„Phantastische Tierwesen“ ist eine rebellische Liebeserklärung an die Außenseiter dieser Welt
2011 lief der letzte Harry-Potter-Film in den Kinos. Mit „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ kehrt Joanne K. Rowling als Drehbuchautorin zurück zu ihrer magischen Welt. Das Setting: New York im Jahr 1926, die Vorlage: ein fiktives Sachbuch aus Harrys Schule.
Der sperrige Titel des Films fliegt vorbei, Zeitungen berichten von übernatürlichem Terror in Europa und von Magiern, die in den USA gezwungen sind, sich vor den Menschen zu verstecken. Dann kommt Newt Scamander 1926 mit einem magischen Koffer voller Kreaturen in New York an und stolpert exakt zwei Szenen später mitten auf der Straße in fast alle Figuren, die für „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ relevant sind.
Einfach so, vor einer Bank halten sich eine beruflich gescheiterte Hexe, die Mitglieder eines Sekten-Kults, die größte Bedrohung für New York sowie ein treudoofer und für die Handlung sehr wichtiger Muggel auf. Nicht durch Schicksal oder eine clever gedrehte Szene trifft Newt alle diese Figuren auf einem Fleck. Sondern durch Drehbuchhexerei, die dem Zuschauer klarmacht, dass es bestimmt nicht Logik ist, auf der die kommenden zwei Stunden fußen werden. Und genau das macht den Film teilweise großartig.
Joanne K. Rowling ist Drehbuchneuling, hat aber viele ihrer Harry-Potter-Angewohnheiten in den Auftakt des „Tierwesen“-Franchises übernommen. Nicht jeder Handlungsstrang, nicht jede Begegnung muss nachvollziehbar sein. Nicht einmal das Verhalten von Figuren – solange sie denn liebenswert sind. Dieses Credo hat in den sieben Potter-Büchern und den acht dazugehörigen Filmen hervorragend funktioniert, als Beweis hat Rowling ein globales Phänomen vorzuweisen. Als Teil des Potter-Hypes erschien 2001 das fiktive Sachbuch „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“, eine Nerd-Bibel für Fans, die alles über die magischen Wesen in Harry Potter erfahren wollten.
Prügelstrafe und putzige Tiere
Die Freiheiten, die Rowlings Verweigerung von einheitlichem Ton und Tempo zulassen, nutzt David Yates, ebenfalls Regisseur der letzten vier Potter-Blockbuster, um nun genau genommen zwei Filme in einem inszenieren zu können: Einen düsteren, in dem der arrogante Magier Graves (Colin Farrell) einem verstörten und misshandelten Jungen (Ezra Miller, dessen Mimik beeindruckender ist als jeder Special Effekt) in eine Katastrophe reinredet. Und dann eben den Hauptfilm, in dem Eddie Redmayne als Scamander gemeinsam mit dem treudoofen Muggel einige Tierwesen einfangen muss, die aus seinem Koffer entwischt sind. Während Ezra Miller mit einem Gürtel ausgepeitscht wird, jagt Redmayne wenige Minuten später ein Maulwurfsding, das es auf Juwelen und Münzen abgesehen hat.
Kindliches Staunen über putzig in den Alltag eingebundene Magie und eine düstere Zauberwelt-Metapher für Rassismus, Terror und Propaganda laufen lange Zeit nebenher. Mal berühren sich die zwei Geschichten, am Ende kumulieren sie sogar mehr oder weniger schlüssig in einem Finale, dessen Zerstörungswut und Bedrohlichkeit wohl aktuellen Blockbuster-Sehgewohnheiten geschuldet ist. Zuvor legt der Film allerdings ein für das Kinojahr 2016 fast schon rebellisch gemütliches Tempo an den Tag. Hier steht nicht ab wenigen Minuten das Schicksal der Menschheit auf dem Spiel, die Zuschauer sollen erst einmal ausgiebig Zeit mit den Neulingen verbringen. Beim Essen, beim Flirten, bei der täglichen Arbeit in Scamanders Koffer.Rowling hat einen herrlich unaufgeregten Film geschrieben, teilweise nur eine Ansammlung von kuriosen Szenen, die ohne weiteres gestrichen werden oder als perfektes Häppchen-Entertainment auf YouTube landen könnten, was sie natürlich auch irgendwann werden. Wenn Redmayne und sein Muggel-Gehilfe im Central Park eine riesige Kreatur einfangen, dann dient die Sequenz schlichtweg unschuldigem Amüsement und keiner übergeordneten Handlung.
Verneigung vor den eigenen Figuren
Die kommt erst später, in den vier Fortsetzungen, die im Takt von jeweils zwei Jahren in die Kinos kommen werden. In denen dann Johnny Depp als Grindelwald gegen einen jungen Dumbledore kämpfen wird und die Brücke zu Harry Potter und Voldemort geschlagen werden soll. Die Grundsteine für die Fortsetzungen werden in „Phantastische Tierwesen“ bereits gelegt, allerdings nicht mit dem Bierernst, mit dem gerade Superhelden-Universen oder die Star-Wars-Reihe verzahnt wird. Reihen, in denen jeder Nebencharakter von Fans schon vor dem Kinostart seziert wird, weil er ja vielleicht einen Hinweis auf die Handlung verraten könnte.
Auf solche Schnitzeljagden hat Rowling offenbar wenig Lust. Sie liebt ihre Welt – und weiß ganz genau, dass es ihre Fans es auch immer noch tun und bereits sind für Experimente. Sie wirft ihre Figuren, die jetzt allesamt von erwachsenen und besseren Darstellern verkörpert werden, mit einer Leichtigkeit in ein völlig neues Setting – Hogwarts bleibt nur eine Randnotiz. Und lässt die Magie nur halbherzig die politischen und gesellschaftlichen Subtexte verbergen, die zum Start der neuen Filmreihe wichtiger sind als zum Kinostart des ersten Potter-Films 2001.In dem Mix aus Moral, Comedy und Action schläft „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ zwar manchmal ein und lässt einige Figuren in Plot-Sackgassen stehen. Aber ohne diese Mängel wäre es eben auch kein Film aus dem Potter-Universum. Und auch nicht ohne den herrlichen Kitsch, mit dem Rowling sich ganz am Schluss noch einmal vor ihren neuen Figuren verneigt. Diese Liebe zu den Verschrobenen und den Nerds hat man in der Größenordnung lange nicht mehr sehen dürfen. Am Ende ist es hier schließlich ein pummeliger Bäcker, der die Zuschauer zu Tränen rühren darf.
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