Neustart
Mit Marteria ging es los, im vergangenen Jahr wurde Casper groß gefeiert und 2012 hat schon seinen nächsten Deutschrap-Superstar: Er trägt eine Pandabären-Maske und nennt sich Cro. Dieser Trend, der weit hinaus führt aus den (Berliner) Ghettos, ist mehr als nur ein Trend, denn dahinter steht eine ganze Szene. Und von der dürfen wir noch einiges erwarten.
„HipHop is dead“ rappte 2006 der große Straßendichter Nas. Er irrte. Seit 30 Jahren folgt in der Welt von Beat und Reim auf jedes Wehklagen unter Garantie die nächste Welle der Euphorie. Ein neuer Tag, ein neuer Style – schließlich ist der Gang über den Jordan auch nur ein Aufbruch zu neuen Ufern. So zieht auch in Deutschland derzeit eine ganze Generation blutjunger Rapper das Genre konsequent auf links. Mit Endorphin statt Testosteron, engen Jeans und weitem Blick. Im smarten Schwaben Cro hat sie ihren neuen Superstar gefunden.
Es ist vier Uhr nachmittags an einem strahlenden Frühlingstag in München. Auf Steinstufen in dem Veranstaltungsareal des Feierwerk südwestlich der Innenstadt sitzen junge, sehr hübsche Mädchen in bedruckten T-Shirts und vertreiben sich die Zeit mit beiläufigem Rauchen und ostentativem Nichtstun. Im Hintergrund scheppern und kratzen ein paar Skateboards über den Parkplatzasphalt, zwischen den grauen Hallen des Kulturzentrums spitzen erwartungsfroh Sonnenstrahlen hervor. Das milde Frühlingswetter ist nicht der Grund für den Menschenauflauf; braun werden kann man in dieser Stadt besser noch an anderen Orten. Der wahre Grund heißt Carlo Waibel. Er rappt unter dem Namen Cro. Und er schlendert gerade an seinen frischen Fans vorbei, ohne dass sie es merken. Man ruft ihn auch „den Pandamann“, wegen der Bärenmaske, die ihm als Markenzeichen dient und ihn praktischerweise auch noch tarnt, ihn vor dem Zugriff seiner Verehrer bewahrt. Deren Zahl ist innerhalb von ein paar Wochen explodiert. Facebook zählt knapp unter 700 000. Zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Zeilen geschrieben werden.
Die Geschichte von Cro gehört zu den erstaunlichsten der jüngeren deutschen Pophistorie. Im Sommer vergangenen Jahres tauchte das mysteriöse Supertalent im Umfeld des Stuttgarter Indie-Labels Chimperator auf. Der Kollege Kaas hatte ihn im Internet entdeckt, ausfindig gemacht und umgehend dem Künstlerstamm von Chimperator zugeführt. So geht die Legende. Danach ging alles ganz schnell. Im Netz tauchte ein Song namens „Easy“ auf, wenig später das dazugehörige Video, in dem die hübschen Mädchen mit den bunten T-Shirts nicht nur herumsitzen und rauchen, sondern zu Cros Vokalparts die Sängerinnen mimen und dabei durch die Bilderbuchbutze eines coolen Teenagers mit Tumblr-Sozialisation stolpern. Überall Bilder, Referenzen, Supreme-Mützen. Die T-Shirts der Mädchen hat Cro selbst designt.
Bislang wurde das Video alleine bei YouTube 16 577 000-mal angeschaut. Wiederum zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Zeilen geschrieben werden. Seit Wochen schon hält sich das Stück in den Top 10 der Single-Charts, und das, obwohl es monatelang umsonst im Netz erhältlich war. Cro-Konzerte sind seitdem grundsätzlich ausverkauft, die Festivals des Sommers werben in großen Lettern mit seinem Namen. Kein Wunder, dass die Major-Labels zu einem irren Wettbieten anhoben und angeblich bis zu 300 000 Euro für seine Dienste auf den Tisch packen wollten. Ein Angebot wie aus den Neunzigern, dem goldenen Jahrzehnt der Musikindustrie. Cro jedoch schlug aus, sein offizielles Albumdebüt Raop wird er im Juli independent bei Chimperator veröffentlichen. „Wir können das alles auch alleine“, sagt er lapidar. „Ist eh cooler.“ Easy.
