Pete Townshend: Krawall und Kultur


Im London der 60er schrieb er den Soundtrack einer ganzen Generation. Im London der 90er sprach ME/S-Redakteur Uwe Schleifenbaum mit Chefdenker Townshend über die Reunion der Who, Tommy, Trips und tote Rockstars.

Im Bootshaus des Eel Pie-Studios liegt ein penibel zerlegter Schiffsdiesel. „Made in Germany by Deutz“ erklärt Pete Townshend, „nahezu unzerstörbar.“ Die museumsreife Maschine will der Hausherr wieder zum Tuckern bringen – falls nicht gerade wichtigere Aktivitäten den Terminplan der 49jährigen Rocklegende bestimmen: „In den kommenden Monaten werde ich damit beschäftigt sein, den Back-Katalog der Who zu remastern, ‚Who’s Next?‘ wird den Anfang machen.“ Eine Best Of-Kollektion seiner Solo-Werke steht ebenfalls auf der Warteliste, doch auch damit scheint der offenherzige Gentleman noch lange nicht ausgelastet: „Zunächst werde ich in San Francisco an der Musik der bevorstehenden ,Tommy‘-Tour arbeiten, gleich danach geht’s weiter nach Toronto, wo ich ein Casting für die dortige Produktion abhalte. Ich beteilige mich zudem an der Aufführung von ,Iron Man‘ im Londoner Young Vic-Theater, ein Zeichentrickfilm ist ebenfalls in Planung. Darüberhinaus arbeite ich immer noch für den Verlag Faber & Faber, das letzte Buch, das über meinen Schreibtisch ging, war Johnny Rottens Autobiographie. Es gibt viel zu tun, der Markt für audiovisuelle Unterhaltung wächst unaufhaltsam.“

Organisieren, beraten und lektorieren ist gut für’s Geschäft, doch die sensible Künstlerseele dürstet nach Kreativität:

„Schreiben ist meine eigentliche Profession, der ich momentan in Form eines Theaterstückes nachkomme.“ Pete Townshend, der Workaholic? „Nein“, wiegelt er lakonisch ab, „eher ein Alcoholic.“

ME/Sounds: Der Halbsatz „taub wie Townshend“ hat beste Chancen, in das Phrasenbuch der Rockmusik einzugehen. Ohne darüber Witze reißen zu wollen: wie geht’s deinen Ohren?

Pete Townshend: Journalisten werden doch dafür bezahlt, über so etwas Witze zu reißen. Im Ernst: Nicht die Lautstärke auf der Bühne, sondern meine Vorliebe für Kopfhörer hat meinem Gehör geschadet. Das ewige Klingeln in meinen Ohren hat zwar Gott sei Dank nachgelassen, doch im täglichen Leben gibt’s immer noch Probleme – bei Gesprächen verstehe ich manchmal nur die Hälfte. Aber was soll’s: Ich war immer bereit, für das, an was ich glaube, auch zu sterben, wobei ich mit dem teilweisen Verlust meiner Hörfähigkeit doch ziemlich glimpflich davongekommen bin. Immerhin bin ich noch am Leben und kann auch weiterhin als Musiker arbeiten …..

ME/S: ….was zwischenzeitlich auf Messers Schneide stand. Du sagtest einmal, die Who schlafwandelten stets an der Kante einer Klippe. Was bewahrte dich davor zu fallen?

P.T.: Keine Ahnung. Das einzige was mir dazu einfällt ist „wenn du dran bist, bist du dran“. Im übrigen bin ich ärgerlich darüber, daß mit toten Rock’n’Rollern im nachhinein umgegangen wird, als seien sie Produkte aus dem Supermarkt. Als Jimi Hendrix, Brian Jones und Keith Moon starben, verlor ich sehr gute Freunde. Doch ich weigerte mich, ihren Tod als Konsequenz des Musikbusiness zu betrachten. Es ist doch absurd und zynisch, Jimi Hendrix auf ein Rock’n’Roll-Phänomen zu reduzieren, für das es keine Alternative zum frühen Tod gab…

ME/S:…. was augenblicklich seine Entsprechung im Umgang mit Kurt Cobains Ableben findet.

