Album der Woche

The Good, The Bad & The Queen 

Merrie Land

Warner (VÖ: 16.11.) 

Müde Grüße aus dem Küstennebel Nordenglands: Gemeinsam mit Tony Visconti singen The Good, The Bad & The Queen einen sentimentalen Abschieds-Shanty auf England als Teil Europas.  

„I’m just passing through on this battlefield“, singt Damon Albarn in „Nineteen Sventeen“, und räsoniert später über Desillusionen und lausige Affären. „I leave a little bit of England in a field in France“, fügt er nach einer Weile an.

Was eingangs durchaus auch privat zu verstehen ist, wird also plötzlich zu einem Kommentar zur Zeit, und schon ist man mittendrin in einer Songsammlung, die vielleicht mehr Album, also vor allem in seiner Vollständigkeit Sinn ergebendes Kunstwerk ist als alles, was Albarn mit seinen verschiedenen Bands, mit Blur, mit Gorillaz und auch als Solokünstler in den vergangenen 15 Jahren aufgenommen hat.

The Good, The Bad & The Queen, das wurde vorher schon angekündigt, haben einen Kommentar zum Brexit eingespielt. Dieser Kommentar besitzt sogar eine geografische Verortung, er spielt in Blackpool, im Norden Englands. Das ist eine dieser Städte an der Küste, die für den Brexit stimmten. 67,5 Prozent wollten in dem Krisengebiet des Faded Glamour, das im britischen Pop zuletzt von Franz Ferdinand besungen wurde, raus aus der EU, um genau zu sein.

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Das Album, das den entsprechenden Schwanengesang anstimmt, ist recht kurz, ein bisschen länger als eine halbe Stunde, so arg viel gibt es ja auch nicht zu sagen zu dieser maximalen Dummheit, die das britische Volk da auf die Wahlzettel geschmiert hat.  

Die Musiker der Band begegnen dieser maximalen Dummheit mit maximaler Demut. Das, was sie spielen, ist in einem sehr angenehmen Sinne beiläufig, keiner der Beteiligten stellt seine Fähigkeiten aus. Tony Allen, der mit Africa 70 an der Seite Fela Kutis immerhin den Afrobeat miterfand – nun gut, es ist nicht so, als streichle er sein Schlagzeug, aber er ordnet es immer dem Gesamtsound unter, gönnt sich eigentlich nur in „The Great Fire“ ein paar Extravaganzen.

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Paul Simonons (The Clash) Bass ist in Stücken wie „The Truce Of Twilight“ so weit hinten, dass man ihn eher ahnt als hört. Und selbst Simon Tong, vor allem an der Gitarre, und Damon Albarn ordnen sich willfährig in musikalische Arrangements ein, in denen Bläser und Streicher auf- und abschwellen, in denen aber auch Platz für Lücken ist. Spuren von Dub und Reggae werden in die Musik einer Nummernrevue gewebt, trauriger Folk trifft auf großen Balladenpop. Vom Vorgänger bleiben natürlich Stimmungen und Wirkprinzipien, aber wer nicht mehr am Mischpult sitzt, ist der ursprünglich in Dance und Elektronik geschulte Danger Mouse.  

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Und so hören wir eine sehr andere Musik, eine, die weniger verklöppelt wirkt (die Ausnahmen sind „Nineteen Seventeen“ mit seinen synkopierten Beats und der kleine Reggae-Shanty „The Truce Of Twilight“), und stattdessen, nachzuhören in „Ribbons“, bisweilen nahtlos an der Melancholie andockt, die man von großem Blur-Balladenmaterial in Erinnerung hat. Dementsprechend wichtiger ist Albarn für diese Platte, aus dem Primus inter Pares ist ein Bandleader geworden, was auch damit zu tun haben mag, dass es nun eben Geschichten zu erzählen gibt.  

Produziert hat Tony Visconti, der das Evozieren von Stimmungen beherrscht wie nur ganz wenige; immerhin ließ er mit THE GUNMAN AND OTHER STORIES schon mal eine Prefab-Sprout-Platte komplett im Wilden Westen spielen. Er legt in dieser Platte etwas an, das schwierig zu fassen ist. Ein Nebel, ein Schmierfilm, eine Wolkenschicht, ein Kater, keine Ahnung, was genau einen da einige Male fast zum Weinen bringt.

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Fest steht indes: Es ist so dezidiert britisch wie die Applikationen, die Albarn vor bald 25 Jahren gemeinsam mit seinen Kollegen am Blur-Album PARKLIFE anbrachte; nur ist der Sound keiner der Freude mehr. Die Chöre, die wir in „Lady Boston“ hören („Where do we go now, where will you carry me“, fragt Albarn) klingen nach der Kathedrale und nicht nach dem Rummel.

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Das Jahrmarktkarussell, das man damals in Stücken wie „The Debt Collector“ und „Lot 105“ vor seinem inneren Auge sah, das damals schon unrund lief und vermutlich rostete und erst dann spaßig war, wenn man schon zwei, drei Pint Lager im Gesicht hatte, erlebt in „The Last Man To Leave“ erneut seinen Auftritt – nur ist es zum Stehen gekommen.

Es ist müde, wie die Marionette, die im Vorabvideo zum Titelsong am Ende den Kopf resigniert fallen lässt. Man sieht es kaum, weil das Licht schon ausblendet. Es ist müde wie ganz England, The Good, The Bad & The Queen liefern den Soundtrack dazu.

„Don’t follow me to the poison tree“, singt Albarn gegen Ende. Man kann das durchaus als konkreten Appell an die anderen sehen, die Nationalismus und Separatismus dieser Tage das Wort reden, als letzten Funkspruch aus dem Königreich. 

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Die fünf besten Songs: 1. Ribbons  2. The Poison Tree  3. Nineteen Seventeen  4. Drifters And Trawlers  5. Lady Boston 

Klingt wie:   Prefab Sprout: PROTEST SONGS (1989) / The High Llamas: HAWAII (1996) / Tunng: MOTHER‘S DAUGHTER & OTHER TALES (2005) 

Hier MERRIE LAND von The Good, The Bad & The Queen im Apple-Music-Stream hören:

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Hier MERRIE LAND von The Good, The Bad & The Queen im Spotify-Stream hören:

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