Ostbahn Kurti
Wiener Schmäh: Wie aus dem Hirngespinst Kurt Ostbahn erst ein real existierender Rocker und dann eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens wurde.
Als 1984 im ‚Schutzhaus‘ im Wiener Stadtteiles Simmering eine unbekannte Rock’n’Roll-Kapelle ihren ersten Auftritt vor einigen paartanzenden Bürgern hatte, wußten nur zwei Leute genau, was es mit dieser ‚Chefpartie‘ und ihrem Sänger, einem wilden Hund namens Ostbahn Kurti, auf sich hatte. Der eine, Schriftsteller Günter Brödl, hatte die ironisch angelegte Figur des „ehrlichen Rockers“ Ostbahn Kurti schließlich eigenhändig erfunden; der andere, Willy Resitarits, bis dahin in der Polit-Sangeskommune ‚Die Schmetterlinge‘ aktiv, schlüpfte in die Rolle des mit beinahe übernatürlichem Schmäh gesegneten Rauhbeins von der Ostbahn. „Den Kurti gab es zunächst nur als literarische Figur. Irgendwann beschlossen wir dann, ihn persönlich in Erscheinung treten zu lassen“, erzählt Resitarits, um danach noch weiter auszuholen: „Günter Brödl ist das Alter ego von Kurt Ostbahn. Er schreibt alle Songtexte, und zusammen überlegen wir uns, wie’s dem Ostbahn so geht und was er als nächstes unternehmen wird.“ Über die Jahre gab man dem Rock’n’Roll-Rabauken eine eigene Biographie. Eine Lebensgeschichte, die beispielsweise davon berichtet, wie Ostbahn im Wiener Arbeiterviertel Favoriten in den seligen 6oem den Favoriten’n’Blues entdeckte, der dann von Musikern in aller Welt (natürlich in völlig falscher Schreibweise) als Rhythm’n’Blues übernommen wurde. Unzählige weitere socher „G’schichten“ wurden bei Ostbahns Auftritten vor einer ständig wachsenden Fangemeinde aus „Kurtologen“ und „Chefheads“ zum besten gegeben. Für Resitarits ist „der Ostbahn“ heute aber längst nicht mehr nur eine Rolle. Die Übergänge ins wirkliche Leben sind fließend geworden: „Am Anfang war’s so, daß der Ostbahn quasi die dunklen Seiten von mir und Brödl auslebte, die Sau rausließ. Eine pubertäre Geschichte, wie letztlich ja die ganze Rock’n’Roll-Angelegenheit. Das hat sich aber bald normalisiert. Heute spiele ich ihn nicht mehr, heute bin ich der Ostbahn.“ Unter Freunden, räumt Resitarits ein, sei er natürlich der Willy. „Aber je mehr ich mich der Öffentlichkeit nähere, um so mehr wird der Kurt daraus.“ Die ursprünglich fiktive Figur des Ostbahn Kurti genießt heute größere Glaubwürdigkeit als viele real existierende Personen des öffentlichen Lebens, weil er, so Resitarits, „sich nie was g’schissen hat, immer gesagt hat, was er denkt“. Eine Entwicklung, die Willy/Kurt spätestens zu schätzen weiß, seit er nicht mehr nur das Rock’n’RollTier gibt, sondern sich auch anderweitig engagiert, beispielsweise für die Belange von Minderheiten: „Wenn der Ostbahn so was macht, dann hören ihm auch Leute zu, die anderen schon längst nichts mehr abnehmen.“ Nach zehn Jahren Dauertour ist die Chefpartie heute „in Karenz“, die Musiker gehen eigenen Projekten nach. Allein Kurt Ostbahn ist Legende und Aktivposten zugleich: als Initiator eines Integrationshauses für Flüchtlinge, als Moderator der Radiosendung ‚Trost & Rat‘, als Musiker mit neuer Band und neuer Platte sowie erstmals auch als Hauptperson eines Kriminalromans von Günter Brödl. „In ‚Blutrausch‘ sind nur Mord und Totschlag dazugedichtet. Alles andere ist selbst erlebt“, versichert Kurt. Im bewährte Ostbahn-Verhältnis: Dichtung und Wahrheit, eins zu eins gemischt.