Rufus Wainwright in der Muffathalle, München
Kunstlieder, verunfallte Insekten und Lady Gaga als potentielles Menschenopfer für Eyjafjallajökull: Der wundervolle Mr. W. vereinsamt aufs Unterhaltsamste am Klavier.
Wie sehr er sich zusammengerissen haben muss, wird erst im zweiten Teil des Abends deutlich. Nach der Pause schwadroniert und gackert Rufus Wainwright zwischen den – und gern auch während der – Songs drauflos, wie entfesselt, nachdem er die erste Hälfte der Show in feierlichem Plauderverbot verbracht hat. Der Grund? Die Kunst. „Der 1. Teil des heutigen Konzertes ist als Gesamtwerk aus Musik (von Rufus Wainwright) und Bildern (von Douglas Gordon) konzipiert“, steht auf Aushangzetteln. „Aus diesem Grund bittet der Künstler im 1. Teil auf das Applaudieren (…) zu verzichten.“ Man wusste, Wainwright werde auf seiner Solotournee sein neues Album all days are nights: songs for lulu in einem Stück aufführen, im Stil eines klassischen Liederzyklus.
Das klingt schon gestelzt genug. Und wie er da nun so am Flügel sitzt, vogelhaft hereingestakst, in einer schwarzen Designer-Robe mit fünf Meter langer Schleppe, und mit heiligem Ernst die zwölf Songs vorträgt, während im Hintergrund das von Filmkünstler Gordon inszenierte Sängerauge in Supergroßaufnahme spukig blinzelt, kann einen schon das Gefühl einer gewissen Überkandidelung beschleichen – und Bewunderung für Wainwrights Mut zur Affigkeit. Ein Schlüsselmoment dieser ersten Hälfte – und vielleicht für das Verständnis von Wainwright als Künstler – kommt, als er sich in einem schäumenden Piano-Interludium in „What Would I Ever Do With A Rose“ verhaspelt, einen Fluch unterdrückte („Ffff…“ zischt es leise) und dann so tapfer wie stur ganze sechs Mal ansetzt, um die vertrackte Stelle zu meistern, wie ein ehrgeiziger Musikschüler beim Vorspiel seines Lebens. Man könnte das doof finden; tatsächlich kommt man nicht umhin, ihn zu lieben dafür. „Thank you for being so cooperative and German in the first half“, bedankt er sich zu Beginn des „informellen“ Teils, grinsend und bequemer gekleidet. Und macht dann den Entertainer. Sinniert über den isländischen Vulkan (verlangt er nach einem Menschenopfer? Ein Politiker vielleicht? Oder Lady Gaga, in einem ihrer crazy Outfits?). Ordnet Songs kompositorischen Einflüssen zu („Das war jetzt sehr wagnerianisch am Ende“, sagt er nach „Grey Garden“, „jetzt geht’s in Richtung Haydn“, der ja auch Deutscher sei, und gesteht dann nach „Nobody’s Off The Hook“, dass er beinahe den Song unterbrochen hätte, weil er sich plötzlich unsicher wurde, ob Haydn nicht doch Österreicher war). Unterbricht „Cigarettes And Chocolate Milk“ und informiert, er habe gerade ein verirrtes Insekt auf den Tasten zerdrückt („That was really gross.“) Spielt ein Lied für seine „incredible“ Schwester Martha („Little Sister“), dann „Dinner At Eight“ für den ebenfalls „incredible“ Vater, „the great Loudon Wainwright!“, zu dem sich der 36-Jährige nicht immer so rückhaltlos bekannte. Der Abend endet mit einer Hommage an die verstorbene Mutter Kate McGarrigle und einer Version ihres „Walking Song“, so herzenswarm, dass man Rufus nur gehen lässt, weil man ahnt: Der kommt wieder.
Story & Albumkritik ME 5/10
www.rufuswainwright.com