Neues Deutschland: Power statt Puhdys


Der Arbeiter- und Bauernstaat erlebt seine zweite Revolution: Daß nach der Mauer nun auch fossile "Rock-Kombos" wie die Puhdys auf der Abfallhalde der Geschichte landen, kommt kaum überraschend. Aber wie soll das Neue Rock-Deutschland aussehen? Der Ost-Berliner Musikjournalist Ralf Dietrich lieferte eine Bestandsaufnahme, ME/Sounds befragte Udo Lindenberg über seine Pankow-Impressionen und recherchierte, wie die westdeutschen Plattenfirmen die Rock-Diaspora DDR missionieren wollen.

Damals, bevor in jener historischen Novembernacht 1989 Style Councils Prophezeiung „When The Walls Come Tumbling Down“ Realität wurde, schrieb DDR-Rock-Guru Dr. Peter Wicke in seinem Standardwerk zur „Anatomie des Rock“ noch kategorisch: „Rockmusik ist in der DDR ein zentraler Bestandteil der sozialistischen Kultur, ihrer Entwicklung als Moment des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses und als Bedingung der freien Entfaltung von Persönlichkeit. Wenn auch nicht isoliert oder losgelöst von den internationalen Erscheinungsformen des Rock, so existiert sie hier doch auf einer völlig anderen sozialen, ökonomischen und politischen Grundlage, als im Rahmen der Massenkultur des Imperialismus. Jugendliche Subkulturen als Ausdruck extremer sozialer Widersprüche sind dem Sozialismus ebenso fremd wie eine rein profitorientierte Massenproduktion von Musik auf Kosten einer ausgewogenen und proportionierten Gesamtentwicklung der Kultur.“

Nach solcherart ideologischer Vorgabe hatten DDR-Rocker zu rocken, auf dieser Grundlage sezierten und analysierten Partei-bestellte „Experten“ von außen eindringende Strömungen und Stile auf ihre Eignung für eine unmündige Jugend. Die Parole vom „Arbeite mit, plane mit, regiere mit“ mußte eben auch der Jugend plausibel gemacht werden – damals, als alles, was seitdem geschah, der Hoffnung eines kranken Hirns entsprungen schien. Damals, als die Puhdys in der West-Berliner Waldbühne auftraten und der heimische Blätterwald einhellig jubelte: Attention Stones, hier kommt die Konkurrenz! Damals, als die Gruppe City in Griechenland (!) mit einer Goldenen Schallplatte dekoriert wurde und dies Kritiker für den Einbruch in westliche Mediendominanz halten wollten. Damals, als Silly von der CBS wegen Erfolglosigkeit aus dem Vertrag gekippt wurde, wurde es zum Beweis eines nicht-kommerziellen Ethos‘ und Moralanspruches deklariert.

„It’s only rock ’n‘ roll“ funktionierte in der DDR-Vergangenheit eben nur auf dem Papier. Vielmehr erinnerte die gesamte Situation an ein Reservat, wo der zahnlose Löwe als König gilt, da jede Konkurrenz sich außerhalb der schützenden Zäune aufhält.

Und die administrativen Herren in ihrem über allem thronenden Ton-Olymp taten alles nur Erdenkliche, um den Status Quo zu bewahren. Dirigierten, befahlen, kritisierten, verteilten je nach Wohlwollen sowie Wohlverhalten der Einzelnen Lob oder Tadel, den notwendigen Berufsausweis oder die Möglichkeit zu Plattenaufnahmen. Sicher ist diese Darstellungsweise extrem vereinfacht, doch die graue Rock ’n‘ Roll-Realität sah im „ersten sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat“ tatsächlich kaum besser aus. Wir müssen Besseres bieten, lautete die Devise der Staatsoberen in den 60er Jahren. Besseres als die „Hotmusik“ und die „ekstatischen Gesänge“ eines Elvis Presleys. Obwohl keiner der Verantwortlichen auch nur ansatzweise wußte, worum es überhaupt ging, machten alle eifrig mit. Während aber Amiga, das staatliche (und bis zum heutigen Tage einzige) Plattenlabel der DDR, immerhin Singles und eine Compilation-LP früher Beatles-Songs unter das Volk brachte, bekamen verschiedene DDR-Gruppen rigoros Auftrittsverbote oder mußten den Namen andern, wenn auch nur ein Ansatz von Anglismus vermutet werden konnte.

„Team 4“ nannte sich die erste Band mit einem größeren Bekanntheitsgrad in den frühen 60ern – bis das Propagandaministerium die Umbenennung in „Thomas Natschinsky und Gruppe“ erreichte. Eines der damaligen Mitglieder war der nach Journalistikstudium, steiler FDJ-Karriere und Neo-Kulturstalinismus zu zweifelhaftem Ruhm gelangte Hartmut König. Er avancierte in den Jahren seiner Tätigkeit als oberster Kulturboß des SED-Jugendverbandes zur grauen Eminenz hinter Rock-Karrieren oder Band-Bankrott. Nach den blutigen Ereignissen in Peking bewies etwa die „Independent-Truppe „Herbst in Peking“ den Mut, während eines Open-Air-Konzertes in Berlin (und trotz des Wissens um die Anwesenheit des Jung-Funktionärs) zu einer Gedenkminute für die Opfer des Massakers aufzurufen. Herr König gab sich die Ehre, höchstpersönlich das Auftrittsverbot auszusprechen. Aus und vorbei!

