RETRO UND RAUMSCHIFF
Janelle Monáe hat geholfen, den R’n’B vom Korsett seiner Klischees zu befreien. Dann hat die Revolution sie links überholt. Auf ihrem neuen Album THE ELECTRIC LADY unternimmt sie nun eine Reise zum Mittelpunkt des Pop.
Die Geschichte von Janelle Monáes Leben geht so: Ein kleines Nerd-Mädchen aus Kansas flüchtet nach New York, um Schauspiel zu studieren und landet schließlich in einem Wohnheim in Atlanta. In der Tasche: ein paar Dollar, ein paar CDs und ein paar riesengroße Ideen. Dort trifft sie Big Boi von Outkast, kanalisiert allen aufgestauten Schaffensdrang und wird ein Star neuer Machart. Chronisch renitent, auf eine sehr liebevolle Weise unnahbar, besessen davon, alle Regeln als das zu nehmen, was sie sind: etwas, das gebrochen werden muss. Auf ihrer EP „Metropolis: Suite I“ und mehr noch auf ihrem Debütalbum THE ARCHANDROID reißt sie tatsächlich Grenzen ein. Janelle Monáe ist retro und Raumschiff, Avantgarde und Mainstream, schwarz und weiß und schwarzweiß und kunterbunt zugleich.
Die Geschichte zu Janelle Monáes neuem Album geht so: Bei ihren Auftritten malt sie auf der Bühne, ganz die Renaissance-Lady des postdigitalen Zeitalters. Auf der Leinwand erscheint immer wieder eine Frau, die sich nur in Nuancen – eine etwas schmalere Hüfte, etwas grellere Farben – von der Frau auf der Leinwand des Vorabends unterscheidet. Irgendwann identifiziert Monáe sie als „electric lady“ und entdeckt darin Züge ihrer selbst. „Diese Frau hat mich dazu inspiriert, viele verschiedene Facetten meiner Persönlichkeit zu erforschen. Ich wollte über Dinge singen, die in ihrer Gesamtheit meine Identität als Frau ausmachen: Spiritualität, Liebe, Sex, Religion, Revolution.“
Das tut sie nun auf ihrem neuen Album, konsequent betitelt nach dieser Gestalt ihrer Fantasie, THE ELECTRIC LADY. Die Jimi-Hendrix-Referenz kann man sich je nach Belieben dazu denken oder auch nicht: „Ich habe mich nicht an Jimi orientiert, als ich das Album geschrieben habe. Aber wir sind beide im Sternzeichen Schütze, vielleicht haben wir unterbewusst miteinander kommuniziert.“ Tatsächlich ist Rock’n’Roll im Sinne Hendrix‘ sehr präsent auf dem Album. „We Were Rock’n’Roll“ ist eine explizite Hommage an die Wurzeln im Blues – und eine Aufarbeitung mit der persönlichen Vergangenheit.
Ohnehin ist aus dem androgynen Androiden eine erwachsene Dame geworden. Die neuen Songs sind konkreter, sehr irdisch, fast erdig. Noch immer pendelt Monáe zwischen den Welten. Aber sie tun das nicht mehr innerhalb eines Songs. Die Single „Q.U.E. E. N.“ mit Erykah Badu zum Beispiel funkt mit schmatzenden Snares und gniedelnder Gitarre. „Primetime“ mit Miguel dagegen ist eine klassische Erbauungsballade. Alles bleibt im Bild, alles bliebt im Genre und manchmal leider auch im Klischee verfangen. Wenn THE ARCHANDROID eine Suche, eine Frage war, dann ist THE ELECTRIC LADY der Versuch einer Antwort. Vielleicht auch eine Antwort auf die Lästereien der Branche, dass Janelle Monáe zwar Kritiker bezirzen könne, aber trotzdem niemand einen ihrer Songs kenne.
„Ich habe einfach einen vielfältigen Musikgeschmack. Bei mir läuft Judy Garland nach James Brown„, sagt sie selbst. Neben den wilden Experimenten, die das erweiterte R &B-Universum in den Jahren seit THE ARCHANDROID so gründlich umgekrempelt haben, nimmt sich das alles dennoch eher harmlos aus. Die finstere Faszination von Frank Ocean, der überirdische Robopop-Appeal von Future, die funkelnde Finesse von Miguel bieten heute die R’n’B-Alternative, die Janelle Monaé einst skizzierte. Was bleibt, sind ein nachhallendes Versprechen und ein paar sauber exekutierte Songs einer vielseitig begabten Schreiberin, Sängerin und Produzentin, die mehr an ihrem eigenen Anspruch leidet als an mangelndem Talent. Noch hat die Revolution ihre Kinder nicht gefressen. Aber sie lässt eine ihrer Mütter ein bisschen alt aussehen.