Produzenten


Was ist ein Produzent und was tut er? Das ist eine der Fragen, die uns immer wieder auf den Tisch flattern. Besonders in Zeiten eines Pop-Polls, wo diese Spalte ja auch ausgefüllt werden sollte, wird sie jedesmal aufs neue aktuell. Um den vielen Interessenten endlich eine Antwort darauf zu geben — seid mal ehrlich, wer von euch weiß denn genau, was ein Produzent ist — haben wir uns entschlossen, einmal eine Story über diese Leute im Hintergrund zu bringen, die oft genug ebenso wichtig und interessant sind wie die Musiker, mit denen sie arbeiten.

Kurz gesagt, man konnte die Plattenproduzenten mit den Filmregisseuren in einen Topf werfen. Natürlich gibt es hier und da Unterschiede, aber um den Grad ihrer Verantwortung und ihren Wert abschätzen zu können, sollte dieser Vergleich erstmal genügen. Was dem einen Schauspielerführung und die Schnittüberwachung, ist dem anderen Auseinandersetzung mit Musikern und das Abmischen der Produkte. Einer der Hauptunterschiede liegt freilich darin, daß Produzenten weit weniger Einflußnahme auf ihr Produkt besitzen als angesehene Regisseure. Aber selbst da gibt es genügend Ausnahmen, die das Gegenteil beweisen.

SEINE ARBEIT

Was tut nun so ein Produzent? Im Optimalfall setzt er sich zunächst einmal mit der Gruppe oder dem Sänger zusammen und bespricht, was getan werden soll. Es wird geklärt, ob er überhaupt mit den Vorstellungen der Musiker etwas anfangen kann und sie gutheißt, was er an ihnen zu kritisieren hat und was er sich von der gemeinsamen Arbeit verspricht. Man beginnt mit der Auswahl der Stücke, dem geplanten Sound und dem möglicherweise veränderten Stil. Die einzelnen Kompositionen werden so weit fertiggestellt, daß sie im Studio nur noch aufgenommen werden müssen. Es gibt da aber keine festen Regeln. Die Rolling Stones z.B. gehen mit leeren Händen in’s Studio und beginnen erst dort mit dem Schreiben — eine recht kostspielige Angelegenheit.

DER STUDIO-JOB

Die eigentliche Arbeit für den Produzenten beginnt allerdings erst im Aufnahmestudio. Er dürfte der einzige sein, der all die Wochen (oder Monate) nicht seinen Platz verläßt, um nach Möglichkeit jede der aufgenommenen Noten zu überwachen. Er achtet darauf, daß die Arrangements nicht zu dick aufgetragen werden bzw. zu wenig arrangiert wird, daß die Stücke in sich geschlossen wirken, daß der Stil gewahrt bleibt und nicht zuletzt darauf, daß die Studiokosten nicht zu hoch klettern. Darüber hinaus muß er sorgsam darauf bedacht sein, ein gutes Arbeitsklima zwischen Band, Toningenieur und den Musikern zu erhalten, was nicht immer ganz einfach ist. Viele Produzenten lassen z.B. dem Toningenieur ein Mitspracherecht, während andere selbst die Musiker ihrem Willen unterwerfen. Aber auch hier hat sich der goldene Mittelweg noch immer bewährt.

DAS ABMISCHEN

Beim Abmischen der fertigen Nummern muß er dann noch mal kräftig ‚ran. Mit „frischen Ohren“ wird das Material durchgehört und in abgewogener Lautstärke komprimiert. Erst jetzt wird bestimmt, welches Instrument auf welcher Seite zu finden sein wird, ob ein extremer Stereo-Effekt geschaffen oder alles mehr „in der Mitte“ plaziert wird. Jeder Produzent hat da seine Vorlieben und Schwächen. Der Sound ist endgültig geboren, wenn die einzelnen Klangfarben der Instrumente akzeptiert und jedermanns Vorstellungen damit befriedigt sind. Dieser „Sound“ ist es denn auch, der die populären Produzenten voneinander unterscheidet. Und die Möglichkeiten, sich darin zu profilieren, sind vom technischen Standpunkt aus beinahe grenzenlos. Ausgefallenen Ideen und persönlichen Neigungen steht nichts im Wege.

