Nik Kershaw’s


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Im Sprint an die Spitze! Die ersten Monate des Jahres 1984 reichten dem 26jĂ€hrigen Briten, um mit einem mitreißenden Spurt ins Spitzenfeld der Hit-Spezis zu fahren. Womit sich wieder einmal die Frage stellt: Just another pretty face- oder doch ein Mann mit Substanz und Zukunft? Immerhin hat der neue Rock n‘ Romeo gewichtige QualitĂ€ten in die Waagschale zu werfen: Er schreibt und arrangiert seine Songs in eigener Regie – und ist gleichzeitig realistisch genug, auch einen plötzlichen Karriere-Knick einzukalkulieren


MMindestens 40 Teenager stehen draußen vor der TĂŒr. Sie wollen ihn sehen, anfassen, ein Autogramm. DafĂŒr fĂŒnf Stunden warten? “ Na klar“, ruft die kesse Biene, so 12 Jahre, „ich liebe ihn!“

Er, das ist Nik Kershaw – und der sitzt mir gegenĂŒber, zusammengekauert auf einer Pritsche, Jeans und schwarzes T-Shirt. Ziemlich hĂŒbsch, blauĂ€ugig, das Haar strĂ€hnenweise blond gefĂ€rbt und von Hand regelmĂ€ĂŸig nach hinten gestrichen. Sein Problem: Er ist unglaublich klein, 1 Meter 61, erfahre ich spĂ€ter. Im Femsehen sieht man das natĂŒrlich nicht, weil die Kamera ihn geschickt von unten einfĂ€ngt.

Nik Kershaw ist Englands neues Teen-Idol und bei uns nicht mehr weit davon entfernt. Vor einem halben Jahr rollte der Karren an, als „Wouldn’t It Be Good“ auf einmal in den „Top Of The Pops“ lief. „Alle glĂŒcklichen UmstĂ€nde trafen danach auf einmal ein“, stellt Nik fest, „ich konnte es kaum glauben.“

Die Single kletterte auf Platz 2 der britischen Charts, die Musik-Presse sah in Nik bereits das „This Years Model“. „Ich wußte gar nicht, wie ich mich in Interviews oder im Fernsehen verhalten sollte“, erinnert er sich belustigt, „weil ich bislang nur ĂŒber meine Musik nachgedacht hatte, nie ĂŒber Image oder Kleidung.“

Jetzt geht in London ein MĂ€dchen fĂŒr ihn Kleider einkaufen, weil der Liebling der Nation dafĂŒr keine Zeit hat. Immerhin: „Im Laufe der Zeit bin ich interessierter an meinem Aussehen geworden. Morgens nach dem Aufstehen graust es mir meist vor dem Spiegel. „

Nik kann und will die RĂ€der, die da in Bewegung geraten sind, nicht stoppen. Nik gibt selbst zu, daß er zu ĂŒberrascht und zu grĂŒnschnĂ€blig war, um seine Richtung selbst zu bestimmen. Die Promotion verkauft ihn als Teeny-Held, obwohl er schon 26 ist (und nicht 23, wie viele mogeln). „Es ist ja grundsĂ€tzlich keine schlechte Sache, populĂ€r zu sein“, findet Nik noch immer,“ so hören zumindest viele Leute meine Musik – welcher Songschreiber wĂŒnscht sich das nicht?“

Und obendrein ist’s wohl ein relativ lockerer Job, mit dem man in KĂŒrze eine Menge Geld scheffeln kann, werfe ich ein.

Nik lacht verlegen bis zufrieden: „OK. vielleicht, wenn es so weiterlĂ€uft. Aber die Leute haben ein kurzes GedĂ€chtnis. Besonders auf dem Single-Markt in England könnte es leicht passieren, daß ich Ende des Jahres

wieder mit leeren HĂ€nden dastehe, wenn nichts mehr einschlĂ€gt. Die Presse lĂ€ĂŸt doch jeden hĂ€ngen, der einmal in den Top 20 war. Dann ist er ihnen gleich zu kommerziell. „

Nik Kershaw mußte lange akkern fĂŒr seine Chance. Die ersten Demo-BĂ€nder schickte er vor zwei Jahren an sĂ€mtliche großen Plattenfirmen, nachdem sich seine Kapelle „Fusion‘, mit der er bei Tanzveranstaltungen die Senioren auf Trab brachte, aufgelöst hatte. Keine Reaktion aus den Chefetagen.

