Neu, gut und unmenschlich warm: Hört Euch Bayonne an!
Melodiöser Minimalismus: Bei Bayonne ist der Weg vom Folksänger zum Electronica-Act nicht weit.
Hinter Folksongs steckt die pure und unmittelbare Persönlichkeit. Sagt das Klischee. Ein Mensch und seine Stimme, dazu die Gitarre. Die Entfernung zwischen Musiker und Publikum bemisst sich in Nanometern. Kann man beim Hören von Bon Ivers FOR EMMA, FOR EVER AGO nicht tatsächlich das feuchte Holz knistern hören? „Spannend wird es doch erst, wenn man Folk verfremdet“, sagt Roger Sellers, Texaner, Schnauzbartträger, Anfang 30. Unter seinem bürgerlichen Namen hat er hübsche Singer-Songwriter-Platten aufgenommen. Natürlich kann nicht jeder Folkie den Erfolg von Justin Vernon haben. Was jedoch Sellers und den Bon-Iver-Chef eint: die Sehnsucht, starke Emotionen auszulösen, ohne dabei die eigene Persönlichkeit ins Zentrum zu stellen. Mehr noch: das eigene Ego quasi aufzulösen – frei nach Radiohead: „How To Disappear Completely“ – und dabei trotzdem warm zu klingen, unmenschlich warm.
Caribou, Roosevelt, Gold Panda – da passt Bayonne perfekt rein
„Ich wollte minimale Musik so opulent wie möglich gestalten“, sagt Sellers. Seine Referenzpunkte sind die großen Künstler des avantgardistischen Schönklangs: Steve Reich und Philip Glass. Die Anordnung in Schleifen ist die Grundlage für den Klang von Bayonne. Ergänzt wird das um die verschrobene Melodieseligkeit der großen Pop-Komponisten, die sich mit Gott im Bunde fühlen: Brian Wilson rund um PET SOUNDS, aber auch die Neo-Psychedeliker Animal Collective. „Schleifen schichten“, beschreibt Sellers sein Handwerk.
„Als Kind war ich Fan der MTV-Unplugged-Reihe“, sagt er. Eric Claptons „Layla“ und „Tears In Heaven“ – „das ist meine erste musikalische Erinnerung, diese Clips haben mich infiziert.“ Kurz danach verfiel er Phil Collins. „Die wuchtigen Drums von ,In The Air Tonight‘ sind Wahnsinn!“ Und nicht weit weg von den Beats seines Album-Intros. Beim Hören hat man Sellers deutlich vor Augen, wie er als kleines Kind im Wohnzimmer steht und Luftschlagzeug spielt.
Seine erste Bayonne-Platte PRIMITIVES erscheint nun in Europa via City Slang. „Als ich den Katalog des Labels sah, fiel ich aus allen Wolken.“ Caribou, Roosevelt, Gold Panda – da passt Bayonne perfekt rein. „Das sind alles Acts, die auf sehr hohem Niveau über Themen wie Liebe und Identität nachdenken, ohne dabei den Musikanten am Lagerfeuer zu spielen.“
Klingt wie: Philip Glass, Animal Collective, Peter Gabriel