Passport – Entwicklungshilfe aus der dritten Welt
Es gibt Leute, die Deutschlands bekanntestem Jazzer Klaus Doldinger vorwerfen, er sei zu kommerziell, er besitze ein gespanntes Verhältnis zum Free Jazz, er betreibe innerhalb seiner Band Passport eine egoistische Repertoirepolitik, weil ausschließlich Doldinger-Kompositionen gespielt würden, und nicht zuletzt: er sei in letzter Zeit unorginell und schlaff geworden.
Den Allround-Musiker Doldinger indes ficht all das nicht an. Doldinger, „Ambassador“ (Plattentitel) des deutschen Jazz, hat im Laufe seiner phänomenalen Karriere zu viel erlebt, als daß er sich von den aufgeführten Vorwürfen noch treffen ließe. Schon 1952, als Elvis Presley anläßlich einer Geburtstagsplatte für seine Mutter erstmals im Studio sang, galt Doldinger als versierter Saxophonist, der seine Talente in eine Düsseldorfer Dixielandband namens The Feetwarmers einbrachte. Bereits 1955 erschien die erste LP der Fußwärmer.
Der vor vierzig Jahren in Berlin geborene Doldinger ging seitdem einen unbeirrten Weg, gründete mehrere Ableger der Feetwarmers, begann 1955 ein Studium der Musikwissenschaften in Köln und Düsseldorf, erhielt 1960 die Ehrenbürgerschaft der Jazzmetropole New Orleans, formierte im Jahr darauf das Klaus Doldinger Quartett und wirkte bis heute an über siebzig Alben maßgeblich mit. Allein die unterschiedlichen Künstler, mit denen er entweder als Saxophonist oder aber als Produzent und Förderer zusammenarbeitete, veranschaulichen Doldingers Vielseitigkeit: Namen wie Dieter Süverkrüp, Peter Trunk, Ingfried Hoffmann,Johnny Griffin,Albert Mangelsdorff, Brian Auger, Pete York, Buddy Guy und Alexis Korner, um nur eine geringe Anzahl zu nennen. Daneben produzierte und arrangierte der heute bei München wohnende Musiker Platten von Katja Ebstein, Hardy Hepp oder Marion Maerz („Er ist wieder da“) und schuf unter dem Pseudonym Paul Nero bemerkenswerte Party-Platten im Stil von James Last; jedoch mit erheblich mehr Tiefgang und Feuer.
Bossa Nova
Seit 1971 widmete sich Doldinger vornehmlich seiner Jazzrock-Band Passport, die sich nach mehrmaligem Personalwechsel – Udo Lindenberg, John Mealing, Olaf Kubier und Bryan Spring wirkten neben anderen ehedem mit – seit vier Jahren beständig hielt: Mit Kristian Schultze (keyb), Curti Cress (dr) und Wolfgang Schmid (bg). Inzwischen existieren von Passport acht Alben, zuzüglich zweier „Jubilee“-LPs, auf denen sich das Quartett mit internationalen Stars zu Jam-Sessions traf.
Wie sieht der Routinier Doldinger seine Karriere? Wie realisiert er neue Projekte? „In meiner Karriere gab’s zwei wesentliche Punkte der Entwicklung: Einmal die „Doldinger in Südamerika „-LP von 1965 beziehungsweise schon deren Vorgänger „Bossa Nova“ von ’62. Da befaßte ich mich eingehend mit südamerikanischer Musik. Und dann Passport. Die erste Passport-LP im Jahre ’71 würde ich als epochal bezeichnen. Solche Art von Musik war damals absolut neu, vor allem bei uns hier“. Weshalb die häufigen Personalwechsel der Anfangszeit, waren die Musiker wegen der Repertoirepolitik unzufrieden? „Nein, keineswegs. Udo Lindenberg hatte schon 1971 die Sache, die er heute bringt, im Sinn – also stieg er zwangsläufig aus. Die meisten anderen, John Mealing oder Bryan Spring etwa, waren sowieso von Haus aus keine Komponisten, sie verließen die Band aus musikalischen Gründen. Einige von ihnen dachten auch, sie könnten so eine Sache wie Passport allein, ohne Doldinger, veranstalten. Was daraus geworden ist, brauche ich nicht zu erklären.“
Zuwachs aus München
Die letzte Passport-LP „Infinity Machine“wirkte wenig originell, erfolgte deshalb die Hinzunahme des farbigen Gitamsten Roy Louis sowie dessen Bruder Eimer als Perkussionist? „Deshalb nicht. Die letzte LP sehe ich sowieso ganz anders, auch da waren Entwicklungen zu bemerken. Und von mir aus hätte ich schon viel früher mit einem festen Gitarristen gespielt, aber woher sollte ich den nehmen?Die gibt’s ja nicht einfach so an jeder Ecke, zumal dieser Musiker doch auch in die Band passen muß, stilistisch und vom Feeling her. Erst als ich die Louis-Brüder in München entdeckte, wußte ich sofort, die sind es! Genauso könnte ich mir eines Tages einen Sänger oder eine Sängerin bei Passport vorstellen“. Und wie sieht Doldinger seine Musik? „Es muß losgehen, wenn’s Spaß machen soll, das ist wichtig. Passport geht eben los, damit kann man auch Blues spielen, daß es richtig mitreißt. Vielleicht spielen wir heute abend als Zugabe einen Blues“.
Klaus Doldinger hielt Wort. Das Passport-Konzert in Köln, wo ich die Band im Verlauf ihrer jüngsten Tournee sah, geriet zu einem Powerplay zwischen Jazz und Rock, brachte Dynamik und Drive und spannte einen nahtlosen Bogen über das gesamte Repertoire seit 1971. Besonders die neuen, stark lateinamerikanisch beeinflußten Songs der kürzlich erschienenen LP „Iguacu“ sorgten für Spaß und Stimmung im Saal. Wie überhaupt „Iguacu“ wohl Passports drohende Erschlaffung weitgehend dementiert: Die Band wirkt frisch und energiegeladen, und Roy Louis zupft einfühlsame Soli.
Beim Konzert wartete Doldinger mit einer weiteren Überraschung auf. Gleichsam als Lehrling für die BRD-Tournee angeheuert, erspielte sich der erst zwanzigjährige Matthias Preißinger (keyb) die Gunst des Publikums durch sein beträchtliches Talent zu mitreißenden Klangkaskaden. Wenn Preißinger die richtigen Chancen geboten werden, wird man noch einiges von ihm hören. Vielleicht via Passport? „Mal sehen“, sagt Klaus Doldinger, „erst bleibt er mal für die Tournee. Was dann kommt, ist noch unbestimmt.“ Hoffen wir, daß Doldinger in diesem Fall mal wieder seinem guten Ruf als Talentförderer gerecht wird.