Palais Schaumburg


Die Band sitzt zwischen den Stühlen. Indem sie das „typisch Deutsche“ aus Sound und Stil zu verbannen suchen, kam für Schaumburg die symptomatische Krise. Von der „hip“-Liste gestrichen, sind sie zwar dabei, ein breiteres Publikum zu gewinnen. Aber das muß erst einmal verdaut werden… uropa ist Amerika, Asien ist Afrika – Amsterdam ist I Berlin. Der Spaziergang durch Amsterdam am Nachmittag vor dem Palais-Schaumburg-Konzert im „Flora“ führt mich wie durch ein Wunder an der Straßenschlacht zwischen Hausbesetzern und Polizei vorbei. Während abends dann die Hamburger in einem zur Groß-Disco umgestylten Kino den Holländern zeigen, wie sich Tanzmusik aus Deutschland auch anhören kann, fliegen Steine in die Fensterfronten der Banken. Palais Schaumburg ist die andere große Sache an diesem Abend. Ihre neue LP LUPA wird als frisch eingetroffen auf einer Schiefertafel vor einem kleinen Plattenladen angepriesen. Im Zeitschriftenladen nebenan ist Schaumburg als Titelbild der hollandischen Musikzeitschrift „Oor“ gegenwärtig, daneben Andy Wahrhol’s „Interview“ vom Oktober, wo Palais Schaumfoerg als bemerkenswerte deutsche Funk-Band empfohlen wird. Ein paar Schritte weiter verwechselt ein Hund die riesige Teppichrolle vor dem Dekorationsgeschäft mit einem Baum… Nach Mathilde Santing und einer kurzen Instruktion in Rap von Kurtis Blow und seinem Deejay Dave Lee Dee betreten Palais Schaumburg die Bühne als Stars aus dem Ausland. Die Distanz zu einem Musiker ist meistens respektvoller, wenn man ihn nicht jeden Abend in seiner Stammkneipe trifft. So geht von den Musikern hier am ersten Abend der Tour eine Menge Souveränität aus, die ihnen später, vor heimischem Publikum in Hamburg, dann doch zeitweise fehlte. Timo Blunck, exaltierter Springer am Baß, teilt seine Energie zwischen Basis-Funk und sportlichen Höchstleistungen. Walter Thielsch arbeitet sich in die Sänger-Rolle hinein und haucht mit linkischem Charme seine Ansagen ins Publikum. Ich werde den Verdacht nicht los, daß er dies zum Stilmittel kultivieren wird, zumal er sich auch hervorragend als Blickfang für alle Mädchen eignet. (Nicht nur für diejenigen, die inzwischen an eine eher existentialistische Ästhetik gewöhnt sind). Thomas Fehlmann repräsentiert auch auf der Bühne Ernsthaftigkeit als konzentrierter Tastenmann und Bläser. Ralf Hertwig am Schlagzeug ist unaufdringlich, für die Konzeption aber effektiv – und Stefan Bauer am Vibraphon ist ein wahrer Jongleur. Wenn die Band sich wie in Amsterdam am Riemen reißt, ist sie imstande, eine eigenwillige Melange aus Tanzmusik (Latino, Funk), Balladen und diversen Sperrigkeiten herzustellen. Sobald sich dieses komplizierte Gefüge jedoch etwas verschiebt, verfehlt es leicht sein Ziel. Wie schnell sogar eine Superprofi-Truppe wie Kid Creole & The Coconuts bei mangelndem Feedback plötzlich einsam wirkt, sah man in der Rocknacht, wo in diesem Fall leider wieder mal Perlen vor den Säuen landeten. Wie schnell eine Band demontiert werden kann, solange sie wie Palais Schaumburg – noch im Aufbau begriffen ist, zeigte sich in der Hamburger Markthalle. Obwohl ich mich mit dem zweiten Album LUPA nur schrittweise anfreunden konnte und auch live nun nicht gerade jeden einzelnen Song als Offenbarung betrachte, fehlt mir doch diese Freund-oder-Feind-Attitüde. Das Feedback signalisierte den Musikern, daß sie von der A;p-Liste gestrichen sind, aber dabei sind jede Menge neuer Gefolgsleute zu gewinnen. Außerdem turnten ständig irgendwelche Kameraleute um sie herum – eine Aufzeichnung