Diesen tödlichen Kreis eines permanenten Zermürbungskrieges der Ämter gegen die Musiker durchbrachen als erste die vormaligen Leipziger „Butlers“, später zur Klaus Renft-Combo umbenannt. Ob ihres Non-Konformismus gegenüber Partei- und Jugendorganisations-Oberen, gegenüber den staatlich eingesetzten Kleidungsordnern im DDR-TV und nicht zuletzt durch ein Stil-Konglomerat internationaler Couleur, wurden sie zu Kult-Helden der frühen 70er. Ihr Ende wurde beschlossen, als die Texte von Pannach/Kunert sich der Ausreise-Problematik, parteilichen Lügen und der unehrlichen DDR-Realität zuwandten.

Nach der Musikalität von „Renft“ folgte der Sägezahn-Rock der „Puhdys“. Aus Uriah Heep– sowie Deep Purple-Versatzstücken, aus Courts-Mahler-Lvrizismen für jene, welche „nicht au} einen Baum sieigen, wenn sie Fische suchen“, aus „Türen öffnen sich zur S/ärfr-Weisheiten wurde ein linienkonformer Rockbrei zusammengepappt. 1974 geschah es, daß sie einen Augenblick der Glorie erlebten. Als Ulrich Plenzdorf ihnen nämlich für den DEFA-Spielfilm „Die Legende von Paul und Paula“ zu ihren Musikbeiträgen die Texte „Geh zu ihr“ und „Wenn ein Mensch lebt“ anbot. Doch die Chance der Individualität wurde vertan, statt dessen ging es schnurgerade zurück in Richtung Konformismus. Die Belohnung von staatlicher Seite war der 1977 verabreichte „Kunstpreis der DDR“.

Nur: Keiner der staatstragenden Musikschaffenden wollte sich allein mit Ehrungen zufriedengeben. Fettes Bankkonto, Reisepässe für die Familie, Deviseneinnahmen, all das war Belohnung für Wohlverhalten. Daß damit auch das System unterstützt wurde – wen störte das in der Band. Bevor er unter eigenartigen Begleitumständen aus der Gruppe flog, hatte es das schlagzeugende Parteimitglied Günther Wosakus gar zum nebenamtlichen SED-Funktionär gebracht. „It’s the party, not the music.“

Karat war das Ergebnis von Veronika Fischer und ihrem Entschluß, im April 1974 die Blues-Rock-Formation Pantha Rhei zugunsten einer Solo-Karriere zu verlassen. Die Rest-Mitglieder ohne Front-Lady standen plötzlich im Regen und benötigten ein neues Konzept. „In der Bindung an konkrete, aus der Wirklichkeit erwachsene Texte begannen die Musikanten, ihre Mittel zu überprüfen, begannen sie, sich um eine künstlerische Aussage ihrer Stücke und Lieder zu bemühen …“, so ein damaliger Chronist.

Der ursprüngliche für einen Fernsehfilm geschriebene Titel „Über sieben Brücken“ aus dem Jahre 1978 wurde zum Wendepunkt. Die FDJ dekorierte die Karat mit Preisen, und und im Westen coverte gar Peter Maffay den Schmachtfetzen. Ein Jahr später wurde die erste LP ALBATROS für westliche Käufer auf die Ladentische geschoben. Seitdem leben die Musiker im DDR-Jet-Set-Himmel mit großen Limousinen und solarausgerüsteten Supervillen in behüteter Umgebung. Und wenn es denn mal sein muß, dann wird auch eine Nordsee-Tour vor alten Damen zum Kaffee-Kranz abgezogen. It’s the money, not the music!

Silly sind schwieriger einzuordnen – in ihrer Musik, ihren Songinhalten, ihrer politischen Haltung. Ein geschäftlich clever organisiertes Rock „n“ Roll-Unternehmen. immer opportun, nie oppositionell oder gar subversiv in all den Jahren seit der Gründung 1978. Bei den Puhdys war alles klar: Die waren angepaßt, politisch wie musikalisch, die zogen ihr Ding von Anfang an unbeirrt durch, indem sie eine Melodie nur endlos variierten. Man konnte halt gut dabei saufen – Kopf war nicht gefragt.

Karat mit ihren angerockten Zukkerguß-Songs waren ebenfalls berechenbar. Bloß Silly, die bekam man kaum zu fassen. „Die Ferne ist ein schöner Ort, doch wenn man da ist, ist sie fort“, lautete etwa eine Textzeile. War das nun eine Aufforderung zum Bleiben oder zum Gehen? Weil: Die Band selbst lebte gut, Devisen, Luxus aus dem Westen, teure Autos.