PHIL SPECTOR

Speziell auf diesem Gebiet bewies Phil Spector, ein Sound-Genie der späten 50er Jahre, seine Einmaligkeit. Mit seinen verrückten Einfällen und dem todischeren Gespür für seltsame Aufnahmeverfahren schuf er sich einen Ruf, der ihn noch heute als einen der fähigsten Soundmacher ausweist. Die Platten, vornehmlich Singles, die er von 1959 bis Mitte der 60er Jahre aufnahm, dürften wohl nur den älteren von Euch ein Begriff sein: Mit den BILL WYMAN PHIL SPECTOR TODD RUNDGREN

Ronettes, den Chystals (beides Mädchengruppen), Bob B. Soxx, den Righteous Brothers und etlichen anderen. Erst die Beatles ebneten ihm eine Comeback-Karriere, als sie ihn beauftragten, ihr „Let It Be“-Album zu produzieren und John Lennon künftig alles bei ihm in Auftrag gab.

DER SOUND-REVOLUZZER

„The Spector Wall Of Sound“, wie man ohne Übertreibung seine extremen Klanggemälde nannte, ließ oft die Assoziation zurück, sie wäre mit 200 Streichern, zehn Bassisten und drei Schlagzeugern, die nur auf den Toms trommelten, aufgenommen. Bei seinem Meisterstück „You’ve Lost That Lovin‘ Feeling“ von den Righteous Brothers konnten selbst Fachleute erst nach Jahren einzelne Instrumente heraushören. Damals war so etwas noch möglich… Als Phil 1958 begann, sich für diese Dinge zu interessieren, stand er weit und breit ohne Konkurrenz da. Überall herrschten die, wie er sie nannte, „Cigar-Chomping Fatties“, die bestimmten, was und wer veröffentlicht würde. Die Soundqualität hielt sich in kleinem Rahmen, der für die übliche „Middle Of The Road“-Musik damals auch genügte. Es gab außerdem niemanden unter Dreißig in diesem Geschäft, und das wollte man beibehalten. Phi] war der erste, der diese ungeschriebenen Gesetze brach und bereits mit 18 Jahren seinen ersten Hit landete und knapp drei Jahre später schon Millionär war. Der erste Teenager-Millionär! Er war der Pionier einer nachrückenden jungen Managergeneration, die den alten Herren des Business das Fürchten lehrte. Dank seiner glänzenden Vorarbeit sollten es Jahre später ein Brian Epstein und ein Andrew Oldham leichter haben, Fuß zu fassen.

ANDERE PRODUZENTEN-PIONIERE

Phil gibt heute offen zu, daß viele seiner Tricks auf Zufällen beruhten. Aber er war trotzdem einmalig in seiner Art. Er beeinflußte die Aufnahmetechnik, insbesondere der Rockmusik, in solch einem Umfang, daß die heutigen Verfahren ohne ihn gar nicht denkbar wären. In England lernten von diesem „verrückten“ Amerikaner z.B. George Martin, der für sämtliche Beatles-Produkte verantwortlich ist, ebenso wie Mickie Most, der damals mit den Animals, Donovan und Jeff Beck zusammenarbeitete. Und Georgio Gomelsy gehörte zu den Produzenten der ersten Stunde, als er 1962 mit den Stones, mit Driscoll/Auger und mit den Yardbirds erste Gehversuche unternahm. Aber sie alle erreichten nie den gigantischen Status eines Phil Spector.

ANDERE MASSSTÄBE

Die Schwerpunkte des Produzenten-Schaffens haben sich allerdings inzwischen ganz erheblich verlagert. Übermäßig eigenwillige Klangvorstellungen oder „neue“ Ideen sind kaum noch drin! Bei Genesis und Pink Floyd liegt schon beinahe die Grenze des erlaubten Erfindergeistes. Das Hauptgewicht hat sich auf einen Sound verlagert, der sich schlicht und einfach mit sauber und klar umschreiben ließe. Ein Produzent, der heutzutage etwas gelten will, muß ebenso in der Lage sein, einen dichten wie transparenten, einen lauten aber sauberen und einen trotzdem noch eigenwilligen Sound auf die Beine zu stellen. Mit dem enormen Anstieg des technischen Apparates der Bands ist auch der Qualitätsanspruch – „man muß alles laut und deutlich hören“ — gewachsen, und man muß schon ein Ass auf seinem Gebiet sein, um noch Aufsehen zu erregen.

