Neil Young: „Ich würde gern mal mit Bob Dylan spielen!“
Einer der ganz Großen war hier. Neil Young, in seiner Bedeutung für die internationale Rock-Szene weit mehr als der vierte Teil des Superquartetts Crosby, Stills, Nash & Young, war mit seiner Begleitgruppe aus Anfangstagen "Crazy Horse"' auf Deutschland-Tournee. ME traf ihn und seine Musiker nach dem Hamburger Konzert auf dem anschliessenden Presseempfang.
Dort lief alles wie gewohnt ab: Ein Dutzend Journalisten „saß Schlange“, um einige Worte des Superstars auf Tonband oder Notizblock zu bannen. Beidseitig von Journalisten flankiert, die ihn am wohlverdienten Nachtmahl hinderten, war Neil Young trotz allem nicht aus der Ruhe zu bringen, geduldig und „supercool“ antwortete er auf alle Fragen. Eine langjährige Erfahrung im Umgang mit Vertretern der Medien trug ihre Früchte. ME wartete bis zum Schluß und erhielt zum Ausgleich dafür kein Zeit-Limit.
ME: Neil, Du warst zum ersten Mal in Hamburg auf der Bühne, wie schätzt Du selbst Euren heutigen Auftritt ein?
N.Y.: Also, ich finde das ungeheuer komisch, nach dem Konzert kamen alle möglichen Leute zu mir, um mich zu trösten. Die meisten sagten etwa: „Mach Dir nichts draus, das Hamburger Publikum ist bekannt für seine Zurückhaltung!“ Sogar mein Manager redete solchen Blödsinn. Ich verstehe wirklich nicht, wovon die reden, die Technik stimmte, der Sound war o. k., es herrschte eine Atmosphäre, wie ich sie mir wünsche, und das Publikum ging mit.
ME: Hattest Du tatsächlich den Eindruck, das Publikum ginge so richtig mit?
N. Y.: Ja, natürlich, die Leute, die mich trösten wollten, dachten wahrscheinlich an das Kölner Publikum von gestern abend. Aber das kann man einfach nicht vergleichen, die waren viel jünger in Köln und standen mehr auf unsere zweite Halbzeit, wo wir elektrisch und rockiger spielten. Hier in Hamburg trafen wir auf ein mehr intellektuelles Auditorium, das mochte den ersten Teil, in dem ich allein auf der Bühne „akustisch“ spiele, lieber. Wenn ich etwas in den Jahren gelernt habe, dann ist es die Fähigkeit, das jeweilige Publikum richtig einzuschätzen. Es gibt, vereinfacht ausgedrückt, zwei Arten von Zuhörern: Die intellektuellen und die mehr physisch orientierten. Da ich in meiner Musik Gehirn, Herz und Körper gleichermaßen einsetze, kann ich fast jedes Publikum richtig „bedienen“.
ME: Aber wie siehst Du Dich selbst? Ist Neil Young-Rock der physische body-rock, oder kommt er mehr aus dem Gehirn?
N. Y.: Das kann man für sich selbst nicht verbindlich beantworten. Ich versuche immer herauszufinden, was uns, dem Publikum und mir, gemeinsam Spaß macht. Das hängt von so vielen Faktoren ab, wie der Zusammensetzung des Publikums, der Größe des Saals, usw., aber die Probleme hat schließlich jeder Musiker. Man hat mich hier auch schon gefragt, ob es nicht frustrierend für uns sei, vor „nur“ dreitausend Leuten zu spielen, während wir „.drüben“ doch Woodstock-Mengen gewohnt seien. Europäer haben da übertriebene Vorstellungen, wir spielen auch zuhause nicht nur in Fußballstadien.
ME: Man hat Deinen Liedern immer eine intellektuelle Botschaft unterstellt, welche ist das?
N. Y.: Das ist schwer in Worte zu fassen. Es in in meinen Liedern, vor allem im ersten Teil der Show, der mein persönlicher Teil ist, und in dem ich einiges vom „privaten“ Neil Young wiedergebe. Aber ich verkünde nie Botschaften oder Mahnungen wie: „Tu dies oder tu das!“
Neu Young mit Crazy Horse
ME: Deine Songs sind meisten» romantisch angehaucht, findest Du nicht, daß Du die wirklichen Probleme der jungen Leute Jn aller Welt damit übergehst oder verharmlost?
N.Y.: Nichts ist realer als die Atmosphäre sozialer Probleme, und die versuche ich zu treffen. Für mich ist das größte Problem das persönliche, oder anders ausgedrückt: der Kontakt von Personen untereinander ist das zentrale Problem. Politiker und politische Richtungen kommen und gehen und sind bis zu einem bestimmten Grad unvermeidbar, aber die menschlichen Kontakt-Möglichkeiten kann man verändern, verbessern, und davon steht viel in meinen Liedern. Liebe und Haß sind für mich die intellektuelle Botschaft, nicht Kapitalisten oder Kommunisten.
ME: Also bist Du weniger ein Songschreiber im Sinne von Schriftsteller oder Dichter sondern sowas wie ein Berichterstatter?