dieses Auftritts zeigt das NDR-Fernsehen im Januar. Ich hatte durchaus den Eindruck, daß sie zwischendrin einmal ganz schön von der Rolle kamen, nämlich gerade in dem Moment, als die Balladen drankamen, „Europa ist Amerika“, „Rosen“ etc. Aber mit dem Eindruck vom Auftritt in Amsterdam im Hinterkopf, fiel es mir eigentlich schwer, mich dem Massen-Tribunal anzuschließen. Zumal es mir eine Menge Spaß machte, zu sehen, wie Kurtis Blow und Dave Ebei den Zugaben mitmischten. So anspruchslos kann man manchmal sein. Als ich mich mit Walter Thielsch wenig später zum Interview verabrede, frage ich vorsichtshalber, ob’s Palais Schaumburg eigentlich noch gibt. Jede Tournee zieht so ihre Gerüchte nach sich, erst recht, wenn man in gewissen Kreisen plötzlich zur „Ungruppe“ erklärt wird. Die Band sei total zerstritten, hieß es. “ Mein ungsverschiedenheiten kommen doch überall mal vor, oder?“, meint er. Davon, daß die Musiker angeblich nicht mehr in ein und demselben Hotel wohnen will er jedoch nichts wissen. „Ich habe übrigens mehr ‚Hiller‘-Chöre während der Tour erwartet. “ Walter scheint nicht so gestreßt zu sein wie seine Kollegen, die sich von der Incrowdabgesagt fühlen. ,M ein interview mit Tho-1 mas Fehlmann und Ralf I Hertwig drehte sich nämlich in erster Linie um dieses, wie sie es nannten „Fehlfarben-Syndrom“. Aber es ist das Problem vieler Bands, die sich stilistisch exponieren, um dann einen deutlichen Schwenk zu machen. Bei Schaumburg fühlt man sich im Moment wie zwischen zwei Stühlen. „Die Leute, die Schaumburg am Anfang gut fanden, die fühlen sich jetzt geprellt, und die anderen wissen noch nicht genau, wo sie uns einordnen sollen,“ erklärt Thomas. „Denn wir sind ja auch nicht ganz so platt wie Extrabreit. Das ist eine schwierige Situation. “ Und Ralf: „Mit der ersten Platte haben sich alle Kritiker unheimlich intensiv beschäftigt und sonstwas da herausanalysiert. Aber für das zweite Album nehmen sie sich nur noch halb so viel Zeit. Da kommt auch gleich wieder dieses Vorurteil: Schaumburg, neuer Sänger… und dann: Ah, aufgenommen in Zürich, abgemischt in New York, Luxusjungs!‘ – Ist doch völlig normal, daß Leute sich stylen, „regt er sich auf. „Bei Culture Club und ABC kräht kein Hahn danach, da findet es jeder toll.“ Palais Schaumburg wehren sich gegen das typisch Deutsche im Sound und im Aussehen, besitzen offenbar aber noch nicht die nötige Distanz, um ihren durchaus nicht unabsichtlich exklusiv gehaltenen Stil mit der nötigen Nonchalance durchzuziehen. So fassen sie die bloße Feststellung meistens schon als Angriff auf. Thomas: „Also die Leute formulieren das nicht besonders positiv. Ich habe das Gefühl, daß sie nicht wissen, ob sie jetzt schon reinhauen sollten oder lieber noch ein wenig damit warten. Das heißt aber nicht, daß wir nun meinen, einen Fehler gemacht zu haben.“ Übrigens sehen sie auch die Rolle ihres Produzenten Andy Hernandez überbewertet. Nach David Cunningham, der die erste LP produziert hatte, ein weiterer Traum-Producer. „Die allgemeine Tendenz geht doch dahin,“ schimpft Ralf, „Coati habe uns gerade nochmal rausgerissen. Die Songs standen aber alle vorher schon fest, er hat noch ein bißchen arrangiert. Außerdem hat er nur Vorschläge gemacht, er hat uns nicht besonders beeinflußt – höchstens bei ‚Papperrazzo‘.“ Thomas: “ Wirhaben eben aus bestimmten Gründen nicht Conny Plank produzieren lassen. Produzenten sind für einen bestimmten Sound gut. Deshalb haben wir uns für Andy Hernandez entschieden.