Pogo in der Pampa: Die Toten Hosen unterm Äquator


SÜDAMERIKA. Eigentlich konnten wir es selbst kaum glauben: Da fragte Anfang dieses Jahres tatsächlich jemand an, ob wir nicht Lust hätten, eine zweiwöchige Tour nach Südamerika zu unternehmen. Die große Mark sei zwar nicht gerade zu machen, aber Granatenstimmung und garantiert unvergeßliche Erlebnisse seien kein Problem. Und so saßen wir Ende September, unsere Kreuzund Stimmbänder von der „Menschen, Tiere. Sensationen“-Tour noch reichlich strapaziert, bereits wieder im Flieger Richtung Buenos Aires. Obwohl die Vorfreude natürlich riesig war, hatte jeder von uns ein flaues Gefühl im Magen: Wer zum Teufel braucht auf der anderen Seite der Erde eine Punkband aus Düsseldorf? Dieser Gedanke beschäftigt mich zwar auch hierzulande, aber ich habe mich daran gewöhnt, daß uns offensichtlich doch ein paar Leute ertragen können.

Um so angenehmer die Überraschung, als wir nach lSstündigem Flug angeschickert landeten, und gleich der erste Zöllner statt einer Gepäckskontrolle nur auf Fotos mit unseren Unterschriften bestand. Der Mann bekam seine Autogramme, wünschte uns noch einen schönen Aufenthalt und ließ uns gutgelaunt passieren.

Doch war dieses Erlebnis nur ein kleiner Vorgeschmack. Teilweise kam es mir so vor. als ob sich das ganze Land besonders angestrengt hatte, um uns aus dem Staunen nicht mehr herauskommen zu lassen. Zu einer Pressekonferenz erschien eine halbe Hundertschaft Journalisten bis hin zur größten Boulevard-Zeitung des Landes. Der Wahnsinn steigerte sich, je näher die Konzert-Termine rückten. Passanten sprachen uns auf offener Straße an: Wir seien doch die Band aus Deutschland, die jetzt dauernd im Radio zu hören sei? Hört sich alles völlig bescheuert an, ich weiß. Gottseidank hatten wir eine Videokamera dabei. Wir können alles beweisen.

Dazu muß man natürlich sagen, daß Argentinien ein Land so recht nach unserem Musikgeschmack ist: Aus jeder Kneipe dröhnen dir die Ramones entgegen. Netterweise hatte Joey Ramone bei diversen Interviews auf diese abgedrehte Band aus Germany verwiesen, was uns einen gewissen Startvorteil bescherte. Um so erößer war unsere Enttäuschung, daß am Abend unseres Konzerts gegen ein Uhr nachts gerade mal eine Handvoll Fans da war. Kein Problem, wurde uns versichert. Als wir gegen vier (!) Uhr auf die Bühne gingen, waren jedenfalls 3000 Leute in der Halle am durchdrehen. Könnt Ihr euch vorstellen, was es für ein Gefühl ist, in A rgentinien „Hier kommt Alex“ zu singen und der ganze Saal grölt mit?

Wir schienen unsere Sache ganz ordentlich zu machen, jedenfalls stand das Publikum Kopf und pogte auch in den nächsten Tagen eisern bis Konzertende durch. Nach den Gigs dann wieder der Rockstar-Film. Der Taxifahrer, der uns ins Hotel zurückbrachte, wollte kein Geld: „Ihr seid doch gerade im Radio gewesen ?Nein, dann brauch: ihr nicht zu bezahlen“. Tolle Leute, tolles Land. Wir kommen wieder!

Kann man sich im inzwischen relativ wohlhabenden Argentinien mit einiger Fantasie fast wie in Europa fühlen, springt einem in Brasilien die ganze Tragödie dieses Kontinents ins Gesicht. Zwei Drittel Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, dritte Weit pur und darum ein sehr zwiespältiges Vergnügen. Rock V Roll ist hier mehr eine musikalische Randerscheinung.

Es war uns natürlich klar, daß in einem Land mit solchen Gegensätzen die Probleme nicht am Eingang zum Konzert halt machen würden. Speziell in Rio ist die Gewalt latent spürbar. Wirklich jeder hat eine Knarre, auf unseren Gigs tauchten Skinheads auf, die während einer Auseinandersetzung von ihren Schießeisen Gebrauch machten. Die Security vor der Bühne besteht zum großen Teil aus Polizisten, die sich hier noch ein paar Mark dazuverdienen, selbstverständlich auch sie bewaffnet bis an die Zähne.

Unser Freund Ronnie Biggs war selbstverständlich mit von der Partie. Ausgerüstet mit „Most Wanted“-Käppi und Spazierstock tobte der 63jährige in Rio residierende Gentleman-Gangster über die Bühne. Daß er den von ihm selbst geschriebenen Text unseres ,.Punk Was“-Songs vergaß — Who gives a fuck? Die anschließende Party bei dem King of Punk zu Hause (insgesamt waren locker 8000 Jahre Zuchthaus versammelt) wäre alleine schon die Reise wert gewesen. Hätten wir mit Breiti nicht einen Mann dabeigehabt, der der Landessprache mächtig war, hätte einiges ziemlich ins Auge gehen können. Aber sterben kann man auch an Langeweile zu Hause, und ich persönlich ziehe es vor, von einem brasilianischen Bettler beraubt zu werden als mir das Geheule wohlstandsverwahrloster Deppen anzuhören, die die Asylbewerber dafür verantwortlich machen, daß ihnen die Frau weggelaufen ist.