N. Y.: Das stimmt! Meine Texte sind nicht das Ergebnis meiner Phantasie, ich „kreiere“ sie nicht, ich bin ein Übermittlungs-Medium für Kommunikattion, denn ich singe über Tatsachen, über Dinge, die uns täglich umgeben, die wir aber oft nicht registrieren. Wenn ich ein Lied schreibe, geschieht das sehr schnell und in einem Zug. Ich unterbreche nicht, um nochmal die erste Zeile zu prüfen, es ist mir egal, wie sie klingt, das Lied ist ein organisches Ganzes. Wenn es fertig ist, entscheide ich, ob ich es verwende oder nicht.
ME: Wo und wann hast Du Deine Gruppe zusammengestellt?
N. Y.: „Crazy Horse“ ist meine Originalgruppe, mit der ich seit 1968 zusammenspiele, mit Unterbrechungen allerdings. Ich bin damals durch eine Platte auf sie aufmerksam geworden, sie nannten sich damals „The Rockets“. Ich kannte sie zwar schon persönlich, hatte aber nie daran gedacht, mit ihnen zu spielen. Auf die Idee brachte mich erst ihre Platte, ich weiß nicht mal mehr, wie die hieß, jedenfalls verkauften sie gerade fünftausend Stück davon. Nachdem wir dann schon längere Zeit zusammenspielten, starb ein Musiker. Wir ersetzten ihn später, aber in der Zwischenzeit machte ich dann Platten wie „Harvest“, „Time Fades Away“ und „On The Beach“ ohne die Gruppe.
ME: Kannst Du Dich heute noch mit allen Alben identifizieren?
N. Y.: Nein, mit ,Harvest‘ kann ich mich heute nicht mehr identifizieren, deshalb ist es aber nicht schlecht.
Es ist halt fünf Jahre her, und was ich damals gedacht und gefühlt habe, trifft heute natürlich nicht mehr zu. Es hat sich soviel getan seit damals, ich könnte heute keine Platte mehr in der Art machen, sie war viel zu „clean“.
ME: „Zuma“ ist in Deutschland erst ein paar Monate auf dem Markt, hast Du schon Pläne für ein neues Album?
N. Y.: Ja, es heißt bis jetzt „Sedan Delivery“, aber das kann sich noch ändern. Wie es werden wird, kann ich beim besten Willen nicht mit Worten beschreiben, ich weiß nur, daß es ganz anders als alle meine vorausgegangenen Platten sein wird.
ME: Eine Frage, die wir in jedem Interview stellen: Hältst Du Reggae für so wichtig oder einflußreich, wie im Moment überall behauptet wird?
N. Y.: Nein, glaube ich nicht, in Amerika zumindest ist „Disco-Music“ derzeit ungeheuer populär, ob uns das gefällt oder nicht. Bei uns gehen die „mittelalten“ Leute in die Discotheken, das Perry Como-Publikum. Die 14jährigen findet man da nicht.
ME: Hast Du eigentlich noch auf musikalischem Gebiet unerfüllte Wünsche, möchtest Du gern mit jemand anders zusammenspielen?
N. Y.: Ich würde gern wieder mit Steven Stills, oder der ganzen Gruppe C, S, N spielen. Vor allen Dingen mit Bob Dylan und seiner „Band“, das wären meine musikalischen Vorstellungen.
ME: Auch bei Dir hörte man öfter etwas von Filmprojekten, wie steht es damit, wechselst Du ins Schauspiel-Lager über?
N. Y.: Ein Wechsel käme nicht in Frage, ich würde immer Musiker bleiben, aber mal eine Rolle in einem Film – sehr gern. Leider hat sich bisher noch kein Produzent dazu bereitgefunden, mein begrenztes Schauspieltalent einzusetzen. Aber grundsätzlich wäre doch jeder gern ein Filmstar, oder?
ME: Kann man Dich auf Drogenprobleme ansprechen, der „Crazy Horse „-Musiker z.B., über den wir vorhin sprachen, starb an einer Überdosis.
N. Y.: Das ist richtig. Natürlich spreche ich über Drogenprobleme, das tue ich ja auch in meinen Songs. Trotzdem, ich habe nie harte Sachen wie Heroin genommen. Viele Leute nehmen mir deshalb übel, daß ich davon singe. Sie meinen, man könne nichts Vernünftiges dazu sagen, wenn man nie hautnahen Kontakt dazu hatte. Das glaube ich nicht, ich warne schließlich davor. Viele Leute um mich herum haben es genommen, einige sind daran zugrunde gegangen, mir scheint, das sind hautnahe Erfahrungen, die ich gemacht habe. Ich will nicht moralisieren, meine These ist, daß der Fixer sein Leben verschwendet, das steht immer wieder in meinen Liedern.
ME: Letzte Frage! Es gibt Gerüchte, nach denen die Beatles noch in diesem Jahr wieder gemeinsam auftreten werden, wird es auch wieder Crosby, Stills, Nash & Young-Auftritte geben?
N. Y.: Aber sicher! Warum denn nicht? Die Gruppe wird es wieder geben, wir verstehen uns gut. Natürlich gab es die üblichen Gruppen-Probleme, wie sie bei allen Profi-Musikern vorkommen. Mehr war nie! Aber die Medien brauchen Stoff, und wenn es sich, wie in unserem Fall, um eine bekanntere Gruppe handelt, wird der Sensation wegen ungeheuer aufgebauscht. Wir waren und sind eine ganz normale Rockgruppe mit den üblichen Schwierigkeiten.
ME: Vielen Dank für dieses Gespräch!