NEUERE PRODUZENTEN

Einige von diesen Assen sind Chris Thomas, der vor allem bei Roxy Music und Procol Hamm auffiel, James William Guercio, der für Blood, Sweat & Tears, Chicago und mit den Beach Boys arbeitete, Glyn Johns, der u.a. die Rolling Stones, die Faces und die Steve Miller Band betreut, Elton John’s Produzent Gus Dudgeon und Tony Visconti, der David Bowie, die Strawbs, T. Rex und Ralph McTell produzierte. Bekannt sind auch Namen wie Felix Pappalardi, der mit Cream antrat und mit Mountain, wo er auch selbst mitspielte, Jimmy Miller, der mit den Stones, Traffic, Blind Faith und Spooky Tooth ins Studio ging und Paul A. Rotchild, der für den gesamten legendären Elektra-Katalog (incl. Love, Doors usw.) verantwortlich war. Die Liste wäre endlos fortzusetzen — alles Könner,die sich um ihre Zukunft keine Sorgen mehr zu machen brauchen.

FREIE UND ABHANGIGE PRODUZENTEN

Produzent ist ein Beruf wie jeder andere, also gibt es auch hier sowohl freischaffende als auch fest angestellte. Zudem kommt es häufig vor, daß Musiker selbst produzieren, Studiochefs alles in die Hand nehmen oder Toningenieure die Gruppen, die zu ihnen kommen, verarzten. Die freien Produzenten sind weder einer Firma noch einem Verlag angeschlossen. Sie hatten meist in der Vergangenheit solch riesigen Erfolg, daß sie sich inzwischen selbständig machen konnten. Bei ihnen klingelt nur das Telefon, eine Plattenfirma oder eine der populären Bands sind dran und fragen, wann er denn für sie Zeit und ob er Lust hätte, mit ihnen zu arbeiten. Sie sind am häufigsten im Gespräch. Dann wären da die fest angestellten, die ein „normales Monatsgehalt“ für ihre Tätigkeit erhalten wichtig erscheint, in die Charts zu gelangen. Die Firma bestimmt, wer produziert wird, und danach haben sie sich zu richten. Meist haben aber auch sie sich vorher für eine bestimmte Art Musik qualifiziert (z.B. Heavy, Soul oder Schlager), so daß sie oft lange Zeit in dieser Stüschublade eingeschlossen bleiben, ohne die Chance zu bekommen, „artfremdes“ Material zu bearbeiten.

SELBSTPRODUKTIONEN

Viele Künstler glauben, sich selbst produzieren zu können. Manche von ihnen sind dabei gar so erfolgreich, daß sie damit für andere Musiker interessant werden. Leute wie AI Kooper, John Cale oder Todd Rundgren genießen in ihren Kreisen einen ebenso glänzenden Ruf als Producer wie als Musiker. Wenn ein Toningenieur oder ein Studiobesitzer produzieren, tragen die meist selbst das finanzielle Risiko für die Aufnahmekosten. Wird die Gruppe ihr fertiges Produkt los, erhält er schließlich seine Investition zurück. Diese Produzenten (oft handelt es sich um den eigenen Manager) trifft man meist bei unbekannteren Musikern, die noch ohne Vertrag und Erfahrung ihre ersten Gehversuche unternehmen.

