Neuer Rockmessias? Die Medien haben Ryan Adams längst dazu erklärt. Doch kann der Bursche aus North Carolina mit dem Rummel auch umgehen?
von ERNST HOFACKER Krank ist er, Grippe mit Fieber, für die acht Interviews an diesem Tag vom Doktor fit gespritzt worden. Hinzu kommen die Schmerzen, die sein gebrochener kleiner Finger an der linken Hand verursacht. Und nicht zuletzt der letlag – ein ramponierter, ziemlich müder Krieger. Die wie ein wirres Krähennest nach allen Seiten abstehenden schwarzbraunen Haare hat Adams unter eine dunkle Ballonmütze gestopft. Die Augen verbirgt er hinter einer riesigen Sonnenbrille, Modell 70s-Rockstar. Ansonsten Jeans, Jeansjacke, Converse-Turnschuhe. Und den sprichwörtlichen Dreck unter den Nägeln hat er auch – a true american rock’n’roll kid. Nicht ins Bild passt der mehrfach um den Hals geschlungene Wollschal, der seinen Träger noch eine Spur bemitleidenswerter aussehen lässt. Fehlt nur noch ein Fieberthermometer im Mundwinkel. Zurück zur Frage nach dem Druck von außen. Ryan mimt den Souveränen: „Nee, als Druck empfinde ich das nicht, ist doch alles nur Medienscheiß. Für mich zählt, dass ich meine Musik machen kann, dass ich Teil einer jungen Szene bin, die versucht, einen frischen Zugang zum Gitarren-Rock’n’Roll zu finden.“
Und das tut der Mann aus dem Hinterland, als gäbe es kein Morgen. Sein Output der letzten zwölf Monate reicht bei anderen für ein ganzes Jahrzehnt: Zunächst das Solodebüt „Heartbreaker“, hoch gelobt von der Kritik und seinem Bewunderer Elton John. Dann „Pneumonia“, das Abschiedsalbum von Whiskeytown, „mit denen ich aufgewachsen bin“. Im Herbst nun „Gold“. Noch nicht veröffentlicht, aber fertig produziert ein weiteres Soloalbum, Arbeitstitel „48 Hours“. Ebenfalls so gut wie fertig: das erste Album seines Countrypunk-Projektes, der in Nashville beheimateten Pinkhearts. Und als wäre das nicht genug, plant Adams für den Winter ein Album mit einer dritten Band, bestehend aus ihm, den Ex-Pumpkins Melissa Auf Der Maur und James Iha, sowie Evan „Lemonhead“ Dando. Sämtliche Projekte versorgt er zudem mit eigenen Songs. Ach ja, im Frühling will er mit Rick Rubin noch eine weitere Platte machen. Ein Pensum, das eigentlich drei Ryans braucht. Oder? Er lacht: „Ja, schon. Aber Platten sind kein Problem, die kann ich in einer Woche aufnehmen. Was wirklich Zeit kostet, ist das Touren.“ Aha – ein weiterer Aspekt des Adams-Erfolges: Der Mann fackelt nicht lange, macht sich keinen Kopf um aufwändige Produktionen, holt stattdessen gute Leute und spielt seine Songs ruckzuck aufs Band. So klingen seine Platten direkt, spontan, lebendig.
