Prinz Pi, Keanu Reeves, Shakira, Mauerfall: Die Popwoche im Überblick
In unserer Popkolumne kommentiert unsere Autorin Julia Lorenz im Wechselspiel mit Linus Volkmann, was in der jeweils laufenden Popwoche so passiert ist. Heute wundert sie sich NICHT darüber, dass Prinz Pi keinen Rassismus kennt, fordert die Fortsetzung der „Keanu Reeves ist Jesus”-Show und erkennt in Shakiras „Whenever, Wherever“ die perfekte und nahezu geniale Visualisierung der seltsamen Zeit um die Jahrtausendwende herum.
Na, seid Ihr auch schon aufgeregt? Am Wochenende jährt sich zum 30. Mal das mythische Ereignis, dass David Hasselhoff auf einem Motorrad durch die kalte Novembernacht düste, geradewegs durch die Berliner Mauer knatterte und das „Ende der Geschichte” einläutete. Patti Smith, die West-„Punk“-Band Fehlfarben ihre Ost-Kollegen Zerfall haben diese Woche schon ihre Hohelieder auf den Mauerfall gesungen. Bis am Samstag Einigkeit und Recht und Freiheit ist, wird hier aber, wie eigentlich immer an dieser Stelle, noch ein bisschen über die Popwoche genölt und gejubelt.
No-Brainer der Woche: Prinz Pi
Oops, he did it again: Prinz Pi, der Reimebub aus Zehlendorf, hat sich mal wieder als Mitte-Extremist geoutet. In einem Gespräch mit Manuellsen und anderen verstieg sich der ehemalige Prinz Porno, der mittlerweile sogar mit Formatradio-Bärchen Mark Forster gemeinsame Sache macht, zu einer gefährlich blöden Aussage: „Ich hab das nie erlebt, dass in dieser HipHop-Szene jemand diskriminiert wurde, wegen seinem [sic!] Geschlecht oder wegen seiner Herkunft oder sowas.“
No shit, Sherlock – immerhin ist Prinz Pi ja auch weiß, aufgewachsen in einem bürgerlichen Berliner Stadtteil und zur Schule gegangen auf einem Elitegymnasium. Dass er also selbst also keinen Rassismus kennt: logisch. Wie er allerdings den Stunt hinbekommt, angeblich nicht gemerkt zu haben, wie weiß HipHop in den 90er-Jahren war, von welchen Anfeindungen Rapperinnen wie Lady Bitch Ray seit Jahren berichten und wie ressentimentgeladen viele Lyrics sind: Alle Achtung! Und all das, nachdem in der jüngsten Zeit ausgiebig und breitenwirksam über Antisemitismus im Rap (Hallo, Kollegah!) und Sexismus (Grüß dich, Gzuz!) diskutiert wurde.
Schon vor zwei Jahren hat sich Prinz Pi mit der leutselig-verkürzten Aussage „Ganz rechts und ganz links – da sind die Fäuste. Das Gehirn ist in der Mitte, ebenso wie das Herz” auf extremismustheoretischer Linie mit der CDU präsentiert. Kann man ja machen, Frei.Wild und Horst Seehofer sind mit ähnlichen Thesen sehr erfolgreich. Das Ärgerliche an Prinz Hufeisentheorie ist nur, dass er trotz seiner Herkunft eine Art soziale Außenseiteridentität zu konstruieren versucht – wie zuletzt in Songs seines 2017er-Albums NICHTS WAR UMSONST. Klar, Probleme haben auch die größten Privilegienhengste. Darüber reden dürfen, sollen, müssen sie eh – wäre ja noch schöner, wenn sich niemand oberhalb des Existenzminimus über sein Leben beschweren dürfte. Aber in die Welt zu posaunen, die eigene Szene sei ein diskriminierungsfreies Wunderland, und sich selbst immer wieder in die Underdog-Pose zu werfen, ist mindestens ärgerlich. Wer noch immer die Hoffnung hatte, dieser Typ hätte Interessantes über die Gesellschaft zu berichten: Vielleicht lässt man sie besser fahren.
„In Touch“-Thema der Woche: Keanu Reeves hat eine neue Freundin
Keanu Reeves hat das Internet kaputtgemacht. Dabei hat der Schauspieler nicht mehr getan, als sich zum ersten Mal öffentlich mit seiner neuen Freundin zu zeigen, der Bildenden Künstlerin Alexandra Grant. Die ist zwar immerhin neun Jahre jünger als er, hat aber, oh my god, graue Haare. Für viele Medien und Online-Kommentatoren Grund genug, ordentlich loszulästern – oder aber Reeves endgültig heilig zu sprechen.
Wir erinnern uns: Die Welt hat den ewigen Matrix-Neo lange als mittelmäßigen Schauspieler verspottet, bis vor einiger Zeit die nächste Phase seiner Rezeptionsgeschichte eingeläutet wurde. Reeves wurde zum Internet-Meme, als „good guy“ von Hollywood – weil er es erfreulicherweise schafft, sich trotz Star-Status nicht wie ein Wichser zu benehmen. Reeves tat so unerhörte Dinge, wie in Interviews zu bekräftigen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen und Frauen zu respektieren. Und dann schlägt er sogar, auch das ist gut dokumentiert, regelmäßig die Möglichkeit aus, Kolleginnen auf gemeinsamen Schnappschüssen anzugrabbeln. Die kollektive Verzückung über Reeves‘ Anti-Wichser-Gebahren ist eigentlich verdammt witzig, sogar ziemlich produktiv – weil seine Überhöhung zur Moralinstanz augenzwinkernd passiert. Was wiederum offenlegt, wie wenig Männer tun müssen, um Applaus zu kriegen.
