Richard Ashcroft über Entscheidungen
Wir werden verfolgt. Von Menschen, die uns erzählen, was "„vernünftig " wäre und wo unsere Ideen ihre schwache Stelle haben. Sagt Ashcroft, der kiffende Hüne und Freund großer musikalischer Gesten. Er hat begriffen: Du mußt es trotzdem machen, wie du denkst. Glaubst. Wie es aus dir zu dir spricht.
Als wir Richard Ashcroft erstmals begegneten, 1997 in London, da hatte er das Schlimmste bereits hinter und das Beste noch vorsieh. Mit zerrissenen Jeans, zerschlissener Lederjacke und einer riesigen Pilotenbrille über den geröteten Augen lümmelte er breitbeinig auf einem Sofa im Hauptquartier seiner damaligen Plattenfirma. Und kiffte. Wenn er gerade nicht kiffte, rollte er hustend seinen nächsten Joint, wobei er für Tabak und Filter eine Schachtel Marlboro Lights zerpflückte. Nick McCabe, Gitarrist und Ashcrofts kreativer Gegenspieler bei The Verve, hockte mit mißbilligender Miene daneben. Und Peter Salisbury, der Schlagzeuger, war auch dabei.
Gerade erst hatten sich die Streithähne wieder vertragen, die Band quasi neu gegründet und ein Album namens URBAN HVMNS aufgenommen. Ihre „Bittersweet Symphony“ entwickelte sich gerade zu einer der erfolgreichsten Singles der Neunziger Jahre (für The Verve wie für die Rolling Stones), und im entsprechenden Video rempelte einer der begehrtesten Singles der Neunziger Jahre harmlose Fußgänger vom Gehsteig: „mad“ Richard-der Mann,dessen seltsame Ausstrahlung Oasis zu dem Song „Cast No Shadow“ inspiriert hat.
Als wir Ashcroft das zweite Mal begegnen, 2002 auf seinem Landgut in der englischen Grafschaft Gloucestershire, da hatte er zuvor eine Solo-Karriere begonnen, den Drogen den Rücken gekehrt, ALONE with everybody aufgenommen, die Spiritualized-Keyboarderin Kate Radley geheiratet und ihrem gemeinsamen Sohn Sonny die Nabelschnur durch trennt – aber sonst hatte sich nichts geändert. Mit Joint, Lederjacke, Jeans und Sonnenbrille empfing er uns in seinem Studio, diesmal deutlich weniger verkatert. Auf dem Tisch: eine zerfledderte Schachtel Marlboro Light.
Der Weg zu unserer dritten Begegnung, kurz vor Weihnachten im Londoner Earl’s Court, gestaltet sich schwieriger als erwartet. Heute abend stellt Richard Ashcroft im Vorprogramm von Coldplay sein neues Album vor, KEYS TO the World heißt es, und entsprechend gewaltig ist der Andrang vor der noch gewaltigeren Halle. Als wir endlich durch ein stählernes Hintertürchen eingelassen, eine Treppe hinauf und in den weitläufigen Backstage-Bereich geleitet werden, ist nach zahllosen Sicherheitskontrollen eine Verspätung von 15 Minuten zu verzeichnen und der Künstler gerade beim Soundcheck. Ist am Ende aus „mad“ ein pünktlicher, gar gewissenhafter Richard geworden?
DieBefürchtung erweist sich als unbegründet: Als wir endlich in seine Garderobe vorgelassen werden, empfängteruns in gewohntzauseliger Verfassung, mit getönter Sonnenbrille und einem Joint in der Hand. Peter Salisbury, Drummer aus Verve-Tagen, schneit herein und bringt uns kühles Bier. Auf dem Tisch liegt… Genau, denn manche Dinge ändern sich nie. RICHARD ASHCROFT: Die Zigarretten? Ich rauche keine Filterzigaretten und schon gar keine Marlboro Light. Ich benutze die Schachtel immer als Steinbruch, sozusagen. Die Macht der Gewohnheit…
Dein neues Album klingt wieder schon warm und voll. Ist das auch die Macht der Gewohnheit?
