Rufus Wainwright über Kinder
Wenn Musiker alt genug sind, bekommen auch sie Kinder. Was sie dann so über ihren Nachwuchs erzählen, unterscheidet sich kaum von dem Glück anderer Eltern. Doch bei Rufus Wainwright ist das ein wenig anders. Und das liegt nicht nur daran, dass er sich seit seinem 14. Lebensjahr zu seiner Homosexualität bekennt.
Du bist im vergangenen Jahr Vater geworden. Wie oft siehst du deine Tochter Viva Katherine?
Ich habe sie seit ihrer Geburt elf Mal gesehen, jeweils für ein paar Wochen. Das ist viel, finde ich.
Du lebst offen homosexuell. Wolltest du schon immer ein Kind?
Ich habe nie davon geträumt. Mein ganzer Lebensstil hätte auch nicht dazu gepasst.
Warum hast du deine Meinung geändert?
Schwer zu sagen. 2010 war ich sehr verwirrt, mein Leben ein Chaos. Meine Mutter lag im Sterben. Sie hatte drei Jahre gegen den Krebs gekämpft, und Ende 2009/Anfang 2010 war klar, dass es zu Ende gehen würde. Ich hatte also viel Zeit, über den Abschied nachzudenken und mir über diesen Verlust klar zu werden. Da kam mir der Gedanke: Wenn ein Leben geht, sollte ein neues Leben kommen. Ich finde das sehr tröstlich. Und meine Mutter fand das auch.
Warum hast du dich nicht für ein Adoptivkind entschieden?
Darüber habe ich gar nicht weiter nachgedacht. Weil sich meine Freundin Lorca (Lorca Cohen, Tochter von Leonard Cohen – Anm. d. Red.) ein Kind von mir wünschte. Wir sind eng verbunden, kennen uns seit unserer Kindheit, also erschien es uns als eine sehr natürliche Sache, dieses Projekt gemeinsam anzugehen. Ich erzählte meiner Mutter davon und sie machte sofort einen Befehl daraus: „Ihr MÜSST dieses Kind bekommen!“
Ist Leonard Cohen ein guter Großvater?
Was glaubst du?
Er ist Leonard Cohen.
Eben. Der beste Großvater, den man sich wünschen kann!
Dein Vater Loudon ist Sänger, seine Schwester war es auch. Ebenso deine Mutter. Deine Schwester und deine Halbschwester singen. Nicht zu vergessen Leonard Cohen …
Ich weiß, worauf du anspielst. Tatsächlich steht der Kleinen ein ganz außergewöhnliches genetisches … wie soll ich sagen, Szenario zur Verfügung. Und es müsste schon einiges schiefgehen, wenn sie nicht eines Tages singen würde. Ich muss gestehen, dass ich es mir als Vater sogar wünsche. Nein: Ich rechne fest damit.
Wie viele Eltern hat die Kleine?
Drei. Lorca, ihre Mutter. Mich, ihren Vater. Und meinen Freund Jörn, ihren stellvertretenden Vater.
Worin besteht seine Aufgabe?
Er ist sehr deutsch, also sehr praktisch und ziemlich direkt. Diszipliniert. Anders als ich. Ich schätze, eines Tages wird er es sein, der sagen wird: „Okay, und jetzt wird das Zimmer aufgeräumt!“
Hat dich das Kind schon verändert?
Ich weiß das noch nicht so genau. Ich glaube, das volle Bewusstsein für die Verantwortung kommt noch. Ich habe es bei meiner Schwester Martha mitbekommen. Sie ist ein ziemlich sportlicher Typ. Eines Tages waren wir im Atlantik schwimmen. Wir rannten, wie damals als Kinder, wie wild ins Wasser. Schauen, wer weiter rausschwimmt. Wer die größeren Wellen nimmt. Doch sie war plötzlich so vorsichtig. Als ich sie fragte, warum, antwortete sie: „Ich mache das jetzt nicht mehr, verstehst du?“ Ich habe es verstanden. Man muss auf sich aufpassen.
Würde es dich reizen, ein Album mit Kinderliedern aufzunehmen?
Ich unterscheide nicht zwischen Musik für Kinder und solche für Erwachsene. Kinder tun das auch nicht. Musik ist Musik. Universell. Meine Mutter hat mich auch sehr früh klassische Musik hören lassen und in die Oper mitgenommen.
Gibt es etwas, was deine Tochter dir schon beigebracht hat?
Es gibt da dieses französische Kinderlied, „A la claire fontaine“, das mir meine Mutter immer vorgesungen hat. Als sie auf dem Sterbebett lag, bereits im Koma, war sie von ihrer Familie umgeben. Wir sangen. Als ich „A la claire fontaine“ anstimmte, schlug sie plötzlich die Augen auf, als würde diese Melodie sie an etwas erinnern, das sie noch nicht loslassen wollte. Ihr Blick war für Sekunden ganz klar, als wolle sie mitsingen. Bald darauf war sie tot. Ein paar Monate später hatte Viva Katherine eine schreckliche Nacht. Sie konnte nicht einschlafen. Bis ich ihr „A la claire fontaine“ vorsang … da schlief sie ein. Die gleiche Musik, die meine Mutter noch einmal von der Schwelle des Todes zurückgeholt hat, brachte dieses Kind dazu, sich dem Schlaf hinzugeben. Das hat sie mir beigebracht: Musik ist nicht nur eine Macht. Musik ist das Leben. Arno Frank
Rufus Wainwright wurde 1973 als Sohn des Folkmusikers Loudon Wainwright III und der kanadischen Sängerin Kate McGarrigle geboren. Mit sechs begann er mit dem Klavierspielen, mit 13 ging er mit der Familie zum ersten Mal auf Tour. Van Dyke Parks half dabei, seine Demos an den richtigen Mann zu bekommen, sodass 1998 sein erstes Studioalbum erscheinen konnte. Sechs weitere folgten bislang. Sein neues, Out Of The Game, erscheint dieser Tage.