Novizen aus der Provinz


Der gute Klang kommt längst nicht mehr nur aus den Kapitalen. Die Musik spielt auch abseits der Metropolen.

Ortstermin in Münster, der Studentenstadt zwischen Dortmund und Osnabrück. Der Städteführer listet zehn Kirchen, das Museum für Naturkunde mit den größten Ammoniten der Welt und einen Allwetterzoo mit überdachten Rundwegen auf. Angehende (Rock-) Musiker haben’s hier, wie anderswo auch, nicht eben leicht. Auf 280.000 Einwohner kommt genau ein von der Stadt unterstützter Übungsraum. Die Stadtväter können sich für verzerrte Stromgitarren und dröhnende Drums nur bedingt erwärmen. Trotzdem befindet sich mit H-BlockX eine Band aus Münster auf dem Weg nach oben – was für Sänger Henning Wehland nach wie vor einem mittleren Wunder gleichkommt: „Hier bei uns, in dieser konservativen Beamtenstadt, entwickelt sich nur sehr zäh so etwas wie eine Independent-Szene. Das macht die Sache für Bands wie uns nicht gerade einfach.“ Auch den meisten Münsteraner Studenten bescheinigt der 22jährige eine wenig aufgeschlossenes Verhältnis zu Klängen, die übliche Hörgewohnheiten sprengen. „Der Durchschnitts-Student kann mit aktueller Rockmusik herzlich wenig anfangen. Alles was nicht dem klassischen Blues-Schema entspricht, stößt hier weitgehend auf taube Ohren.“

Was Wunder also, daß die meisten Musiker, die in den Clubs und Kneipen rund um die Uni auftreten, jene Zeiten beschwören, in denen Claptons Soloalben noch als das Maß aller Dinge galten und Vedder, Cornell und Konsorten noch die Schulbank drückten. Nicht so H-BlockX. Das Quintett (Durchschnittsalter: 22 Jahre) orientiert sich ausschließlich an amerikanischen Crossover-Kapellen wie Rage Against The

Machine oder Faith No More. Denn Stephan Hinz, musikalischer Kopf des furiosen Fünfers aus der Provinz, hat ein Faible für beinharte Raps, zickige Bässe und vollfette Gitarren. „Der hat sich schon mit 14 kaum was anderes angehört als die Chili Peppers“, erinnert sich Henning Wehland nicht ganz unbeeindruckt. Ausgelöst wurden die ersten musikalischen Gehversuche der fünf Freunde durch einen einjährigen Aufenthalt von Wehland und seinem ebenfalls singenden Bandkollegen Dave Grave im Heimatland ihrer gemeinsamen Vorbilder. „Obwohl ich nur in einer vergleichsweise kleinen Stadt in der amerikanischen Provinz wohnte, bekam ich schnell mit, welche Klänge in den USA gerade angesagt waren – eben Sachen wie HipHop und der Crossover aus ganz verschiedenen Musikrichtungen“, weiß Wehland heute rückblickend zu berichten. Das Ohr am Puls der amerikanischen Szene, schrieben Henning und Dave noch in den USA die ersten Songtexte. „Uns war klar, daß wir nun endgültig unsere Musikrichtung gefunden hatten.“

Die Frage nach der Sprache, in der ihre Reime transportiert werden sollten, stellte sich nur am Rande. „Es ist absolut cool, wie die Fresh Familee oder auch die Fantastischen Vier mit der deutschen Sprache umgehen. Aber wir verbinden Rap mit einer bestimmten Kultur. Das gleiche gilt zum Beispiel für Operngesang. Der klingt auf Italienisch auch besser als in Deutsch.“ Den Bezug zu ihrer Heimat haben die beiden H-BlockX-Sänger dem amerikanischen Idiom zum Trotz allerdings nicht verloren. „Wir versuchen zwar die Reimtechnik von Leuten wie Boo-Yaa T.R.I.B.E, zu kopieren, aber mit Football-Jacken in der Gegend rumzulaufen und so zu tun, als würde man aus South Central L.A. kommen, wäre völliger Schwachsinn“, meint Henning Wehland, nebenher Student der Betriebswirtschaftslehre, mit nicht von der Hand zu weisender Logik: „Wir sind nun mal nicht im Ghetto aufgewachsen. “ Dennoch hat Amerika deutliche Spuren in den Köpfen der Musiker aus Münster hinterlassen. Dave Grave: „In den USA sind wir zum ersten Mal mit der härteren Gangart konfrontiert worden. Und zwar sowohl, was die Musik betrifft, als auch im ganz normalen, täglichen Leben. Das hat sich manches eingeprägt – Eindrücke, die wir auf unsere Art musikalisch verarbeiten.“

Und das mit Erfolg. So hätte die im Juli vergangenen Jahres veröffentlichte Single „Risin‘ High“ auch auf einem Album von Faith No More eine gute Figur abgegeben. Der erhoffte Karriereschub blieb trotzdem aus: „Zu einem Promo-Gig, für den sich sage und schreibe Vertreter von fünf Plattenfirmen angesagt hatten, kam von offizieller Seite letztlich nicht mal eine Putzfrau „, erinnert sich Wehland. Doch dann kam über Umwege der Kontakt zu Sing Sing Records, einem Ableger des Plattenmultis BMG, zustande. Die Dinge entwickelten sich, und schon im März dieses Jahres fanden sich die Youngster aus Münster im Studio wieder. Dort spielten sie in knapp zwei Monaten ihr Debütalbum „Time To Move“ ein. Eine Platte, auf der die H-BlockX mit erfrischendem Elan und überraschender Eigenständigkeit im Revier so namhafter Kollegen wie Living Colour und Rage Against The Machine wildern. Das Ergebnis ist ein hochprozentiger Soundcocktail, der an kühleren Tagen das Thermometer schlagartig in den Hitzebereich des Hochsommers treibt.