Also schaut er ein bißchen MTV, schlurft zwischendurch zur Minibar und zieht sich ein, zwei warme Bierchen rein. Vielleicht läuft gerade ein Clip von Depeche Mode oder The Prodigy. Und unser Freund fängt an, die Grenzen seines Genres als Zwangsjacke zu empfin den. Dumpf brütend erwägt er Auswege aus dem Dilemma. Als Metallica an diesem Punkt angelangt waren, schliffen sie ihren Riffs die Ecken ab und verhökerten sie an den Mainstream. Iran Maiden holten Verstärkung und machen weiter wie bisher. Nur Paradise Lost dachten sich: „Statt elektrisch verstärkt probieren wir’s jetzt mal elektronisch verstört.“ Herausgekommen ist das Album „Host“ und wunderbar wuchtiger Pop. „Wir brauchten einen radikalen Schnitt“, erklärte Frontmann Nick Holmes dem ME, „ansonsten blieben wir in den Augen der Musikwelt immer eine Metalband.“ Die Augen der Musikwelt verfolgen nun mit Interesse, wie die geläuterten und radikal kurzgeschnittenen Metaller das neue Material live präsentieren. Erste Gigs gingen unter rauschendem Applaus über die Bühne und es scheint, als habe das Publikum sogar das schmucke Macintosh G3-Powerbook ins Herz geschlossen, das als „sechstes Bandmitglied“ für die Samples zuständig ist. Kein Wunder, spielen brandende E-Gitarren doch noch immer die erste Geige bei Paradise Lost: „Am Ende sind wir immer noch eine Rockband, die Verwendung von Samples soll nicht darüber hinwegtäuschen!“, gibt Gitarrist Greg Mackintosh (!) zu bedenken. Wem also der Sinn nach Hymnen wie „As I Die“ oder „The Last Time“ steht, der wird auch diesmal von den Engländern bestens bedient werden. Wer aber darüber hinaus Neuem gegenüber aufgeschlossen und der Zukunft zugewandt ist, den erwartet bei Paradise Lost ein ungewöhnlicher Abend eine gewagte Synthese aus cleveren Arrangements und messerscharfen Gitarren.