P.T.: Mir wird schlecht, wenn irgendwelche Leute behaupten, der Tod von Cobain habe sie schrecklich mitgenommen. Fuck you! Wer ist denn wirklich davon betroffen? Seine Familie und die Jungs von Nirvana. Dieses ganze beschissene Gerede vom „Opfer auf dem Scheiterhaufen des Rock’n’Roll“ reißt bei mir alte Wunden auf.

ME/S: Macht es dir denn überhaupt noch Spaß, über deine Jahre mit den Who zu reden? In den Liner Notes zur aktuellen CD-Box stellst du dir selbst die rhetorische Frage: „Ist er nicht zu alt, um noch immerzu masturbieren?“

P.T.: Ich rede einfach gerne. Aber sei doch mal ehrlich: Natürlich ist es Masturbation, ständig über sich selbst zu parlieren. Früher nutzte ich Interviews zur Selbstanalyse, heutzutage macht mich nervös, daß ein Gespräch über die Who möglicherweise in ein allzu analytisches Terrain abgleitet – eine sogenannte Katharsis, die als große Abrechnung mit der Vergangenheit endet.

ME/S: Wirst du der Who-Box im heimischen Wohnzimmer lauschen?

P.T.: Ich mußte mir die Aufnahmen anhören, um die Liner Notes zu verfassen das sollte genügen. Ich mag die Who nicht besonders, diese ganzen alten Aufnahmen sind einfach schlecht produziert. Am besten fand ich immer ´Live At Leeds´, das ich, wohlgemerkt, 1970 im Alleingang fertiggestellt habe.

ME/S: Eine Zweitauflage von Woodstock ging kürzlich über die Bühne. Wie hast du das damalige Festival erlebt?

P.T.: Es war der reine Streß, denn ich machte den Fehler und nahm meine Frau und unsere sechs Monate alte Tochter Emma mit – wir dachten, es könnte ein hübsches Picknick werden. In Woodstock herrschte das Chaos, ich stand da und dachte mir: „Fuckin‘ hell, hier ist wohl jeder auf Acid – völlig durchgeknallt.“ Obwohl wir eine brauchbare Show hinlegten, konnte ich dem Festival damals wenig abgewinnen. Im nachhinein muß ich allerdings dankbar sein, dort gespielt zu haben, denn dank Woodstock verkaufte sich „Tommy“ wie warme Semmeln. Der Film trug darüberhinaus dazu bei, Roger als optisch mitreißenden Frontmann zu etablieren. Wir brauchten dringend diesen glamourösen Aspekt, um an weibliche Fans zu kommen. Ich besuchte damals ein Konzert von Led Zeppelin und war total erstaunt, daß die Hälfte des Publikums aus Frauen bestand was ja wohl bestimmt nicht allein an der Größe von Robert Plants Schwanz liegen konnte. The Who haben Led Zeppelin in dieser Hinsicht immer beneidet.

ME/S: Rogers Look einer Hippie-Inkarnation hatte doch mit dem Image der Who relativ wenig zu tun…

P.T.: …das ist richtig, obwohl uns die Hippiebewegung natürlich stark beeinflußt hat. Als das LSD Anfang 1967 nach London kam, war ich verrückt nach schicken Klamotten und neuen Trends.

Ich liebte Pink Floyd, Syd Barrett war ein Alchemist, der mit seinen Echogeräten und Phasern nie gehörte Klänge hervorzauberte (imitiert den Sound übersteuerter Floyd-Elektronik). Ich hingegen war ein Handwerker, der Songs komponierte, Texte schrieb und sich mit zwei Tonbandgeräten abmühte. Ich hatte Angst, die psychedelische Welle würde uns einfach überrollen – plötzlich mußte man seinen Look ändern und Acid einwerfen, um weiterhin als cool zu gelten. Gerade letzteres war einfach nicht mein Ding, ich war zu unsicher, um mit der Droge LSD wirklich umgehen zu können….

ME/S: …also eher eine der dunkleren Phasen im Leben der Who?

P.T.: Absolut. Wir konnten keine Single-Hits mehr verbuchen. Zuerst floppte „I Can See For Miles“, danach kamen wir mit „Dogs“ dann völlig von der Straße ab. Mit „Tommy“ fanden wir glücklicherweise erneut Anschluß an das Geschehen. Ich sympathisierte mit der Hippie-Philosophie, die sich an humanistischen Werten wie Frieden und Liebe zu orientieren schien und die Möglichkeit in sich barg, das spirituelle Potential des menschlichen Geistes neu zu definieren:

die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus, dem indischen Mystizismus oder dem Urchristentum. Unter spirituellen Vorzeichen konnte ich mich sogar mit Drogenexperimenten anfreunden…

ME/S: …und nebenbei geriet die kommerzielle Verzweiflungstat „Tommy“ zur wertmäßigen Quintessenz der Hippie-Ära.