Aus Verzweiflung, weil er nicht noch einmal – wie damals nach seinem Schulabschluß in der Schlange am Arbeitsamt dahinvegetieren wollte, annoncierte Nik im „Melody Maker“: Manager gesucht!

Es meldete sich Mickey Modern, der schon die Gruppe Nine Below Zero unter seinen Fittichen hatte. „Mein grĂ¶ĂŸtes GlĂŒck“, sagt Mister Nice Guy, „denn Mickey verschaffte mir den Deal mit MCA.“ Die Rakete konnte starten.

Zweifellos half das starke Video zu „Wouldn’t It Be Good“ krĂ€ftig, den Star von der Insel auch bei uns bekannt zu machen. Jeder staunte ĂŒber den scheinbar durchleuchteten Oberkörper, der da durch die RĂ€ume wanderte. „Scotchlight“ heißt diese Technik. Au1 das Jackett werden dabei dicht an dicht Kristalle geklebt, die das Licht besonders reflektieren. Kein Problem, darauf Filme zu projizieren. „Aber eine unbequeme Sache“, meint der Betroffene, „die Jacke war so schwer und unbeweglich, daß mir drei Leute beim An- und Ausziehen helfen mußten. „

Nun endlich zur Musik, die fĂŒr Nik Kershaw eindeutig ĂŒber all dem Image-Gerede steht, wie er glaubwĂŒrdig versichert. Wenn einer, neben markantem Gesang, auch Gitarre und Baß perfekt beherrscht, am Keyboard ebenfalls keine schlechte Figur abgibt („Die Technik der Synthesizer begreife ich allerdings noch immer nicht so ganz“) und zudem alle Songs seiner ersten LP HUMAN RA-CING selbst geschrieben und arrangiert hat, dann steckt hinter dem Namen zweifellos mehr als ein gepushter Schönling, der zufĂ€llig in diese Branche reingerutscht ist.

Niks klar strukturierte Lieder haben Profil, etwas FĂ€szinierendes in der Stimmung. Mal traurig, mal ausgelassen, mal romantisch. Jazz und Soul bezeichnet der Beamtensohn aus Ipswich als die fĂŒr ihn wichtigsten EinflĂŒsse. Daß er Stevie Wonder schon hörte, als er- seinen ersten Cassettenrecorder bekam, glaubt man Nik unbesehen. Speziell beim Song „Human Racing“ klingt seine Stimme verdĂ€chtig nach Stevie.

„Das haben mir schon viele gesagt, ist mir aber frĂŒher nicht bewußt geworden“, meint er knapp.

Insbesondere Jazz-Musiker sind absolute Götter fĂŒr ihn:

„Die perfektesten Gitarristen und Bassisten oder BlĂ€ser kommen alle ursprĂŒnglich vom Jazz. Ich liebe es, mit einem Jazz-Gitarristen dazusitzen und seine Ideen auf dem Instrument zu verfolgen – fĂŒr mich die beste Inspiration. „

Sicher ein Grund dafĂŒr, daß Nik Quincey Jones‘ BlĂ€ser-Truppe fĂŒr das Album engagierte, die sein Freund Jerry Hey dann einstimmte. Zu viele BlĂ€ser im Konzert hat er wiederum auch nicht gern, weil sie ihn live einschrĂ€nken. So eine Gruppe mit auf Tour zu nehmen, kostet schließlich auch einen Haufen Geld.

