Mutter Courage


Als kaltschnäuzige Moderatorin im ARD-Jugendabend "Klons" fiel sie erstmals aus dem Rahmen. Und genau da fühlt sie sich auch wohl: Die couragierte Sängerin aus Berlin liebt den Kollisionskurs, liebt das Krachen der Gegensätze. Hier Diva, dort Schmuddelkind —- Mikos Musik lebt von Kontrasten. "Aus der Gosse zu den Sternen" heißt bezeichnenderweise der Spielfilm, der im Frühjahr in die Kinos kommt. Hauptrolle: Miko.

Fünf Jahre sind nunmehr vergangen, seit deutsche Musiker euphorisch aufbrachen, um sich in die Herzen des Pop-Publikums zu singen. Doch das Unternehmen NDW lief schon nach kurzem Boom am Strand von Banalität und Belanglosigkeit auf. Kaum jemand ist übriggeblieben, der sich an deutsche Texte wagt: die Stars von gestern, egal ob sie Markus, DAF oder Joachim Witt heißen, versuchen’s mehr oder weniger erfolglos mit englischen Texten und Anlehnungen am britischen Pop – und verkümmern dabei oft genug zur Farce.

In diesem desolaten Moment erscheint ein Energiebündel am Horizont, das auf die bundesdeutsche Popmusik vielleicht einmal ähnliche Wirkung haben könnte wie Boris Becker auf den Nationalstolz des deutschen Volkes. Miko heißt die Person, die immer dann erscheint. wenn man sie gerade am dringendsten benötigt. Sorgte sie vor eineinhalb Jahren als freche Moderatorin beim ARD-Jugendabend „Klons“ für Aufsehen, so beweist sie heute mit ihrem zweiten Soloalbum VI-SIONEN VON SCHÖNHEIT, daß deutsche Sprache und Musik keineswegs unvereinbar sind, daß Inhalte nicht in Widerspruch zu ihrem Unterhaltungswert stehen.

Dabei hat sich Miko in ihrer Vergangenheit oft genug zwischen die Stühle gesetzt. Ihrer Heimatstadt Bochum überdrüssig, kam sie über Kanada nach Berlin, wo sie mit diversen Bands und Musikern arbeitete, um schließlich doch einer Solokarriere den Vorzug zu geben. Bisheriger Höhepunkt: das Konzeptalbum VISIONEN DER SCHÖNHEIT.

Die fiktive Geschichte beschreibt den Ausbruch aus der eigenen Depressivität und Hilflosigkeit, den Versuch, eine verlorengegangene Einheit wiederherzustellen. Miko symbolisiert darin, wohl das Gefühl einer ganzen Generation treffend, den Wunsch nach Veränderung — gleichzeitig aber auch die Lähmung durch die eigene Ohnmacht. „Ich befinde mich in einer permanenten Auseinandersetzung mit meiner Umwelt, egal ob in politischem, religiösem oder emotionalem Sinn. Es passiert häufig, daß mir aus dieser Konfrontation heraus schlagartig Text und Musik in den Sinn kommen.

Ich versuche dann auch gar nicht, die Ideen intellektuell zu zerpflücken, weil sich sonst die Vision in Nichts auflöst. Ich versuche einfach alles, was ich höre, auf mich wirken zu lassen — wie verschluckt und in mich aufgenommen.“

Der Prozeß des Musikmachens geht bei Miko nicht auf einer analytischen Ebene vor sich, sondern kommt tief aus dem Bauch. Anders wäre es wohl auch nicht zu erklären, daß die Platte eine Wärme und Menschlichkeit ausstrahlt, die ansonsten oft im Studio verlorengeht. Ein musikalisches Wechselbad, das den Hörer immer wieder in einem Meer von Gefühlen und Eindrücken versinken läßt.

Mehr als fünf Monate hat Miko an VISIONEN DER SCHÖNHEIT gearbeitet —- eine Zeit, in der sie „keine Platte und kein Radio gehört hat, um in keinster Weise beeinflußt zu werden“.

So eigenständig wie ihr Anspruch ist auch das Album, an dem u.a. Phil Collen von Def Leppard und die Münchener Philharmoniker mitgearbeitet haben, tatsächlich geworden. Großstädtische Synthesizer-Passagen werden mit klassischen Streicherpartien und afrikanischen Buschtrommeln verbunden und zu einem ebenso unorthodoxen wie individuellen Ganzen geeint. „Die klassische Musik ist hier als Element für dauerhafte Gefühle benutzt worden. Wenn ich Geigen höre, dann sehe ich eigentlich immer Landschaften. Genauso naheliegend war es für mich, intensiv mit afrikanischen Rhythmen zu arbeiten. Bevor ich überhaupt afrikanische Musik gehört habe, versetzte ich mich als Kind vor dem Einschlafen immer in einen afrikanischen Busch-Gral, wo Fruchtbarkeitstänze getanzt werden.“

Es klingt wie ein bebildertes Märchen, das vor den Augen des Zuhörers abläuft, wenn er Mikos Visionen von Schönheit hört — Visionen, die weder manipulieren noch in unantastbare Weite abheben sollen.

