Idles
TANGK
PIAS/Partisan/Rough Trade (VÖ: 16.2.)
Der Outsider-Punk der Band aus Bristol feiert die eigene Schrulligkeit und entdeckt zugleich eine neue Pop-Sensibilität.
Schon die erste Single „Dancer“ sorgte mit ihrem kaputten Disco-Twang, Hook-Feinschliff sowie LCD Soundsystems James Murphy und Nancy Whang im Backing-Chor bei manchem Idles-Fan für hochgezogene Augenbrauen. Dann kam „Grace“ noch ungewöhnlicher daher: Die Strophe von Sänger Joe Talbot im Fast-Flüsterton versöhnlich wie fragil, vor allem im Vergleich zum dringlicher phrasierten Refrain: „No god, no king / I said, love is the thing“.
AmazonRepräsentativ für TANGK sind beide Song-Pole – die gen Albummitte zudem noch direkt aufeinanderfolgen – wobei der grundlegende Experimentierwille sogar noch weit darüber hinausgeht. In ihrem Selbstverständnis schon immer eigen, schaffen die Idles hier ihren größten Sprung raus aus der Schublade: Postpunk? Wollten sie eh nie sein. Indie-Rock? Nicht nach konventionellen Maßstäben. Arty? Dann aber bitte schön auf unartige Weise. TANGK ist all das, aber die Summe seiner Teile auch deshalb so viel größer, weil sie sich nur noch stärker in kein bestimmtes Erwartungsschema pressen lassen.
Ihre bis dato reifste Leistung
Nachdem die Bristoler Band ihre ersten Platten fast im Jahrestakt veröffentlicht hat, wirkt ihr fünftes Album nicht allein aufgrund längerer Reflexionszeit wie ihre bis dato reifste Leistung. Was wohl auch daran liegen mag, dass das vom Vorgänger CRAWLER erprobte Team aus Kenny Beats und Idles-Gitarrist Mark Bowen hier noch gewinnbringend um Nigel „Radiohead“ Goldrich zu einer produktionstechnischen Troika erweitert wurde. Damit erhöhen die Idles einerseits ihren Indie-Intellektuellen-Status, verlieren andererseits aber genauso wenig die schnarrenden Strobo-Gitarren, das dezent Pub-Pöbelhafte oder auch potenzielle Punk-Tanzflächenbrände aus den Augen.
Erweckt der Opener „IDEA 01“ mit seinen zu stoischem Drumbeat und Piano-Regen vorgetragenen Lounge-Vocals noch den Anschein, man wähne sich in einem späten Arctic-Monkeys-Outtake, gehen HipHop-Fan Talbot auf dem straßensmart zischelnden „Gift Horse“ die Pferde schon wieder in gewohnterer Manier durch. „POP POP POP“ präsentiert anschließend lakonische Lebenslust, weiß mit einer gelungenen deutschen Wortschöpfung („Freudenfreude / Joy On Joy / Cheerleader / Happy Boy“) zu beglücken und wirkt dabei grenzironisch wie Underworld in Zeitlupe.
Der ultimative Liebesbeweis an die Fans und die eigene Integrität
Dagegen kokettiert „Roy“ (den Orbison kann, muss man sich aber nicht dazu denken) mit angeschrägter Sixties-Gitarre, die jegliche Schmalz-Schwoof-Spur hinterrücks wieder genüsslich dekonstruiert, und zelebriert das klavierreduzierte „A Gospel“ auf wunderbare Weise die neu entdeckte Zerbrechlichkeit. „Hall & Oates“ ist mit Zeilen wie „It feels like Hall & Oates is playing in my heart / I loved my man from the very start“ ein starker Kandidat für den Songtext des Jahres und weiß sich darüber hinaus auch mit Crooner-Einlage und kontrastierenden Muppet-Monster-Gang-Chören musikalisch zu behaupten.
Mit „Jungle“ packen die Idles kurz vor der Zielgeraden noch ein veritables Vier-Minüter-Mini-Epos von fast filmischer Qualität aus, nur um sich dann auf „Monolith“ stimmlich wieder sachter, aber von verstörendem Badalamenti-Brummen begleitet, mit den Ausklangs-Tönen eines einsamen Saxofons zu verabschieden. Dass hier dennoch nichts nach Mainstream-Ausverkauf schreit, sondern vermeintliche Pop Zugeständnisse die sympathische Schrulligkeit der genialischen Ausnahme- und Außenseiter-Truppe nur weiter untermalen, ist vielleicht das größte Geschenk von TANGK – und damit der ultimative Liebesbeweis an die Fans und die eigene Integrität.
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