„Rogue One“-Kritik: So erwachsen, zynisch und kompromisslos war „Star Wars“ noch nie
Der erste „Star Wars“-Film ohne Jedi-Ritter stellt einen drastischen Genre-Wechsel dar. „Rogue One“ ist experimentell, brutal und erwachsen. Und ein unerwarteter Triumph.
(Dieser Artikel erschien zuerst im Dezember 2016, zum Kinostart von „Rogue One“).
Der Todesstern ist eine der mächtigsten Waffen der Filmwelt. Mit einem Schuss kann er einen Planeten zerstören und 1977 waren die Rebellen rund um Prinzessin Leia und Luke Skywalker ziemlich aufgeschmissen, als sie sich mit dem gigantischen Raumschiff konfrontiert sahen. Doch der Todesstern konnte zerstört, das Universum von Luke gerettet werden. Weil in der fliegenden Festung ein kleiner Wartungsschacht nicht vernünftig abgedichtet war. Eine geschickte abgefeuerte Rakete ließ die Pläne des Imperiums explodieren.
Die simple Schwachstelle des Todessterns wurde über die Jahre zum Running-Gag von „Star Wars“-Fans, galt als Beispiel für eine faule Deus-Ex-Machina-Idee zur Lösung aller Probleme. „Rogue One“ ist nun der 200 Millionen Dollar teure Versuch, diesen nicht abgedichteten Lüftungsschacht sinnvoll zu erklären.
In „Rogue One“ wird selbst für „Star Wars“-Verhältnisse besonders viel gestorben
Der Plot von „Rogue One“ ist kurz vor dem ersten Auftritt Luke Skywalkers angesiedelt und wirkt wie Fan-Fiction eines beleidigten Supernerds, der es satt hat, dass sich Leute über diesen gottverdammten Lüftungsschacht lustig machen. Regisseur Gareth Edwards zeigt die Fertigstellung des Todessterns und erklärt dessen bisher verlachte Schwachstelle zum Symbol absoluten Märtyrertums.
Ein Spoiler, der keiner ist: Das Ende von „Rogue One“ ist seit 1977 bekannt, die Mission der neuen Figuren Jyn Erso (Felicity Jones) und Cassian Andor (Diego Luna) wird erfolgreich ausgehen. Gareth Edwards und den Autoren geht es aber um den Weg zum Erfolg – und der ist verlustreich. Vor allem für „Star Wars“-Verhältnisse wird in „Rogue One“ besonders viel gestorben, verraten und eben rebelliert. Die Jedi werden in dem bisher düstersten Kapitel komplett ausgespart, der Hoffnungskitsch um „Die Macht“ wirkt bewusst zynisch in einem Weltraumabenteuer, das sich eher wie ein Kriegsfilm anfühlt. „Rogue One“ stellt einen drastischen Genre-Wechsel dar und wird dadurch zu einem der besten Filme der Reihe.
In „Star Wars“ – der Name sagt es ja – herrscht immer Krieg. Aber noch nie wurde er so greifbar dargestellt wie in „Rogue One“. Wir sehen eine von Stormtroopern besetzte Stadt, militärische Hardliner auf Seiten des Imperiums und der Rebellen. Edwards zeigt unnötiges Leid, Kollateralschaden und vor allem einen Trupp von Helden und Sympathieträgern, der für die Hoffnung in der Galaxis auch zu schmutzigen Mitteln greift. Cassian Andor meuchelt gleich in seiner ersten Szene einen Informanten, Forest Whitakers Figur schreckt im Kampf für das Gute auch nicht vor Folter zurück. Und im Finale verwandelt sich der Kriegsfilm noch einmal kurz in einen Horrorfilm: Dann wird Darth Vader in einer panischen Sequenz zum Schlächter mit roten Lichtschwert.„Nach „Rogue One“ wird man jüngeren Zuschauern erklären müssen, was die Heldengruppe eigentlich von Terroristen unterscheidet“
„Star Wars“ war in den bisher sieben Filmen mehr oder weniger ein Weltraummärchen für die ganze Familie. Wer ein Kind in „Das Erwachen der Macht“ mitnahm, musste danach höchstwahrscheinlich das passende Spielzeug kaufen. Nach „Rogue One“ wird man jüngeren Zuschauern erklären müssen, was die Heldengruppe eigentlich von Terroristen unterscheidet. Immerhin arbeiten sie mit Attentaten, Sprengstofffallen und Häuserkampf. Im Zweifelsfall wählen die neuen Helden den Märtyrertod und lösen durch eine Kamikaze-Aktion eine verlustreiche Schlacht aus.
Den Wandel hin zu düsteren Tonfall symbolisiert der Roboter K-2SO vielleicht am besten. War BB-8 in „Das Erwachen der Macht“ noch pure Niedlichkeit, ist der mechanische Szenendieb in „Rogue One“ ein Soldat mit schwarzem Humor. Funktional und abgenutzt sieht er aus, mit gleichgültiger Mechanik wirft er mit Handgranaten und erschießt Stormtrooper, wo BB-8 und R2D2 noch nach Lösungen via Slapstick-Humor gesucht haben.
Jede Figur in „Rogue One“ scheint düster und moralisch zumindest fragwürdig, was allerdings nicht bei jedem Charakter auf gleichem Niveau transportiert wird. So wirken der Pilot Bodhi Rook oder der blinde Mönch Chirrut bei Weitem nicht so ausgereift wie der karrieregeile Imperiums-General Krennic (Ben Mendelsohn), der mit einem komplett am Computer wiederbelebten Peter Cushing als Moff Tarkin um Macht buhlt.
Die meisten der neuen Charaktere funktionieren, gerade weil sie auch ein Stück weit austauschbar sind. Sie sind keine Jedi, verfügen über keine besonderen Fähigkeiten. Damit verweigert sich der Film dem Trend der Superhelden und Zauberer und Jedi, die zuletzt die Kinokassen beherrschten. Dazu verzichtet „Rogue One“ zugunsten der eigenen Dramaturgie auf allzu viele Anspielungen auf andere „Star Wars“-Filme. Klar, es gibt Easter Eggs und Kameraeinstellungen, die aus der Ursprungstrilogie stammen. Von der penetranten Kopie, die „Das Erwachen der Macht“ darstellte, ist „Rogue One“ allerdings meilenweit entfernt. R2D2 bekommt ein paar Sekunden spendiert, mit Jimmy Smits wird sogar die verhasste Prequel-Trilogie von George Lucas geehrt, ohne jemals von der Kernhandlung des kompakten und in sich völlig abgeschlossenen neuen Kapitels abzurücken.
Nur Darth Vader wirkt in „Rogue One“ fehl am Platz
Einzig Darth Vader wirkt in einer seiner wenigen Szenen wie aus der Zeit gefallen. Im Streit mit dem von Mendelsohn gespielten Krennic, der auch ohne Schwert und Magie wie das pure Böse erscheint, wirkt der Mann mit dem Plastikhelm plötzlich sehr fehl am Platz. Die Szene funktioniert am Ende trotzdem, weil man in „Star Wars“ schon immer merkwürdige Figuren und Wendungen hingenommen hat, solange am Ende eine gute Geschichte dabei herauskam.
Immerhin wird bei „Star Wars“ auch aus einem nicht abgedichteten Luftschacht ein intensiver und moralisch doppelbödiger Kriegsfilm mit alles überragenden Schauwerten. Man musste eben nur 39 Jahre darauf warten.
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