Reggae Superjam


Schon seit geraumer Zeit bemüht man sich in Jamaica, neben dem allsommerlichen ,.Reggae Sunsplash“ ein zweites Festival zu institutionalisieren. Mit der „Reggae Superam“ – drei Nachte mit jeweils drei Acts minus der unmenschlich langen Umbaupausen, die den Splash zur Tortour machen – scheint sich ein recht annehmbares Gegenstück entwikkelt zu haben.

Das Ganze begann pünktlich, schon fast wieder ein Handicap denn wer, außer Touristen, ist in Jamaica schon punktlich? – insotern war die Halle zu kaum einem Drittel gefüllt, als Beres Hammond die erste Nacht eröffnete. Hammond hat sich gewandelt, seit er Zap Pow anführte. Er singt heute vorzugsweise Balladen, aber an dem etwas überholten Strandcasino-Soul seiner Backing Band verliert sich seine Performance nach ein paar Nummern doch im Mittelmaß.

Steel Pulse’s Popularität in Jamaica gründet sich auf ihre drei ,.Sunsplash“-Auftritte in Folge und auf einen Track ihrer TRUE DEMO-CRACY-LP.“.Rally Round“. der an sich stellvertretend für ihren ganzen Set steht. Der Groove wird stufenweise gesteigert, immer wieder von jazzigen Breaks durchbrochen und kulminiert schließlich in einem unvergänglichen Chorus …… liberation ‚ true demoeraey! one god, one aim .. one desliny 1 „

Steel Pulse brauchten eine gute halbe Stunde, um aul Touren zu kommen; aber als sie uns dann mit „Handsworth Revolution 1 entlassen – und David Hinds den roten Fez von seinem Turm aus zusammengewachsenen Dreadlocks reißt, breitet sich zum ersten Mal so etwas wie Wärme in der unterkühlten Halle aus Dennis Brown, mit dem die erste Nacht endete, war, ist und bleibt der prominenteste Reggae-Sänger. den Jamaica je gesehen hat. Jeden Monat hat er eine neue Single in den Laden, in Uptown-Kmgston tönt seine Musik aus den schweren amerikanischen Tapedecks, Downtown liefert sie das Grundmatenal für die Sound Systems: die Charts sind voll mit seinen Platten, beide Radiostationen hängen geradezu von ihm ab…

Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er nicht zu einer Serie von Zugaben wieder erschienen wäre (sechs insgesamt, bei denen sich dann auch noch Wailers-Gitarnst Junior Murvin zu einer spontanen Jam einklinkte). Vor und nach ihm entließ niemand ein dermaßen ausgepumptes Publikum.

Ex-Heptones-Sänger Leroy Sibbles hatte zu Beginn der zweiten Nacht mit einer ähnlich leeren Halle zu kämpfen wie Beres Hammond. Daß er vor ein paar Jahren nach Kanada emigriert ist. seine Musik also nicht stetig auf die Straße gepumpt wird, erschwerte seinen Stand noch. Er arbeitete sich mit der hervorragend eingespielten Sagittarius Band durch einen guten Teil der klassischen Heptones-Rocksteady-Hits und lieferte von „Equal Rights“ bis zu Ben E. Kings „Goodnight My Love“ einen soliden Set ab – aber eben doch nicht ganz genug, um den klirrenden Frost aus der Halle zu treiben.

Chalice, die anschließend an der Reihe waren, dürften gegenwärtig wohl eine der höchstgehandeltsten Bands Jamaicas sein. Sie sind oft mit Third World verglichen worden, weil sie einen fast identischen Background und ein ähnlich breites Spektrum haben, aber damit hören die Gemeinsamkeiten eigentlich auf. Chalice haben ihre eigenen Songs, ihren eigenen Sound und außerdem in Wayne Armond einen Kopf, der auf wirklich vorzügliche Melodien stößt. „Stew Peas“ und „Can’t Dub“ sind zwei ihrer Paradenummern, tragikomisch, tongue-mcheek, und mit einem Maximum an Theatralik auf die Bühne gebracht.

Chalice gewinnen viel dadurch, daß sie über zwei grundverschiedene Sänger verfügen: den bulligen Robi Peart mit einem mörderischen Baß-Tenor sowie den drahtigen Trevor Roper. der mit seiner weichen, cremigen Stimme die Damenwelt schnell auf seiner Seite hat Black Uhuru schafften es danach nicht, das Publikum auf die Stühle zu treiben wie Chalice. zumindest nicht auf den 35-Dollar-Platzen im vorderen Teil der Halle; nun. das Lieblingskind der jamaicanischen Mittelklasse waren sie ohnehin nie. Aber bei allem Respekt für die. die vor und nach ihnen auf der Bühne standen – im Augenblick fällt mir niemand ein, der sich mit ihnen messen könnte.

Sly und Robbie mögen ja mittlerweile für Gott und die Welt spielen, aber ihre besten Ideen realisieren sie immer noch mit Black Uhuru Und von dem Moment an, wo Uhuru von dem schlappen MC Winston Barnes angekündigt werden, ist alles so, wie Michael Rose bei“.Anthem“, dem Titelstuck ihres neuen Albums, singt: ….. I & I are the living dread, inna dis ya dawn of the living dead.. .“

Der Beat von Sly. Robbie und der Taxi Gang kracht mit einem Punch und einer Präzision aus den Boxen, die einen regelrecht überrollt. Rose wirbelt seine locks auseinander, Puma rudert mit den Armen in der Luft und beginnt mit ihrer afrikanischen Tanz-Routine – und Ducky steht, wie in Stein gemeißelt, an der rechten Flanke und verharrt über die vollen 90 Minuten in seiner coolen Pose. Und als Sly & Robbie die Show schließlich mit einer halbstündigen Jam ausklingen lassen, hatte die“.Superjam“ das Beste hinter sich.

Das Ska-Recyclmg der Skatelites am dritten Abend klang heute, 15 Jahre danach, charmant nostalgisch, nicht mehr, nicht weniger, aber die folgende Stunde mit Gregory Isaacs gehörte dann doch zu den Highlights des Festivals. Er kommt mit wiegendem Gang zu dem hart federnden Beat der Roots Radics auf die Bühne. Cagney-cool, Gigolo-chic, halbgeschlossene Augen, haigrauer Blazer, die machtigen Dreadlocks zu einem Pferdeschwanz verknotet – allein seine bloße Erscheinung ist übermächtig suggestiv. Und wenn er. die Hände ums Mikrophon gefaltet, anfängt zu singen, begreift man. daß es außer Dennis Brown einfach keinen populäreren Reggae-Sänger mehr geben kann.

Bei Peter Tosh war die große Frage: Redet er oder redet er nicht? Hält er wieder eine seiner berüchtigten Ansprachen, rappt er wieder den Premierminister an die Wand…? Nun, die Sessel für den Minister und sein Gefolge in der Frontreihe blieben leer – und Tosh entschuldigt seine ausbleibende Rede mit seinen nach neun Monaten Welttournee arg angegriffenen Stimmbändern. Er gibt eine gute, keine große Show, und nur einmal, als er sich seine zu einem M 16-Schnellfeuergewehr umgebaute Gitarre umschnallt, bringt er die Arena wirklich zum Kochen. Eine moderate Enttäuschung, alles in allem.