An der Freude über seine neue Freundin ist hingegen alles, wirklich alles falsch. Erstens tun Männer (und Frauen), die grauhaarige, offensichtlich nicht mehr 23-jährige, dicke, behinderte, in irgendeiner Weise nicht normschöne Frauen daten, kein edles Werk oder bringen Opfer bringt. Und zweitens kommt bei vielen die Aufwertung einer 46-Jährigen mit grauem Haar nicht ohne die Abwertung anderer Frauen aus. Auf Twitter behauptete ein User: Dass Reeves keine „zusammengeschraubte US-Tussi” date, beweise nur, was für ein cooler Typ er sei. Eine Aussage, die aus derselben Hölle gekrochen kam wie die Behauptung, „echte Frauen“ hätten Kurven.
Hier gibt’s Schelte für künstlich gestraffte Wangen und Size Zero, dort für Falten auf der Stirn und Größe XL: Wie Frauen es machen, machen sie es falsch. Auch wenn Reeves’ neue Freundin mit gefärbten Haaren und operiertem Gesicht über den roten Teppich spazierte – es würde ihn nicht zu einem schlechteren Menschen machen. Und sie erst recht nicht. Man kann Frauen nicht immer wieder spiegeln, sie seien wertlos, wenn sie keine Model-Anforderungen erfüllen, und sich dann über Schönheitsoperationen, Kosmetik- und Jugendwahn wundern. Die „Keanu Reeves ist Jesus”-Show darf also gern weitergehen. Nur vielleicht demnächst ohne Frauenfeindlichkeit.
Video der Woche: Mira Mann – „Du bist auch traurig“
Die Münchner Band Candelilla beherrscht das Spiel mit dem Unbehagen so virtuos wie wenige Gruppen, die man noch vor einigen Jahren dem deutschsprachigen Post-Punk-Revival zuordnete: Atonale Dämmerstimmung trifft bei ihnen auf oft fragmentierte Lyrics, die nur das Nötigste beschreiben, um besonders starke Bilder zu evozieren. Sängerin und Bassistin Mira Mann hat nun mit „Ich Mag Das” ein Soloalbum veröffentlicht, das auf merkwürdige Art wärmer und zärtlicher klingt als die Musik ihrer Band – trotz elektronischem Gefiepse und Gebrumme. Für einen der tollsten Songs hat Mann nun ein minimalistisches, unheimliches Video gedreht: Mit seinen Keyboardsounds in Schräglage und Sprechgesang klingt „Du bist auch traurig” wie eine Art seltsame Alien-Version von Blumfelds „Lass uns nicht von Sex reden” aus weiblicher Perspektive.
Verkannte Kunst: Shakira – „Whenever, Wherever“
Es gibt Kunst, die altert schlecht – aus den verschiedensten Gründen. Männliche Machtfantasie-Songs wie „Under My Thumb” von den Rolling Stones: problematisch. Alte „Friends”-Folgen: kann man schon mal homophob finden. Und die Schockeffekte in alten Qualitätshorrorstreifen wie „Wenn die Gondeln Trauer tragen” wirken heute eher rührend albern. Wer sich aber anschauen will, wie unfassbar aus der Zeit gefallen ein Bilddokument nach nur knapp 20 Jahren sein kann, muss sich das Video zu Shakiras Hit „Whenever, Wherever” aus dem Jahr 2001 anschauen.
Als das herauskam, war die Kolumbianerin in Lateinamerika schon lange ein Star. Seit Teenagertagen sang sie Stücke über Herzschmerz, aber auch Reizthemen wie Abtreibung. In ihrem ersten Welthit gingen dann aber im wahrsten Wortsinn die Pferde durch: Mit einem dramatischen „Ue-oooh!” entsteigt Shakira dem Ozean wie eine Venus in Hüftjeans von Miss Sixty, bezwingt im Filmverlauf die Gezeiten und steppt durch die Wüste, hat aber trotzdem sehr nasse Haare. Ein Green-Screen-Exzess mit Panflötengedudel wie aus der Bielefelder Fußgängerzone, der aussah, als hätte ein „Terra X”-Redakteur eine Folge „Xena – Die Kriegerprinzessin” inszenieren wollen, dabei aber versehentlich einen Softporno gedreht. Für ungefähr 27 Dollar. „Whenever, Wherever” ist ein Highlight der komplett irrsinnigen, überkandidelten Videoästhetik der frühen Nullerjahre (cc: Atomic Kitten, Jennifer Lopez). Auf irre weise lustig, ansprechend und bezeichnend – quasi die perfekte Visualisierung einer seltsamen Zeit. Und ein Lehrstück darüber, wie sich eine Sängerin aus dem „exotischen” Kolumbien noch vor knapp 20 Jahren auf der internationalen Popbühne zu präsentieren hatte.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.