Nein, das liegt wahrscheinlich an dem schönen alten Equipment im Studio, einem EMI-Mischpult aus den Sechziger Jahren zum Beispiel und alten Tonbandgeräten aus den Siebzigern. Solche Maschinen gibt es zwar noch anderswo, aber nirgends in einem so guten Zustand. Ich war es gewohnt, daß diese alten Krücken immer dann schlappmachen, wenn wir mitten in den Aufnahmen stecken. Gerry Conway hat sich jedenfalls gleich wohlgefühlt.
Gerry Conway – der ehemalige Drummer von Cat Stevens, Jethro Tüll, Fairport Convention… ?
Ja, er spielt auf ein paar Stücken das Schlagzeug. Bei den Songs, in denen es mir weniger um Technik ging, mehr um Soul, Gefühl, habe ich mich für Gerry entschieden.
Womit wir auch schon beim Thema waren: „Entscheidungen “ – ob überhaupt und wann wir sie warum fällen. Hast du Schwierigkeiten damit?
Nein, damit hatte ich nie Schwierigkeiten. Die Schwierigkeiten hast du doch eigentlich immer erst, wenn die Entscheidung bereits gefällt ist. Ganz egal, aus welchen moralischen oder nachvollziehbaren Gründen du etwas entschieden hast – es fällt immer auf denjenigen zurück, der den Status Quo geändert hat.
Wovon laßt du dich leiten?
Von meinem Instinkt.
Und wie äußert sich der?
Deine innere Stimme wird so laut, daß du sie nicht mehr überhören kannst. Wenn du dich dann nicht entscheidest, machen das andere für dich. Instinkt ist, wenn du sehr sorgfältig auf deine innere Stimme hörst. Das ist jedenfalls der Weg, den ich in meinem Leben eingeschlagen habe.
Wann hast du diesen Weg eingeschlagen ?
1991, da war ich arbeitslos …
Du hattest zuvor schon entschieden, die Schule abzubrechen. Ganz sicher eine folgenreiche Entscheidung…
Bestimmt, vielleicht war ich deshalb auch ohne Job. Egal. Sechs Jahre später war ich in der größten Band der Welt. Es waren harte Entscheidungen, die mich dahin gebracht haben.
In einem Business, in dem es ohne wohl nicht geht.
So ist es. Weil diese Entscheidungen meistens Leute betreffen, die dirnahe stehen, die du für deine Freunde hältst. Mich hat einmal ein Anwalt verklagt, und einen seiner Sätze habe ich mir gemerkt: „Ein Hit ist ein Schnitt.“ Wenn du erfolgreich bist, wenn Geld ins Spiel kommt, dann siehst du dich ziemlich schnell zu bizarren Entscheidungen gedrängt, die du mit leeren Taschen niemals gefällt hättest.
Wenn du Geld hast, kannst du aber auch jemanden anheuern, der die Entscheidungen für dich trifft.
Wichtig ist, wer das ist. Ich arbeite seit einiger Zeit mit einem Typen zusammen, der sich um all die rechtliche Scheiße kümmert, für die mir meine Zeit zu schade ist. Wir vertrauen uns gegenseitig. Die wirklich wichtigen Weichenstellungen muß ich aber alleine hinkriegen . Es ist aber nicht so, daß ich in blindem Egoismus durchs Leben walze. Wesentliche Schritte bespreche ich mit meiner Frau…
Wie die Frage, ob man Kinder haben mochte ?
Mit Kindern ist das so eine Sache. Mal wollen sie beide Partner, mal kommen sie von selbst, mal ist es verdammt harte Arbeit. Daß es mit dem Nachwuchs ganz einfach geht, ist ein Mythos, der oft zu großen Enttäuschungen führt.
Bist du ein Kontrollfreok?
Nein, überhaupt nicht. „Kontrollfreak“ -das klingt für mich nach einem Tyrannen, der immer jeden überall nach seiner Pfeife tanzen lassen will. Anders verhält es sich mit Entscheidungen, die dich und deine Zukunft als Person, als Person mit einer Seele, von mir aus auch als kreativer Künstler betreffen. Situationen , die du selbst herbeiführst, mußt du natürlich unter Kontrolle haben – sonst gleiten sie dir aus der Hand. Und das Bild, daß du im Kopf hattest, verblaßt. Das darfst du nicht zulassen.
Als Kunstler?
Auch das. Ich will gar nicht wissen, wie viele Entscheidungen ich getroffen habe, bevor ich mich an die ->