Psychedelisch-antiautoritäres Schauen, wo der Sound hin will


Als Hippies würden sich Mercury Rev nicht gerade bezeichnen, als Vorreiter von Neo-Hippies wie MGMT schon eher.

Hippies sehen anders aus. Fröhliche, nachgerade ausgelassene und durchaus geschmackvoll gekleidete Gestalten sind das, die da in einem schmucken alten Hotel in Berlin-Mitte auf ihr Mittagessen warten. Aber aussehen wie die Leute, die im Wort „Hippie“ wieder das „hip“ etabliert haben, nein, das tun MercuryRev nicht.

Jeff Mercel, zuständig für Schlagwerk und Tasteninstrumente, trägt weißes Leder und ein Dauergrinsen. Sean Mackowiak, der sich mit seinem Spitznamen „Grashopper“ vorstellt und die Gitarrenarbeit erledigt, hat sich die langen Haare abschneiden lassen und trägt eine Sonnenbrille im Gesicht die er auch beim Gespräch nicht abnehmen wird. Jonathan Donahue, Sänger und Gitarrist, hat sich einen graumelierten Henri-Quatre-Bart stehen lassen, der ihn wie den älteren Bruder von Wayne Coyne erscheinen lässt, dem Chef der Flaming Lips-eine Band, mit der Mercury Rev nicht nur stilistisch, sondern auch über ihr eifriges Phantom-Mitglied, den Produzenten Dave Fridman verbunden sind. Fridman ist neuerdings auch für den herrlich verblasenen Sound der Neo-Hippies von MGMT zuständig.“Doch, wir sehen uns schon als Vorreiter von Gruppen wie MGMT“, erklärt Jonathan Donahue im Rückblick auf die Jahrzehnte überspannende, wechselhafte Bandgeschichte, „aber nicht in so einem gönnerhaften, väterlichen Sinne. Uns ging es immer um den Sound und darum, zuschauen, wo dieser Sound uns hinträgt.“

Aber ist denn dieses Flirren, dieses psychedelisch antiautoritäre Schauen, wohin der Sound wohl will, nicht genuin… nun ja: hippie-esk? „Gegenfrage“, sagt Donahue und lächelt kühn „Ist die wuchtige Produktionsweise eines Phil Spector nicht eigentlich… faschistoid?“ Stille. Nur Grashopper rührt, klingklang, mit dem Löffel ungerührt in seiner Kaffeetasse. Hm. So gesehen, unter bestimmten ästhetischen Gesichtspunkten: ja,das könnte man auch faschistoid nennen. Obwohl da ganz andere Gruppen ….. Genau!“ unterbricht Donahue: „Rammstein! Keine Hippie-Band, eindeutig. Das ist eher so ein Fascho-Sadomaso-Schwulen-Ding, oder?So gesehen, als Antwort auf deine Frage:Ja, wir sind, wenn man so will Hippies. Es geht uns um die künstlerische Freiheit und auch den Wagemut, dahin zu gehen, wohin andere sich nicht trauen.“ Also auch bis an die Grenzen des Kitsch, der Peinlichkeit? „Manchmal“, wirft Jeff Mercel nachdenklich ein, „manchmal sogar darüber hinaus.“ Und jetzt stellt Grashopper seine Kaffeetasse ab und sagt: „Dort wird’s doch erst so richtig interessant!“

Und offenbar auch wieder unkitschiger, härter: Auf snowflake midnight sprechen die elektrischen Gitarren eloquent wie schon lange nicht mehr bei Mercury Rev, die auf den letzten Alben all is dream und THE secret Migration bisweilen in ihrer eigenen melancholischen Harmonieseligkeit zu ertrinken drohten.

„Das musikalische Thema des Albums ist, ohne dass es ein Konzeptalbum wäre, der Übergang. Ein Bild dafür ist die Schneeflocke, ein sehr flüchtiges Objekt“, sagt Donahue, seit seiner Erwähnung von Rammstein offenbar auf deutschen Bands hängen geblieben: „Sog mal, kennst du eigentlich Urlaub in Polen? Eine phänomenale Band, ich habe sie erst vorgestern entdeckt. Sind das Hippies?‘

»>www.mercuryrev.com

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