Für die überwältigende Mehrheit derer, die Cros Lied dieser Tage nicht mehr aus dem Kopf bekommen, kam Cro aus dem Nichts. Eine Interneterscheinung wie Lana Del Rey oder wütende Vögel, die auf grüne Schweine einstürzen: plötzlich da, plötzlich überall, vermutlich bald wieder weg. Dieser Eindruck täuscht gewaltig. Der Bursche nämlich, hinter dessen wahrem Alter ein Fragezeichen steht (Label sagt 19, Internet sagt 21, Cro sagt „Ja, so, ungefähr“, mit scharfem ’s‘ und aufreizend lang gedehntem ‚ooo‘), hat mehr zu bieten als nur ein paar flotte Styling-Ideen, ein gewinnendes Wesen und ein hübsches Gesicht unter der Bärenhaube. Zum Beispiel großes Talent. Das wird an jenem Abend in München schnell klar: Sein Publikum kontrolliert er mit spielerischer, selbstverständlicher Leichtigkeit – trotz des an diesem Abend gleichzeitig groß aufspielenden FC Bayern und der emotionalen Distanz, die so eine Maske eigentlich mit sich bringen müsste. Und er hat die Hits, ein paar auf seinem Mixtape „Easy“ und sogar noch mehr auf Raop.
Am wichtigsten ist aber: Cros Erfolg ist kein isoliertes Phänomen, sondern der vorläufige Höhepunkt einer organischen Entwicklung, die sich seit drei, vier Jahren abzeichnet. Cro mag der bekannteste und vielleicht auch talentierteste Rapper seiner Generation sein. Aber er ist eben bei Weitem nicht der einzige. So war das Konzert in München Teil einer gemeinsamen Tour mit dem Hamburger Ahzumjot und Rockstah aus Frankfurt. Die sind beide beim Berliner Kreativkonglomerat und „Zersetzungskonsortium“ Beat The Rich/Landstreicher angedockt, wo auch die quasi-rappenden Kraftklub sowie der unbestrittene Posterboy des neuen Deutschrap, Casper, zu Nummer-eins-Acts reifen konnten.
Die erste Band bei Beat The Rich waren die grandiosen Kreuzberger Krawallphilosophen K.I.Z., deren DJ Craft oft gemeinsam mit DJ Stickle auflegt. Der wiederum produziert für den Wahlberliner Olson sowie den Österreicher Gerard, der für 2013 bei mehreren Labels auf dem Zettel stehen soll, als eine Art deutschsprachiger Mike Skinner mit global gefärbten Großstadtbeats. Auf seinem Album Blur (2010) arbeitete Gerard bereits mit dem Stuttgarter Maeckes, womit sich der Kreis zu Cro schließt: Maeckes ist Mitglied der wundersamen, wundervollen HipHop-Boyband Orsons, die ebenfalls bei Chimperator unter Vertrag steht – und der auch Cro-Förderer Kaas angehört. Hinter dem Trend steht eine Szene.
„Es gibt tatsächlich eine neue Bewegung, eine neue Generation im Deutschrap“, sagt Stephan Szillus, Chefredakteur des Szeneorgans „Juice“. „Die Themenfelder und Referenzpunkte haben sich in den letzten zwei Jahren komplett verschoben. Textlich wenden sich die neuen deutschen Rap-Acts primär inneren Befindlichkeiten zu. Da vollzieht sich eine Art Rückzug vom Politisch-Sozialen ins Private. Musikalisch spielen Einflüsse aus Indie-Pop, Post-Rock, Dubstep und allerlei Electronica eine große Rolle. Der Straßen- und Battlerap, wie er 2003 mit Sido und Bushido populär wurde, ist natürlich nicht von heute auf morgen verschwunden. Doch das öffentliche Bild von HipHop ändert sich gerade massiv.“ Tatsächlich haben die neuen Akteure schon äußerlich wenig gemein mit der Berliner Aggro-Ästhetik. 2007 noch kam kaum ein Video ohne Asphaltimpressionen, Kampfhunde und eine Hundertschaft finster dreinblickender Kumpels aus dem Kiez aus. Doch Cro kommt nicht aus dieser Welt. Er kommt aus dem Keller seiner Mutter in der schwäbischen Provinz. Sein Opa war Maler, seine Oma hat ihr ganzes Leben Klavier gespielt, seine Schwester studiert in London am Royal College of Art. Er selbst hat eine Ausbildung zum Mediendesigner absolviert.