„Wir sind ja fixiert auf Inhalte, die intellektuell rüberkommen, die wissenschaftlich bewiesen sind. Und daraus resultiert auch das Problem, daß die Leute Schwierigkeiten mit ihrer Phantasie und ihren Gefühlen haben. Bloß: Dein Kopf ist nicht in der Lage, dich glücklich zu machen, das können nur deine Gefühle. Und wenn du zu denen ein gestörtes Verhältnis hast, dann fühlst du dich unwohl.“

Wie ein Märchen der Gebrüder Grimm sieht auch das Video zum Titelstück der Miko-LP aus, das übrigens nicht nur einfach im Fernsehen gezeigt werden soll, sondern in „Ben-Hur-Breitwand-Panavision “ als Vorfilm zu Mikos erstem Kinofilm im Frühjahr in die Kinos kommt. Miko inmitten von Wäldern und Märchenschlössern, in einem traumhaften Kostüm und einer Schnee-Eule auf dem Arm, die sinnigerweise auf den Namen „Schneewittchen“ hört.

„Die Schnee-Eule hat es mir unheimlich vereinfacht, in diese Welt des Waldes einzusteigen. Wir haben bei Regen und klirrender Kälte am Rande eines Sees im Wald gedreht, und nicht tagsüber, sondern nachts — um die Mystik zu erzeugen. Wer ist schon nachts im Wald, wenn das Licht weg ist und die Geister kommen. Man bekommt als Mensch solch eine Angst, weil der Wald eine unheimliche Macht der Natur ausdrückt — eine Macht, in der wir verloren sind, wenn wir uns nicht mit ihr verschwören.“

Daß Miko nicht nur Musik machen kann, sondern in letzter Zeit auch als Schauspielerin Pluspunkte sammeln konnte, kommt ihrem Video nur zugute. Im Dezember war sie in „Die Frau mit den Karfunkelsteinen“ im Fernsehen zu sehen, H.C. Blumenberg holte sie für den „Sommer des Samurai“ vor die Filmkamera -— und zusammen mit Frank Ripploh („Taxi zum Klo“) schrieb sie das Drehbuch zum Film „Aus der Gosse zu den Sternen“, in dem Miko nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern in dem auch Großteile ihres Albums als Soundtrack verwendet werden.

Erzählt wird in dieser „Überlebens-Komödie“ — ganz im Gegensatz zum Eindruck, den der Titel vermitteln könnte — keine Karriere-Fabel einer Sängerin, sondern die Geschichte von Musikern, die ihren Idealismus und ihre künstlerische Integrität nicht dem Kommerz opfern wollen. „Die natürlich durch diese Haltung in irre Schwierigkeiten geraten und fast durchdrehen“, ergänzt Miko.

Drei Hauptpersonen, Miko, der Musiker Zak, und ihr Freund und Manager Stefan bekommen durch den Druck von außen, durch den ständigen Kampf für ihre Musik, einen psychischen Knacks, der sie am Ende trotz des sich einstellenden Erfolges zerbrechen läßt. „Durch den immerwährenden Druck gehen im Film alle persönlichen Beziehungen in die Brüche. Zak und Stefan wird das Genick gebrochen — und mein persönliches Leben wird zur Hölle.“

Natürlich beschreibt der Film nicht nur die Überlebensproblematik der Musiker, sondern vor allem die grundsätzliche Schwierigkeit in unserer Gesellschaft: Wie kann man Ideale, Träume und Phantasien am Leben erhalten? Welche Probleme tauchen auf, wenn Menschen es trotz gesellschaftlicher Widerstände versuchen?

Genau da setzt im Film —- wie auch in ihrer Musik —- Miko an.

„Ich glaube, es ist die Funktion von Kunst, die inneren Wellen von Menschen greifbar zu machen. Und dann zu zeigen, daß Dinge, die in uns stecken, nur dann zum Ausdruck kommen können, wenn wir den Umgang mit unseren Mitmenschen ändern. Vor allem auch, was man in sich selbst ändern muß. Äußere Umstände zu ändern, ist Sache der Politik —- nicht Aufgabe der Musik. Und daran scheitert ja auch meist die Politik, weil sie es nicht schafft, die Menschen in ihrem Kern zu verändern. „

Wenn man Miko erlebt, sei es direkt im Gespräch oder aber indirekt beim Hören ihrer Musik, merkt man schnell, daß ihr die Inhalte und Ziele ihrer Lieder wichtiger sind als der persönliche Erfolg. Wer sich auf Miko einläßt, erlebt eine moderne Mutter Courage, die mit archaischen Liedinhalten und zukunftsweisenden Sounds für menschliche Ideale kämpft.