OMD


Eigentlich wollten Andy McCluskey und Paul Humphreys die neuen Kraftwerk sein. Stattdessen scheiterte die Gruppe aus Liverpool am ewigen Konflikt zwischen Kunst und Kommerz -und schielte neidisch auf das Geschäftsmodell Depeche Mode. Woran auch 40 Millionen verkaufter Alben nichts ändern konnten.

Zuerst die Gretchenfrage: Hat es so etwas wie eine Synthie-Pop-Szene je gegeben?

HUMPHREYS: Anfangs dachten wir, dass wir die einzige Band in Großbritannien sind, die sich mit Kraftwerk auskennt und ihre eigene elektronische Musik macht. Doch irgendwann stellten wir fest, dass es noch mehr gab: Human League oder Daniel Miller mit The Normal. Sie machten dasselbe wie wir – aber jeder für sich. Insofern war das keine Szene.

Wie steht ihr zum Begriff Synthie-Pop? Könnt ihr euch damit identifizieren?

HUMPHREYS: Er hat einen negativen Beigeschmack. Das Wort Pop unterstellt etwas Leichtes, Fluffiges ohne Tiefe. Und ich weiß noch, wie beleidigt wir waren, als Tony Wilson von Factory Records uns so bezeichnet hat.

War der Griff zu Synthesizer und selbst gebastelten Maschinen ein bewusstes Abgrenzen von konventionellen Instrumenten?

MCCLUSKEY: Es war eher eine finanzielle Notwendigkeit – weil wir uns keine Instrumente leisten konnten. Aber dann habe ich 1975 Kraftwerk auf der „Radioactivity“-Tour gesehen. Und das war, als ob man in die Zukunft geblickt hätte. Ich stellte mir dann die Frage: „Wäre es nicht toll, auch so Musik zu machen?“ Kraftwerk hatten keine teuren Gitarren und keine großen Moog-Synthesizer. Sie machten Musik mit Geigerzählern, Radiosequenzen und verrückten Geräuschen.

Was war das Ziel eurer Anfangstage?

HUMPHREYS: Wir dachten, elektronische Musik wäre die Zukunft. Die Stimmung in den Mittsiebzigern war: „Lasst uns den Rock’n’Roll töten! In Zukunft gibt es nur elektronische Musik.“ Das ist natürlich nicht passiert.

MCCLUSKEY: Rock ’n’Roll ist ein Biest mit zig Köpfen. Und egal, wie viele man ihm abschlägt – es wächst sofort einer nach. Ich meine: Wer hätte gedacht, dass die Zukunft nach Mumford & Sons klingen würde?(lacht)

Demnach ist die damalige Zukunft, sprich die aktuelle Gegenwart, nicht das, was ihr euch darunter vorgestellt habt?

HUMPHREYS: Wir dachten, dass wir 2013 in fliegenden Autos sitzen würden. Dass wir die Utopie leben.

MCCLUSKEY: Ich habe aber neulich gelesen, dass Männer heute lieber zu Internet-Pornos onanieren, statt Sex mit ihrem Partner zu haben. Einfach weil es schneller und nicht so stressig ist. Man kann pünktlich zur zweiten Halbzeit des Fußballspiels auf der Couch sitzen – was durchaus eine Verbesserung zu früher ist.

Und wie erklärt ihr euch die Popularität von elektronischer Musik in Deutschland – von der OMD bis heute profitieren?

MCCLUSKEY: Ich denke, es hängt damit zusammen, dass viele unserer Stücke keinen gesungenen Refrain haben, sondern einfach eine starke Synthie-Melodie. Insofern ist es egal, welche Sprache du sprichst: Jeder kann „da, da, da – da, da, da“ mitsingen. Man muss nicht textsicher sein. Es ist einfach eine Melodie.

Hättet ihr euch nicht zwischendurch getrennt, würden OMD heute auch in Stadien auftreten wie Depeche Mode?

MCCLUSKEY: Wir hätten bestimmt mehr erreichen können, wenn wir ein besseres Management gehabt hätten. Denn die Leute um Depeche Mode haben dafür gesorgt, dass sich Martin, Dave und Fletch ganz auf die Musik konzentrieren konnten. Und sie hatten das Glück, einen sehr guten Vertrag mit Mute zu haben. Sobald die Aufnahmekosten bezahlt waren, bekamen sie von jedem Album 50 Prozent der Einnahmen. Bei uns war es hingegen egal, wie viele Millionen wir umsetzten – die Band verdiente nur Peanuts.

Dabei seid ihr 1988 sogar mit Depeche Mode getourt. Ihr wart zum Beispiel ihr Support im Rose Bowl Stadion im kalifornischen Pasadena – beim größten Konzert, das je eine elektronische Band gespielt hat …

HUMPHREYS: Eine unglaubliche Erfahrung! Wir sind kurz vor Sonnenuntergang auf die Bühne, und da waren 90 000 Menschen. Es war ein ohrenbetäubender Krach – einfach unglaublich. Aber auch schlimm. Denn als ich hinter meinem Keyboard stand, leuchtete da eine Fehlermeldung. (lacht)

MCCLUSK E Y: Wir hatten schon angefangen, „Enola Gay“ zu spielen, und die Keyboards, die damals mit Disketten liefen, mussten neu gestartet werden. Also spielten wir eine grottenschlechte „Drum’n’Bass“-Version. Allerdings: Es gibt keinen Film und keine Aufnahme davon. Wenn du im Internet danach suchst, findest du nur Depeche Mode. Was die Frage aufwirft: „Ist das tatsächlich passiert?“ Es ist fast so, als wären wir nicht dort gewesen. Das ist der Unterschied zu Depeche Mode: Sie sind besser, was die Selbstvermarktung betrifft. (lacht)