P.T.: Die Angst vor dem Untergang der Who war in der Tat gravierend, doch ich schrieb „Tommy“ auch, um den damals längst überfälligen Veränderungen in der Gesellschaft gerecht zu werden. So wollte ich beispielsweise die Verlorenheit des Individuums im Kapitalismus thematisieren und Dinge ansprechen, die während der ersten Rock’n’Roll-Jahre einfach unter den Tisch gefallen waren. Rock’n’Roll in seiner ursprünglichen Form war ein Nachkriegsphänomen, geprägt von Leuten, die immer noch einem traditionell militaristischen Konservativismus nachhingen. Ich wuchs in dieser Atmosphäre auf, mein Vater hatte in der Armee gedient, mein Groß- und Urgroßvater enfalls – ich schätze in Deutschland herrschten ähnliche Verhältnisse. Damals fiel mir auf, daß auch The Who im Grunde eine echte Macho-Band war, die ihre „feminine“ Seite zwanghaft unterdrückte. Dabei hatte sogar Roger, ebenso wie Keith, John und ich, sehr weiche und feminine Züge – obwohl Roger sich den Ausdruck „feminin“ mit Sicherheit verbittet.

ME/S: The Who entdeckten also den weichen Kern im harten Rocker…..

P.T.: …was absolut notwendig war, wenn wir künstlerisch wie menschlich überleben wollten. Anfangs mißbrauchte ich meine Gitarre als Maschinengewehr und blies das Publikum mit gnadenloser Lautstärke um. Ich konsultierte Verstärkerhersteller Jim Marshall und sagte ihm:

„Ich will diesen Fender-Sound, aber ich will ihn 15mal lauter.“ Er fragte mich, wozu das gut sein solle, und ich antwortete ihm, daß ich den Protest des Publikums nicht hören wolle, wenn ich es erschieße. Marshall versorgte mich mit den Waffen, und ich brachte das Publikum um. So hätte es doch niemals weitergehen können.

ME/S: War dir die kalkulierte Zerstörungswut der Who niemals peinlich?

P.T.: In gewisser Weise war und ist mir alles peinlich – vor allem die Tatsache, daß ich überhaupt im Show-Business meine Brötchen verdiene. Ich hatte niemals Angst, eine Bühne zu betreten, aber das Prinzip des Entertainment an sich ist mir suspekt. Ein Publikum zu unterhalten setzt Kommunikation mit der sogenannten breiten Masse voraus, du mußt einen Instinkt für die Belange des Publikums haben, sich ihm annähern. Komischerweise legt die breite Masse aber gar keinen Wert darauf, daß du einer der Ihren bist, genau das Gegenteil ist der Fall. Ich dachte mir immer „fuck, da muß doch irgendetwas faul sein“. In den Anfangstagen der Who schrieb ich Songs für fünf oder sechs Leute, mit denen ich aufgewachsen war und mich ständig austauschte – ein Mikrokosmos, der mir repräsentativ erschien. Doch später stand ich häufig auf der Bühne und fragte mich ernsthaft, was ich denn hier überhaupt zu suchen habe.

ME/S: Zum Songwriting: Keith Richards behauptete einmal, er verfüge über eine Antenne, mit der er Songs ein fangen kann. Gehst du ähnlich intuitiv zu Werke?

P.T.: Empfangsbereit nach einer Flasche Wodka zum Frühstück…ich glaube fast jeder Songwriter hat diese Antenne. Keith, der mein absoluter Favorit ist, natürlich ganz besonders. Er komponiert allerdings auch Riffs und keine kompletten Songs, von mir wurde jedoch immer erwartet, daß ich mit einem Tonband ins Studio komme und dem Rest der Gang eine Ladung kompletter Songs präsentiere. Daher mußte ich gut organisiert zur Tat schreiten, ein Ziel vor Augen haben und den Weg dorthin ebnen. Was mich natürlich nicht davor bewahrte, hin und wieder zu stolpern.

ME/S: Hat dir die extensive Studioarbeit wenigstens Spaß gemacht?

