NICK CAVE AND THE BAD SEEDS


Die neuen, subtilen Seeds führen das Publikum an unbekannte Orte und verweilen da erst mal.

Das neue Album der Bad Seeds wird erst in zwei Tagen veröffentlicht werden. Und im mittelalten Publikum scheinen sich, mit Verlaub, nicht allzu viele frühe Vögel zu scharen, die das Netz nach „geleakter“ Musik durchpicken. Die hier spazieren eher zum Kulturkaufh aus hinüber, wo PUSH THE SKY AWAY schon im Fenster wartet, aber eben mit dem Vermerk „ab Freitag erhältlich“. Also muten Nick Cave und seine für die Bühne erneut umgebauten Bad Seeds (u.a. sind Barry Adamson und Ed Kuepper zurück) ihrem Publikum im ausverkauften Palast erst einmal einiges zu, wenn sie das Album sich vollständig entfalten lassen, Song eins bis neun, knapp 60 Minuten lang … einen ziemlichen „Brocken“, so sagt man doch.

Wenn dieses Bild nicht dermaßen schief wäre. Weil nichts an dieser lockenden Musik eine so feste Gestalt annehmen könnte. Caves Sextett wird von einem Streicherquintett, zwei Sängerinnen sowie einem achtköpfigen Kinderchor unterstützt. Doch selten hat man eine solche quasiorchestrale Besetzung eine so überschaubare Menge von Geräuschen erzeugen hören.

Die Dynamik der neuen Seeds wird in der subtilen Liveumsetzung umso deutlicher. Wenn, wie im Bluesschleicher „Jubilee Street“, der sich wie eine Boa ums Herz legt und sich immer fester zuzieht, die Streicher hochgeweht werden, das knappe Schlagzeug das Tempo leicht anzieht und die Kids lange, aaahnungsvolle Vokale halten, sieht man fast schon einen Sturm aufziehen. Ohne dass das Stück die Form „Ballade“ tatsächlich verlassen würde. Auch das Aufeinandertreffen von Warren Ellis sperrigen Loops auf die besonnenen Tupfer der Band erzeugt eine ungeheure Spannung. Zudem kann man in diesen unverstellten Landschaften Caves assoziativeren, aber immer noch inbrünstig gepredigten Texte gut verstehen. Sogar darüber lachen, wenn sich der Dichter auf seinem Trip durch den „Higgs Boson Blues“ mit großer Lust um Kopf und Kragen reimt. Und wann konnte man bei Nick Cave schon einmal lachen?

Bei „From Her To Eternity“ bestimmt nicht. Das haut einem der Souverän dann nämlich zum Beginn des anschließenden, noch euphorischer umjubelten Greatest-Hits-Teils um die Ohren. So nahe ans Chaos, wie es die Seeds früher anrichten konnten, wagen sie sich heute zwar nicht mehr. Aber wie es da dennoch kracht und der spindeldürre Cave sich dazu johlend ins Hohlkreuz wirft und Löcher in die Luft tritt, das bleibt doch ein großartiges Spektakel.

SETLIST

We No Who U R Wide Lovely Eyes Water’s Edge Jubilee Street Mermaids We Real Cool Finishing Jubilee Street Higgs Boson Blues Push The Sky Away From Her To Eternity O Children The Ship Song Jack The Ripper Deanna Love Letter Your Funeral … My Trial The Mercy Seat

Stagger Lee