The Cure
SONGS OF A LOST WORLD
Polydor/Universal (VÖ: 01.11.)
Wenn alles verloren ist, schlägt die letzte Stunde von The Cure.
Das Warten hat ein Ende, doch dann wiederum nicht. Denn natürlich sind die besten Cure-Alben auch Geduldsspiele. Wer es anders haben will, muss JAPANESE WHISPERS oder THE TOP hören. SONGS OF A LOST WORLD dagegen ist ein Cure-Werk in Bannkreis von PORNOGRAPHY (1982) und DISINTEGRATION (1989), den beiden Alben, mit denen The Cure ihren Klang fanden. Einen Sound, der den Hörenden schleppend nach ganz unten zieht, dorthin, wo die Gifttöpfchen mit der gallig-grünen Suppe stehen, gefüllt mit allen Ängsten und Enttäuschungen, Traumata und Verletzungen. Die Botschaft von Robert Smith: Du bist nicht allein. Der Ansporn: Lasst uns aus diesem Gift eine Schönheit entstehen lassen.
AmazonDieser Prozess dauert, der Weg ist beschwerlich, weshalb die Lieder von The Cure oft minutenlange Intros haben. Ob aus dem Hochheiligen Paar PORNOGRAPHY/DISINTEGRATION nun ein Magisches Dreieck wird? Mit Gewissheit wird man es erst in ein paar Monaten sagen können. Tendenz: ja.
Vier der acht Songs auf SONGS OF A LOST WORLD sind live längst erprobt. Robert Smith trug sie auf der letzten Tour mit sich herum wie schwere Rucksäcke. Dass dieses Album nie erscheinen würde, war immer eine Möglichkeit. Es half ein kalendarischer Zufall: Alle sieben Jahre fällt Allerheiligen, der 1. November, auf einen Freitag, an dem neue Alben erscheinen. Allerheiligen ist das christliche Fest, an dem die Leute auf die Friedhöfe ziehen und den Toten gedenken. Es kann kein besseres Veröffentlichungsdatum für dieses Album geben.
Ein akustisches Strahlen in der tiefsten Nacht. So etwas kann nur Musik.
Zu einem wuchtigen, trägen, stockenden Klang singt Robert Smith über das Ende. „Alone“ handelt von der finalen Einsamkeit. „And Nothing Is Forever“ davon, dass keine Liebe den Tod überdauern wird. Bei „Fragile Thing“, dem leichtesten und sogar etwas groovigem Song, geht es um die Zerbrechlichkeit der Dinge. Beim sperrigen „Warsong“ über nicht befriedete Konflikte. Bei „I Can Never Say Goodbye“ über seinen verstorbenen Bruder.
Smith singt, wie er es immer getan hat, es ist dieses jugendliche Smith’sche Heulen, das einen unmittelbar das Gefühl gibt, jemanden an seiner Seite zu haben, der dich und deine Gifttöpfe kennt. Wer The Cure liebt, wird die letzte Viertelstunde dieses Albums (und vielleicht auch dieser Band) mit offenem Mund erleben. „All I Ever Am“ ist die bittere Bilanz – und einer dieser Pophits, die Smith ja auch kann, jedoch gespielt für die Party auf dem Friedhof. Dann der „Endsong“, elfeinhalb Minuten lang: Ein Lied über das große Nichts. Keine Hoffnung, kein Licht. „Nothing“. Nur Schönheit. Unfassbare Schönheit. Ein akustisches Strahlen in der tiefsten Nacht. So etwas kann nur Musik.
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