“ Ich hatte jedenfalls die Vermutung, daß dieses Latino-Feeling vorher nicht übermäßig ausgeprägt war. Aber Ralf meint: „Es ist viel Zeit verstrichen zwischen den beiden LPs. Ich habe sowieso schon immer andere Musik gehört. Ich würde mir nie sowas wie unsere erste Platte anhören. Also die Umgebungprägt einen schon, und da ich unheimlich viel schwarze Musik höre, geht mein Feelingjetzt auch in diese Richtung, für mich ist es völlig normal, es mußte einfach dahingehen. “ „Daß wir nach New York zum Abmischen gingen, hat auch nichts damit zu tun, daß wir unbedingt New York auf dem Cover haben wollten. Andy hat lediglich sein Studio da, er kennt den Sound. Und für uns war es billiger, als ein Studio in England zu mieten“, schiebt Thomas später noch hinterher. Andy hatte ihnen als Mitinhaber freundlicherweise einen Sonderpreis gemacht. Walter Thielsch, der bei Palais Schaumburg zur Zeit derjenige ist, an dem sich die Geister scheiden, nimmt das vergleichsweise ruhig auf. „Ich muß meinen Weg gehen und es wird auch eine Weile dauern, bis man sich an mich gewöhnt hat. Ich werde mich in dieser Zeit auch verändern, weiß auch, worauf ich persönlich mehr wert legen würde. Allerdings bin ich nicht unbedingt der Meinung, daß der Saal kochen muß, um hinterher sagen zu können, das war ein gutes Konzert.“ Nachdem Vorgänger Holger Hiller für seine schrille Lyrik eine begeisterte Zuhörerschaft gefunden hatte, tut man sich mit Walters Texten allgemein schwer. Vielleicht weil sie nicht wie Avantgarde klingen, sondern wie literarische Stilübungen. „In der Popmusik herrschen andere Rezeptionsweisen als in der Literatur,“ erklärt er. „Das heißt, es werden andere Fragen gestellt. Man fragt, wenn jemand ein Gedicht geschrieben hat oder einen Prosa-Text, auch nicht sofort, was soll das?Man geht mit der Sprache anders um. Bei der Popmusik ist das zumindest in Deutschland anders. Von einem Maler erwartet man ja auch nicht unbedingt, daß er seine Bilder selbst interpretiert. Vielleicht kann man das so erklären: Meine Texte sind für mich so eine Art Sprachbilder, mit denen man entweder etwas anfangen kann oder nicht – genau, wie einem ein Bild, zu dem man eine Beziehung hat oder nicht.“ Als ich moniere, daß einige Gesangspassagen auf der LP im krassen Gegensatz zur eher perfekt produzierten Musik stehen, widersprach Thomas, daß Walter im Gegenteil Gesang wieder als Gesang begreife. Und Walter: „Die Sängerrolle ist für mich etwas Neues. Meine Stimme entwickelt sich und auch meine Vorstellung, wieich etwas zu singen habe. Damit muß auch die Musik verändert werden, denn zur Zeit sitzen die Gesangspassgen noch sehr eng aufeinander. Wenn wir die live manchmal schneller spielen, ist es oft schwer, den Text durchzubringen. “ Komisch, dabei schien mir die Stimme live schon weitaus besser integriert. „Ich will einerseits mehr singen, mich andererseits aber auch als wie auch immer verschrobene Sänger-Persönlichkeit in den Vordergrund bringen. Nicht um die anderen zu verdrängen, sondern um dem Gesamtbild etwas Gutes anzutun,“ erklärt Walter, ehe er noch ein kleines Geheimnis offenbart, das man inzwischen aber schon weitererzählen darf. Lupa, eine Volkssängerin aus der italienischen Schweiz, fühlt sich durch den Titelsong der Schaumburg-LP brüskiert. Speziell durch die grünen Vorhänge, die in dem Lied vorkommen, denn schließlich trage sie ja bekanntlich immer grüne Kleider… Das erinnert mich an einen Talkshow-Auftritt der Alt-Nachtigall Rosita Serrano („Roter Mohn“), die dem Münchenhagen noch ernsthaft erklärte, sie gehe nur mit Sonnenbrille aus, um ihr Inkognito zu wahren.