Sarah Kuttner – Die Kolumne
Ich werde eine Band gründen. Noch morgen. So geht’s nicht weiter. Keine Sorge: Ich werde nicht Teil dieser Band sein. Es kommt nie was Gutes raus, wenn Schauspieler, Moderatoren oder Bergsteiger zwecks Zurschaustellung ihrer Zweittalente musikalisch tätig werden (da fällt mir direkt die Kai-Pflaume-Band und ihr viel zu brutales Noise-Core-Album friss Schorf, Du alte Trulla ein). Nein, die Bergsteigerei lastet mich genug aus, da besteht kein Bedarf für eine Nebentätigkeit. Mein Problem ist vielmehr, daß mir etwa seit dem Jahreswechsel keine Band mehr untergekommen ist, die mich rundum beglückt. Und da wir in Zeiten der Eigenverantwortung leben, in denen man sich Rumnörgelei nicht mehr leisten kann, sondern seine Probleme gefälligst selbst löst, werde ich einfach eine Band gründen, die künftig zu meinem persönlichen Wohlgefallen spielen wird; technisch ist ja heute fast alles möglich. Aufgefallen ist mir die Misere bei meinem letzten Plattenladenbesuch. Wohin ich mein geneigtes Ohr auch schweifen ließ: überall dieser komisch unterkühlte Früh-80er-Keyboard-Pop-Rock. Klar, momentan sind auch singende Surfer mit für die ganze Familie geeigneter Singer/Songwriter-Imitationsmusik sehr beliebt, die uns weismusizieren wollen, die Lösung sei, auf einer „Don’t worry, be happy“-Welle durchs Leben zu surfen. Typen, gegen die Travis wie eine Horde satanistischer Vaterschänder wirken. Andererseits: Vielleicht ist Jack Johnson bei näherer Beschäftigung ja deutlich herausfordernder als sein Ruf, und es liegt tatsächlich nur an meiner nicht vorhandenen Muße, daß mir seine Platte (die in meinem Auto liegt) bislangnurkurzinden Player gekommen ist. Und vielleicht bin ich auch nur zu sehr auf ein bestimmtes Musikprofil geeicht, um Klängen anderen Typs mit offenem Ohr zu begegnen. Aber: Entweder das Herz blutet, oder es blutet nicht. Und vor allem das zickige Keyboardgezirpe löst bei mir nur geringen Blutverlust aus (zugegeben, bei „Mr. Brightside“ tut sich einiges). Von ein, zwei Songs pro Platte abgesehen, gehen mir die ganzen Killers-Bravery-Vögel doch eher am Popo vorbei. Kann man die nicht zu einer Band zusammenziehen? Es bliebe einem soviel unnötiger Keyboardwulst erspart. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Noch vor zwei Jahren waren Keyboarder zu Recht nur als gelegentliche Gastmusiker in Bands geduldet und wurden backstage bestimmt geärgert. Die Fahrenkrog-Petersenianisierung of Indie Rock ist ein Mißstand, den anzuprangern nicht nur extremistischen Parteien vorbehalten bleiben sollte. Aber ich gründe ja jetzt meine eigene Band, nur für mich. Gitarren wird sie haben, sehr laute, die teilweise ihrer korrekten Stimmung noch harren. Gitarren am besten, die aus alten 80er-Retro-Keyboards zusammenrecycelt wurden. Einen Sänger wird sie haben, der in mir zwischen Beschützerinstinkt und Heiratswunsch hin und her pendelnde Gefühle auslöst. Nicht so’n eitler Geck wie der Bravery-Sänger. Und ganz wichtig: Diese Band wird zweifeln. Verunsichert sein. An und von allem und jedem. Das sind die besten Bands: die entfremdeten, vom Leben angeschossenen. Nicht jene, die breit im Zeitgeistsessel sitzen. Das wird prächtig: Jeden Abend werden sie nur zu meinem Vergnügen spielen, und der Rest soll ruhig weiter Kram wie … Moment: Ich habe soeben Madsen gegründet, hinke also mit meiner Sorge dem Trost ein wenig hinterher – eigentlich eine beruhigende Einsicht. Und ich bin quasi ein bißchen Gründungsmitglied von Madsen. Das ist aber nicht die letzte gute Nachricht dieser Kolumne: Nach Madsen steht uns demnächst das Debütalbum der Erfinder des sexy Zweifeins ins Ohr: Schweine am Freitag. Freunde, die Popmusik ist gerettet!