P.T.: Im Prinzip ja. Die Aufnahmen zu „Quadrophenia“ haben mir sogar sehr viel Freude bereitet, die Arbeit an „Who Are You?“ hingegen war schlichtweg schmerzhaft und grausam.

ME/S: Inwiefern?

P.T.: Moonie war bereits am Sterben.

ME/S: Als John Bonham den Weg alles Irdischen ging, war das Ende Led Zeppelin. Warum haben sich die Who nach Keiths Tod nicht aufgelöst?

P.T.: Led Zeppelin haben das einzig richtige getan. Es war vor allem meine Schuld, daß die Who weiterarbeiteten, obwohl die Band längst am Ende war. Als wir „Who Are You“ einspielten, war Keith physisch kaum noch in der Lage, Schlagzeug zu spielen. Kurz darauf starb er, und ich wußte einfach nicht mehr weiter. Ohne Kenny Jones gegenüber respektlos zu sein – es war einfach nicht mehr die gleiche Band. Roger und ich versuchten, die Kontrolle zu behalten, und taten uns schwer mit dem Gedanken, daß die Who Geschichte seien. Roger kann diese Tatsache noch heute nicht akzeptieren…

ME/S: …weshalb er mit „Daltrey Sings Townshend“ auf Tour geht….

P.T.: …was mich einerseits ehrt. Andererseits würde ich mir wünschen, daß Roger das Ende dieser Ära endlich akzeptiert. Ich hätte überhaupt nichts gegen einen gemeinsamen Neuanfang, weshalb ich auch dauernd versuche, John und Roger für neue Projekte im Namen der Who zu begeistern – obwohl ich auf Tourneen wenig Appetit verspüre. Was „Daltrey Sings Townshend“ angeht, bin ich in einer zwiespältigen Situation…mein Bruder Simon ist einer der Musiker, und er braucht dringend Geld.

ME/S: Apropos Geld: Während sich reiche Rocker mit Vorliebe ins südfranzösische Steuerexil abseilen, hältst du England die Treue…

P.T.: Meine Kinder, meine Familie und meine Freunde leben alle in England. 200 Meter von hier steht mein Geburtshaus….ich bin also in 49 Jahren nicht sehr weit gekommen. Im Ernst: Ich überlege mir gerade, ob ich mir ein Loft in New York zulege, ich bin ziemlich oft drüben, und meine Hotelrechnungen wachsen langsam ins Astronomische. Aber mein Hauptwohnsitz bleibt selbstverständlich England.

ME/S: Aktuelle britische Bands wie Blur oder Suede hinterlassen außerhalb Englands kaum noch bleibende Eindrücke. Haben Grunge, Rap und Euro-Techno der britischen Szene das Lichtlein ausgeblasen?

P.T.: Blur und Suede sind im Grunde nichts weiter als Sixties-Bands mit starken David Bowie-Einflüssen, deren androgyne Ausstrahlung Kontinentaleuropäer und Amerikaner womöglich irritiert. Die britische Pop-Szene ist voll von Kunstschul-Absolventen, die mit den gängigen Stereotypen wenig am Hut haben. Doch wer in den Staaten momentan als Rockmusiker erfolgreich sein will, muß eine eindeutige sexuelle Präferenz verkörpern – etwa wie Eddie Vedder, der ein absoluter Frauentyp ist. Ich lernte ihn in San Francisco kennen und war von seinen Selbstzweifeln überrascht.

Er sagte mir, daß er nicht wisse, ob er überhaupt ein Star sein will. Genau diese Art von Unsicherheit und Unzufriedenheit trifft den Nerv der Zeit: keine generelle Ablehnung der bestehenden Verhältnisse, eher ein kritisches Infragestellen, das im Extremfall in rebellische Apathie ausartet – man denke an Nirvana. Musiker, die sich in chaotischen Zeiten wie diesen vornehmlich damit beschäftigen, ob ihr Jackett auch richtig sitzt und sich die Frisur in ordnungsgemäßem Zustand befindet, wirken zwangsläufig ziemlich lächerlich.

ME/S: Mit banaler Pop-Unterhaltung hast du also wenig im Sinn….

P.T.: Ich liebe simple Pop-Songs und könnte mich in der richtigen Stimmung sogar mit Techno anfreunden. Ergiebiger finde ich allerdings die Spin Doctors -tolle Gitarrenarbeit.