Nick Cave & The Bad Seeds


Das Zirkuszelt platz! aus allen Nähten: Fast 3000 Verehrer wollen den rockenden Düster-Dichter in seiner früheren Wahlheimat sehen. Traditionell dominiert die Nichtfarbe Schwarz das Outfit des Publikums, doch daneben finden sich auch ganz normale Mitbürger in ganz normalen Alltagsfarben. Sollten das bereits die ersten Jünger des „neuen“ Nick Cave sein, der sich offensichtlich bemüht, vom Rock ’n‘ Roll ins ernste Fach des schmachtenden Entertainers umzusteigen?

Im Gegensatz zu seinem schillernden Image sah Cave selbst eigentlich schon immer relativ durchschnittlich aus; daran hat sich seit den Tagen des versuchten Heroin-Harakiri nichts geändert. Wie eh und je tritt er mit dunklem Anzug und weißem Hemd auf die Bühne. Unter tosendem Beifall eröffnet „The Mercy Seat“ das Konzert, die Ode an den elektrischen Stuhl. Von Anfang an drückt das Sextett aufs Tempo, was besonders den Titeln der letzten LP THE GOOD SON, die hart am Rande des Kitsches operieren, gut bekommt. Bis auf eine Ausnahme: „The Weeping Song“, eine wunderschöne Ballade, gerät gnadenlos unter die Hufe des atemlosen Parforce-Ritts.

Während Gitarrist Kid Congo Powers in souveräner Manier die Melodien trägt, sorgt Blixa Bargeld an der zweiten Klampfe mit schrägen Tönen dafür, daß der Sound nicht zu glatt wird. Und auch der Maestro höchstpersönlich bürstet gegen den Strich. Cave zählt zwar schwüle Schmalzer wie Tom Jones und Barry White zu seinen Vorbildern, ihm selbst gelingt es jedoch nur vergleichsweise selten, Töne zu treffen und zu halten. Mal liegt er über, mal unterhalb der stimmlichen Ideal-Linie – und sorgt damit für Überraschungsmomente, die er wahrscheinlich selbst nicht eingeplant hat.

Für „The Carny“, das er im Wim Wenders-Film „Himmel über Berlin“ intonierte, setzt sich Cave auf einen Stuhl und rezitiert den Text aus einem Buch. Vielleicht ein subtiler Hinweis auf seinen soeben erschienenen Roman „And The Ass Saw Angel“, der die gleiche Thematik behandelt? Mit der Bemerkung „mv favourite“ leitet er den „Ship Song“ ein, in dem seine Unsicherheit besonders deutlich zu Tage tritt. Mit furiosem Karacho dann „The Good Son“ und einige ältere Titel wie „City Of Refugees“ und „The Carnival Is Over“. Augenfällig sind die Prediger-Posen, die der bibelfeste Australier immer wieder einnimmt.

Das Ende des regulären Sets provoziert fanatischen Jubel. Geschlagene fünf Minuten tobt die Menge, bevor das Objekt der Verehrung wieder auf die Bühne tritt und einige „Klassiker“ vorträgt, darunter „Tupelo“, seine Hommage an Elvis Presley, sowie Johnny Cashs „The Singer“. Kein Zweifel: Nick Cave will aus den stilistischen Barrieren seiner bisherigen Musik ausbrechen. Auf dem Weg dorthin hat es der einstige Depresso-Prophet immerhin schon zur Meisterschaft im Bereich der morbiden Schnulze gebracht. Eine unorthodoxe Entwicklung, die sein Berliner Publikum jedoch mit Begeisterung begleitete.