Wenn Cro und Co. ihre Tour „Hip Teens Wear Tight Jeans“ nennen, schwingt durchaus Selbstironie mit. Die engen Hosen aber tragen sie trotzdem, dazu kunstvoll zerschlissene Vans und was das stilistische Spannungsfeld zwischen Emo-Scheitel und hipper Streetwear eben so hergibt. Szillus: „Diese Künstler verkaufen ihren Fans einen kompletten Lifestyle inklusive Kleidungsstil und Weltanschauung. Casper kommt eher melancholisch und selbstdestruktiv daher, Cro gut gelaunt und hedonistisch. Was sie aber eint, ist, dass sie HipHop nicht in erster Linie als Abbildung von Attitüden sehen, sondern tatsächlich als Musik. Alles klingt sehr ausproduziert. Sich Mühe geben ist wieder cool.“
Ziemlich cool sogar: 2011 war das erfolgreichste Jahr für deutschen HipHop seit längerer Zeit. Casper und Kraftclub gingen auf Gold, die Orsons demnächst mit Herbert Grönemeyer auf Tour. Cro spricht im „Heute Journal“ und die Zahlen sowieso für sich. Auch der Vorverkauf für das Splash!-Festival in Gräfenhainichen, eine Art inoffizielle Jahreshauptversammlung und damit ein guter Gradmesser für die Befindlichkeiten der Branche, läuft im Vergleich zu den Vorjahren glänzend. „Es hat den Anschein, als sei tatsächlich eine neue Generation angetreten, um den HipHop rundum zu erneuern“, sagt Splash!-Booker Julian Gupta. „Auch unter den Fans.“ Neben bewährten Publikumshelden wie Kool Savas oder Beginner integriert Gupta mehr und mehr solche Künstler ins Programm, die im vorigen Jahr noch selbst an der Campingdusche Schlange standen. Und verkauft damit mehr Tickets als mit teuren Zweitligisten aus Übersee, die im Herbst ihrer Karriere in Europa noch einmal abkassieren wollen. „Man könnte sagen: Der Plan geht auf.“
Wie kam es dazu? Waren hier juvenile Visionäre am Werk, die den Paradigmenwechsel von langer Hand geplant hatten? Oder doch nur die üblichen Selbstreinigungskräfte, die es dem HipHop stets erlaubten, sich immer wieder neu zu erfinden? Man landet bei der Ursachenforschung schnell bei den üblichen Henne- und-Ei-Szenarien. Sicher ist: Straßenrap Marke Aggro hatte sich totgelaufen. Nicht nur bei den Kritikern, die in Sido und Bushido ohnehin nicht nur Musiker sahen, sondern Skandalnudeln und Speerspitzen einer allgemeinen gesellschaftlichen Verrohung. Und das auch bei den Fans. Es musste etwas Neues her, und etwas Neues kam.
Als Gegenbewegung sollte man die neue deutsche HipHop-Herrlichkeit dennoch nicht missverstehen. Die Dialektik zwischen bösem Gangsta- und gutem Gymnasialrap ist eher ein hausgemachtes Medienthema, die Protagonisten selbst zelebrieren die friedliche Koexistenz. Cro etwa outet sich bereitwillig als Fan der Aggro-Ära: „Sidos Maske fand ich damals Bombe. Wir sind am Sportplatz rumgehangen, haben Basketball gezockt und das auf der Rolleranlage rauf und runter gehört.“ Die Grenzen verlaufen fließend. Der einstige Internet-Emporkömmling Kollegah rappt mit Vorliebe über seinen Bizeps, Koks und Zuhälterei, das aber mit bildungsbürgerlichem Großvokabular und einem erstaunlichen Talent zum Zigfachreim. Im echten Leben studiert er in Mainz Jura, Cro und Casper können seine Texte auswendig. Auch der Offenbacher Haftbefehl findet mit seinem absurden Wortwitz und einem an den großen Notorious B.I.G. gemahnenden Meister-Flow Anklang bei der Pop-Intelligenzia. Dazwischen stehen MCs wie Mo Trip, Megaloh und Raf 3.0, die Straßenauthentizität mit Eloquenz und musikalischer Ambition paaren.