AUSWIRKUNGEN

Inzwischen hat sich gezeigt, daß DIE Producer am effektivsten arbeiten, die ein eigenes Studio zur Verfügung haben, denn nur sie besitzen genügend Zeit, ihre Vorstellungen optimal in die Tat umzusetzen. Sie sind es auch, die einen „eigenen Sound“ herstellen, der einfach unmöglich erfolglos bleiben kann. In der Vergangenheit wohl am deutlichsten spürbar beim Tamla Motown-Sound, der zum Nachteil seiner verschiedenen Interpreten immer gleich, aber überaus verkaufsträchtig klang und noch klingt. Ebenso erging es 1973 bis ’74 der Glitter-Welle, deren eigenwilliger Rhythmus-Sound so erfolgreich wurde, daß sich selbst minderwertigstes Material spielend verkaufte. Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen, es war zum Großteil ein Werk von cleveren Produzenten. Gary Glitter, Suzie Quatro, Alvin Stardust, T. Rex oder Sweet sind mit einem „normalen“ Sound ebensowenig vorstellbar wie Slade, die Rollers, Mud oder viele der täglich aus dem Boden schießenden Teeny-Bands. Hier zeigt sich überdeutlich die Zweischneidigkeit eines Produzenten-Schwertes.

MANIPULIERTE SOUNDS

Fans kaufen nicht etwa, wie sie glauben, die Musik ihrer Lieblinge, sondern eindeutig die wohlüberlegte Klangwelt geschäftstüchtiger Produzenten. Indem sie die Producer, durch einen speziellen Sound einen eigenen Markt auftun, besitzen sie gleichzeitig eine Garantie für den Verkauf ihrer Produkte. Die Musiker dienen nur noch als Mittel zum Zweck. Nicht anders sieht es beim populären Philly-Sound aus, deren Hauptakteure wiederum Produzenten (Kenny Gamble und Leon Huff) sind. Steigt dazu noch, wie in diesem Fall, die jeweilige Plattengesellschaft dahinter, ist schnell ein neuer Trend geschaffen, der bei genauem Hinsehen gar keiner ist.

HITFABRIKANTEN

Aber so weit gehen die meisten der Produzenten gar nicht. Die meisten von ihnen sind über kurz oder lang nur daran interessiert, gute Singles oder anspruchsvolle Alben zu produzieren. Natürlich immer mit Blick auf die Hitlisten, ohne deren Ergebnis sie selbst genausowenig weiterkommen wie die Interpreten. Sollte erst mal der große Sprung geglückt sein, steht man natürlich ganz anders da – man ist wer — und kommt viel leichter an neue Interessenten heran. Diese „Erfolgsprämie“ zahlt sich in jedem Falle aus. Mit einer der Gründe, warum viele von ihnen neben einem Musik- und Psychologieverständnis auch noch eine ordentliche Portion Geschäftssinn entwickelt haben. Um hohe Verkaufszahlen zu erreichen, bedarf es eben neben guter Musik und guter Produktion und Promotion auch noch sehr viel guter Beziehungen!

WARUM EIN PRODUZENT?

Daß selbst Gruppen wie die Stones, die Beatles oder ein Bob Dylan trotz langjähriger Erfahrung und dem Wissen um Vorund Nachteile des Geschäfts nach wie vor mit Producern aufnehmen, sollte einem schon zu denken geben. Fast alle der Rock-Giganten bevorzugen die Arbeit mit Produzenten und der Hauptvorteil dürfte sicher in der eigenen Betriebsblindheit zu finden sein, der ein Produzent natürlich nicht unterliegt. Er steht sozusagen über den Dingen und entscheidet und sondiert „von oben herab“, was er als gut und richtig empfindet. Zudem vereinfacht es die Zusammenarbeit zwischen Musikern, dem Toningenieur und der Plattenfirma ganz enorm, wenn da jemand ist, der als Mittler auftritt. Sicher ist, daß ein guter Mann jeder Gruppe von Nutzen sein wird, und da sollten die paar wenigen Prozente (meist vier), die einer dafür erhält, nicht ins Gewicht fallen. Im angloamerikanischen Ausland jedenfalls werden bei nahezu 80 Prozent aller Platten Producer hinzugezogen, wobei im eher „unterentwickelten“ Deutschland so gut wie sämtliche Produktionen ohne „Aufpasser“ über die Bühne gehen. Noch ein Grund mehr, darüber nachzudenken…