Und dann ist da noch seine Tourband, mit der er seit August arbeitet: Bucky Baxter (Pedal Steel, Guitar, vormals in Bob Dylans Tourband), Dan Eisenberg (Hammond, Piano, kam von Shelby Lynne), Brad Pemberton (Drums, vorher Nancy Griffith), Billy Mercer (Bass, Lebensgefährte von Lucinda Williams, der auch bei den Pinkhearts spielt) sowie Ryans alter Whiskeytown-Kumpel Brad Rice (Guitar). ME-Korrespondent Hanspeter Künzler hat dieses Line-up beim wie bei Ryan üblich – dreistündigen Promo-Gig im Londoner Astoria erlebt. Er schwärmt: „Der Geist von Dylan hängt im Raum. ‚Judas!‘, brüllt es aus dem Publikum, als die Band erscheint, nachdem Adams allein und unplugged das Vorprogramm bestritten hat. ‚I don’t believe you. You’re a liar!‘, gibt Ryan zurück – genau der Dialog, der sich vor 35 Jahren in der Royal Albert Hall abspielte, als Dylan erstmals in GB elektrisch auftrat. Aber Adams klingt nicht wie Dylan, eher wie Springsteen. ‚New York, New York‘, ‚Firecracker‘, ‚Answering Bell‘ werden hingebrettert wie bester Boss-Pomp. Dann das wunderschöne ‚Somehow, Someday‘, darauf ein großartiges ‚When The Stars Go Blue‘ und das fantastisch-grüblerische ‚Nobody Girl‘. Adams hat sichtlich Spaß daran, sich als ‚Rockstar‘ zu inszenieren. Nur: Er nimmt es nicht ernst, lacht andauernd über sich selbst.“ Hart und herzlich also.
Ein US-Magazin hatte Adams mit folgender Bemerkung zitiert: „Wenn du den linken Fuß auf die Monitorbox stellst, in Lederhose und Musde Shirt zu 100.000 Leuten singst: ‚Can you take me higher“, dann ist das uncool und langweilig, dann machst du etwas falsch.“ Damit konfrontiert, stellt Ryan klar: „Das ist aus dem Zusammenhang gerissen. Ich wollte sagen, dass bei mir der Fokus ausschließlich auf der Musik liegt, an diesem Rockstar-Ding liegt mir nichts, ich will nicht Millionen Menschen umarmen.“
Genauso wenig kalkuliert ist auch das offensichtlich an Springsteens „Born In The USA“-Album angelehnte Cover von „Gold“, das Adams in Jeans vor der US-Flagge zeigt. Behauptet er jedenfalls: „Dies ist nur eines von fast 200 Fotos, die wir für das Cover geschossen haben. Ich habe es ausgesucht, weil ich es lustig fand. Mir war eine Zigarette heruntergefallen, nach der ich mich da gerade bücke.“ Ein netter Verweis auf besagte musikalische Hausnummer in New Jersey bleibt das Cover allemal. Unheimlicher ist da schon das Video zu „New York, New York“, das Ryan Adams am Ufer des East River stehend zeigt, Manhattans Skyline im Rücken. MIT den Twin Towers. Und die sind so prominent im Bild, dass sie mit Fug und Recht als Stars des Clips gelten dürfen. Das Filmchen wurde am 7. September gedreht. Zufall, natürlich. Aber: Wie reagierte Adams angesichts des gerade abgedrehten Clips, als er vier Tage später das Drama des 11. September erlebte? Spielte er mit dem Gedanken, das Video neu zu drehen? „Ich war zu dem Zeitpunkt in Paris. Und ich sah keinen Grund, etwas zu ändern. Es ist ein ganz normales Rock’n’Roll-Video. Es wäre wohl der Stadt, in der ich lebe, und den Opfern gegenüber respektloser gewesen, wenn ich so getan hätte, als gäbe es diesen Clip nicht.“ Und überhaupt, das Thema behagt ihm nicht, genervt stellt er fest: „Rock’n’Roll hat mit Politik nichts zu tun. Ich bin ein Politiker des Herzens, nicht einer, der sich mit dem Lauf der Welt befasst.“
Zurück also zur Musik. Empfindet es der Songwriter, der als frühe Einflüsse Bands wie Hüsker Du, Boss Hog und die Replacements nennt, eigentlich als Kompliment, wenn er gelegentlich als Erbe des legendären Gram Parsons eingestuft wird, manche ihn gar den „neuen Gram“ nennen? Er schüttelt den Kopf, stopft ein paar widerspenstige Strähnen zurück unter die Mütze und poltert: „Solche Kommentare sind doch völlig lächerlich. Wer will schon gern der neue Jemandanders sein?“ Ryan Adams jedenfalls nicht.
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