Und wenn Honecker als Alibi eine Auszeichnung verlieh – als Beweis des Vertrauens in die Jugend – oder aber der FDJ-Zentralrat zu Feierlichkeiten lud Silly spielten das Aushängeschild. Wenn manche ihrer Lyrics nur nicht so provokativ gewesen wären! Als der Inhalt eines Songs auf ihrer letzten LP FEBRUAR (1989) kontroverse Diskussionen auslöste und schließlich obrigkeitsseitig festgelegt wurde, daß es um westliche Systemkritik handele, akzeptierte Silly diese Interpretation. In einem Interview vom Ende des Jahres äußerte Sängerin Tamara Danz zur Problematik der staatlichen Ausleser und Vordenker, sie hätten ihre Position in der Regel durchgesetzt. „Ausnahme war unsere LP UNBEFAHREN. Die wurde eingestampft. Wir hatten halt mal wieder Tabu-Themen ausgesprochen: Reisefreiheit, das berühmte Mauerthema. Und in der Nummer ,1000 Augen‘ ging es um den Stasi, um dieses Gefühl, sich ständig beobachtet zu finden…“

Auf ein derartiges Lavieren zwischen Nicht-Veröffentlichung und textlichen Kompromissen ließ sich eine andere DDR-Rock-Institution nie ein. Ende der 70er inszenierte Pankow das Rockspektakel „Paule Panke“ um das öde und so unsozialistische Lehrlingsleben der Hauptfigur. Eine Live-LP war geplant, bis das staatliche Plattenlabel „Amiga“ ein weiteres mal (wie so häufig zuvor und noch öfter auch in den folgenden Jahren) seine DDR-Markt bestimmenden Muskeln spielen ließ und die Musiker wissen ließ, man werde diese LP nicht vertreiben. Amiga-Boß Büttner funktionierte einmal mehr als zuverlässiger Handlanger der SED-Propaganda-Abteilung und von FDJ-Kulturchef König. Aus alter Freundschaft. Denn es gab eine Institution aus den 60ern, genannt „Oktober Klub“, die im Laufe der Jahre zum Karrierekatapult für seine ehemaligen Mitglieder wurde. Heutige Macher der Fernsehsendung „Elf 99“, Ansager, Journalisten, König oder Büttner – sie alle stammen aus diesem „Geheimbund“ mit Namen „Oktober Klub“. Nach der Wende im Land verschwindet dieser Teil ihrer Biographie allerdings plötzlich aus den Papieren …

Pankow war von Anbeginn die kompromißloseste DDR-Rock „n‘ Roll-Band. Noch 1989 verlangte ein – heute inhaftierter – Parteibonze ein Verbot der Band – wegen Textzeilen, die konstatieren, „das gleiche Land zu lange gesehen, die alten Männer zu lange verehrt.“ Pankow spielten als einzige der „alten“ Bands nicht auf der Bühne die Rocker, im Leben hingegen die Schicki-Mickis. Diese Band ist integer – und gleichzeitig ein tönendes Bindeglied zu den neuen Gruppen im DDR-Land.

Es waren die Clubs, in denen es – circa 1984 – am ersten gärte – was weniger mit Orwell’schen Gefühlen zu tun hatte, sondern schlicht und einfach mit der frustrierenden Realität. „Dunkerstraße“, „Kreiswalder“, „Langhannsstraße“ waren die Treffpunkte der Berliner Kids. Ihre Favoriten hießen und heißen Feeling B, Hard Pop, WK 13, Die Vision, Skeptiker, The Next oder Sandow – und so unterschiedlich die Namen, so verschieden ihre Soundmixturen aus Chaos, Funk und Garagen-Rock. Das alles brodelte im Spannungsfeld zwischen Dilettantismus und Können, zwischen argwöhnischer Beobachtung durch staatliche Stellen und der Förderung durch den Rundfunk.

Lutz Schramm von der Rock-Station DT 64 schwang sich als erster zum Mentor der neuen Bands auf – trotz aller Bevormundungsversuche der Oberen: Denn die sangen ja englisch, begehrten gegen die Zensur im Studio auf oder schrieben Texte über „bessere Zeiten“, wo doch die zwangsverordnete Wirklichkeit angeblich so wunderbar war. Mittlerweile wurde der DDR-Untergrund aus dem Keller geholt und muß auf seine Weise auf die Veränderungen reagieren. Alte Pressionen sind verschwunden, doch viele Unsicherheiten noch vorhanden. Und: „DDR“ als Markenzeichen erlebt plötzlich eine Hochkonjunktur. Da taucht etwa ein obskurer US-Rock-Impresario namens Jack Rielly auf und winkt mit den dicken Scheinen. „J And The Trench-Band“ heißt der erste Fisch an seiner Angel – der Millionen-Vertrag mit Warner Brothers in Amerika ist angeblich schon unter Dach und Fach… Es ist schwer, solche Vorkommnisse richtig zu deuten, wenn die Herausforderung so plötzlich angenommen werden muß. Die Gefahr des Ausverkaufes ist jedenfalls nicht bloß ein Hirngespinst…