Und auch zur ersten goldenen Deutschrap-Ära Ende der 90er-Jahre gibt es Verbindungen. So wünscht sich Casper in seinem Gastbeitrag auf Kraftklubs „Songs für Liam“ ein neues Album von Eins, Zwo. Und Cro hat unlängst einen Song mit Max Herre aufgenommen – der warme Samplesound und die unbeschwerte Leichtigkeit von „Easy“ erinnern nicht zufällig an den Sound von Bands wie Freundeskreis oder die Beginner. Marteria, dessen 2010er-Album Zum Glück in die Zukunft eine Art Startschuss für die heutige HipHop-Hausse markierte, ist sowieso fest verbandelt mit Altmeistern wie Peter Fox oder Jan Delay. So wird auch Cro mit Raop nicht alles anders machen. Das will er auch gar nicht. Wenn er in seinem Albumtitel etwas umständlich „Rap“ und „Pop“ verschmilzt, dann ist das kein Ausdruck von Überambition, sondern eher eine Selbstverständlichkeit. „Ich habe halt immer schon alles Mögliche gehört.“
Druck, in gerade einmal zwei Monaten das Album raushauen zu müssen, auf das alle warten, empfand er nicht. „Wenn ich morgens aufgewacht bin, habe ich mich eher gefragt, was die Leute überhaupt noch von mir hören wollen, das sie noch nicht wissen. Also habe ich einfach Songs darüber gemacht, wie wir abhängen. Freunde, Musik, Chicks, solche Sachen. Ich mache mir keinen Druck, nur weil es mein erstes Album ist – das Ding, an dem ich gemessen werde, ist ja ohnehin schon raus.“
Er meint „Easy“, das Lied, das viele seiner Fans am liebsten dreimal pro Abend von ihm hören würden. Ob es ihm nicht manchmal schon zum Hals raushänge, dieses Lied? „Du meinst, weil die Leute sagen, ah, das ist der von ‚Easy‘? Das ist mir egal. Wäre ja auch ein bisschen albern, das zu verleugnen. Mache ich halt noch mehr so krasse Sachen. Dann bin ich der Typ von ‚Easy‘ – und von allem möglichen anderen.“ Klar. Easy.
Acht für Zwölf: Kleine Klassiker des neuen Deutschrap
Marteria „Verstrahlt“ (2010)
Gleichzeitig Startschuss und wichtigstes Stück des neuen deutschen Rap. Eine Hymne an das Freisein, die klingt wie ein Gang ans Spreeufer um 5 Uhr morgens.
Rockstah „Taskleistendisco“ (2010)
Der selbsterklärte Nerd aus dem Casper-Camp hat bessere Songs („A-Taste“) und größere Hits („Zocken
Cro „Hi Kids“ (2011)
„Hi Kids, ich bin Carlo, werft den Arm hoch und gebt mir ein Hallo.“ So einfach ist das manchmal im Leben. Im HipHop sowieso.
Ahzumjot „Sepia zu Gold“ (2011)
Mit seinem Debütalbum Monty schuf Alan Degeneres einen Klassiker für die „Generation Vielleicht“. Schlaue Zeilen, guter Style, beste Beats.
Casper „Kreis“ (2012)
Der Drake-Moment des Bielefelder Fanlieblings. Casper feiert, und statt Cristal gibt es allgemeine Betrachtungen zum Thema Freundschaft und Erfolg.
Tua „Moment“ (2012)
Tua von den Orsons gibt den deutschen James Blake, mit kleinen großen Zeilen und allerlei Stimmeffekten auf der entwaffnend unmittelbaren Singstimme.
SAD & Lovebugs feat. Olson, Gerard & Ahzumjot „Head X“ (2012)
Liebe. Regen. Nachts ins Freibad einsteigen. Solche Sachen. Drei der interessantesten Rapper 2012 auf einem Track.
Orsons „Jetzt“ (2012)
Sollten unsere Kinder irgendwann mal meckern: „früher war alles viel besser“, dann meinen sie damit „Jetzt“. Ein Kodak-, pardon: Instagram-Moment von einem Song.