Mit drei Ausnahmen drehen sich die Texte alle um mehr oder weniger schwerwiegende Beziehungs-Probleme. „I Won’t Let The Sun Gc Down On Me“, das demnĂ€chst nach „Dancing Girls“ als dritte Single veröffentlicht wird, beschreibt dagegen die Angst vor der nuklearen Apokalypse. Nik dazu: „Eine Handvoll Politiker besitzen die Macht und können mit der Atombombe Millionen Leute ins Grab bringen. Wer sagt, daß sie richtig entscheiden ? Obwohl diese Personen gewĂ€hlt sind, kennt doch niemand wirklich ihre Charaktere. Die Masse zieht sich zurĂŒck und denkt: .Ich habe ja keine Ahnung, was kann ich schon machen?‘ Ich möchte lieber die Verantwortung fĂŒr mein Leben selbst in die Hand nehmen.“

Auch das ruhige „Faces“ mit dem hochgezogenen Baß, „Cloak And Dagger‘, eine Street-Dance betonte Tanznummer, schneidet politische Themen an. Bei „Faces“ beklagt Nik die Heuchelei religiöser Sekten: „Wir haben fĂŒr jede Situation eine eigene Philosophie, eine fĂŒr Frieden, eine fĂŒr Krieg
 Wir beziehen keine konkrete Position. „

Seine ErklĂ€rung zur Anspielung auf Orwells 1984 bei „Cloak And Dagger“: „DerStaat erforscht jede intime Einzelheit ĂŒber dich, aber du erfĂ€hrst ĂŒberhaupt nichts ĂŒber die Dinge, die auf dich von oben einwirken.“

Angeblich kapieren schon seine jungen Fans solche Botschaften. Nik zeigt mir einen Brief von einer 11jĂ€hrigen, die den Text zu „I Won’t Let The Sun
“ aufgeregt kommentiert hat.

Die ersten Konzerte des aufgehenden Sterns Nik Kershaw im MĂ€rz in England sollen beeindruckend gewesen sein. Absolvierte er die ersten Gigs noch in Clubs bis zu 500 Leuten, so endete er letztlich im Londoner Hammersmith Odeon vor 3000 völlig ausgerasteten Fans. Die Manager hatten blitzschnell umgeplant, als sich herausstellte, daß in vielen StĂ€dten hunderte von Jugendlichen weinend den Heimweg antreten mußten, weil sie keine Karte mehr bekommen hatten.

Daß seine Deutschland-Tour am 19. Juni beginnen soll, steht schon fest, aber welche StĂ€dte, welche Hallen, das wird noch gecheckt, um finanziell das Optimale herauszuschlagen. Eine Ă€hnliche Hysterie wie zuletzt bei den anderen Shooting-Stars aus Großbritannien, Paul Young und Howard Jones, muß wohl einkalkuliert werden.

Niks erster Super-Gig (im quantitativen Sinn) lĂ€uft daran anschließend am 30. Juni im Wembley-Stadion. wo er als Vorprogramm von Elton John auftritt. FĂŒr den Juli haben die Manager versprochen, ihm etwas Zeit zum Schreiben zu geben, damit im August die zweite LP produziert werden kann. FĂŒr uns unverstĂ€ndlich, da hier sowohl Single als auch LP gerade erst richtig abgehen. In England dagegen ist schon alles durch.

Von den 40 Songs, die fĂŒr die erste Platte zur Auswahl vorlagen, wird der eine oder andere auf dem zweiten Album auftauchen. Wer komponiert auch schon zehn StĂŒcke in vier Wochen? Ob erneut Peter Collins produzieren wird, war noch nicht klar, da er zur Zeit mit Musical Youth im Studio steht.

HĂ€tte Shery, das MĂ€dchen, das Nik vor gut einem Jahr ehelichte, damals gewußt, daß sie ihren Liebsten wochenlang nicht sehen wĂŒrde, hĂ€tte sie es vermutlich doch bei der Freundschaft belassen. „Als die große Hektik losging“, sagt Nik, „waren wir beide total genervt. Wir mußten einfach vergessen, wie wir bisher gelebt haben. Simple Dinge wie Shopping oder zum Strand gehen und baden, sind unmöglich fĂŒr uns geworden. Überall werde ich erkannt und belagert. KĂŒrzlich wollte ich mir in einem kleinen Dorf ein Auto kaufen. Zwei Kids erkannten mich, doch ich dachte mir nichts weiter dabei. Einen Augenblick spĂ€ter standen – ungelogen -50 Kids vor dem Autohaus.“ Wouldn f It Be Good If We Could Wish OurselvesAway