Schlau!


Roggen statt Rock, Lachs statt Licks — mit den Pfunden, die er mit Jethro Tull verdiente, weiß Ian Anderson gut zu wuchern. ME/Sounds besuchte den Beat-Farmer

Träume ich? Eine knirschende Kies-Auffahrt, britisch-perfekt gestutzter Rasen um ein malerisches rotes Landhaus im herbstlichen Sonnenschein — willkommen im Märchenbuch. Auch der Hausherr fügt sieht nahtlos ins Bild: eine Kreuzung aus Landadligem und Waldschrat, die obligate Pfeife im Mundwinkel ist permanent unter Dampf.

Ian Anderson, Jahrgang 1946, ist in Schottland am Stadtrand von Edinburgh großgeworden und schon damals „lieber aufs Land rausgefahren als in die Stadt“. Nachdem er zur Hoch-Zeit der Jethro Tull-Karriere vier, fünf Jahre ausschließlich in Hotels zugebracht und zwei Jahre in der Schweiz gelebt hatte, nahmen seine Frau und er 1974 eine Landkarte von England zur Hand und schlugen rund um den Londoner Flughafen Heathrow einen Kreis, der ungefähr einer Stunde Autofahrt entsprach.

Dort suchten und fanden sie ihre Farm, mitten in der Grafschaft Buckinghamshire, 45 Autominuten westlich von London. Rundum nur Wald, Felder und Wiesen ohne Wochenendhäuser und Stadtflüchtlings-Siedlungen; dafür sorgen strenge Bau-Auflagen.

„Beschreib bloß nicht, wie man uns findet“, bittet Anderson mit sorgenvoll gefurchter Stirn, als er mich ums Haus führt. “ Wir haben so schon genug Arger mit verrückten Fans.“

Wie bitte? Immer noch — und sogar hier draußen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen?

„Das sind natürlich keine Teenies mehr“, nickt Ian, „sondern Leute Ende 20, Anfang 30 —aber manche von denen sind regelrecht gefährlich. Einer war mal da, der mich für seinen Vater hielt, und einem anderen ist inzwischen gerichtlich verboten worden, sich dem Haus auf weniger als eine Meile zu nähern. Der war vorbestraft wegen Kindesmißhandlung und öffentlichen Entblößens, schlief nächtelang direkt am Haus, guckte nachts durch die Fenster und hat sich schließlich an meinen Sohn und meine Tochter rangemacht. Irgendwann kriegst du’s mit der Angst, vor allem, weil meine Frau mit den Kindern oft ganz allein hier draußen ist. „

James (11) und Gail (9) gehen in Buckinghamshire zur Schule, wachsen in einem wahren Kinderparadies auf, dürfen aber aus Sicherheitsgründen nur in Sichtweite des Hauses spielen, obwohl hier alles — „so weit du gucken kannst“ — den Andersons gehört. Sie haben im Laufe der letzten Jahre immer wieder Land dazugekauft und bewirtschaften heute 250 Hektar Wald und Wiesen (für alle, die sich mit Flächenmaßen nicht so auskennen: Das sind etwa 340 Fußballfelder).

Das Farmhaus selbst stammt aus dem späten 16. Jahrhundert („fünfzehnhundertirgendwann, so genau weiß das keiner“) und wurde über dem Brunnen eines zerstörten Nonnenklosters errichtet — die Holzbalken stammen samt und sonders von alten Segelschiffen. Ein Haus mit Geschichte; das mußte auch Andersons Freund Michael Bentine feststellen, als er mal zur Fasanenjagd aufs Land kam. Bentine, der in den 50ern mit Peter Seilers, Spike Milligan und Harry Seacombe in der berühmten Radio- und später Fernsehkomiker-Truppe „The Goons“ (eine Art Vorläufer von Monthy Python) arbeitete, beschäftigt sich heute vornehmlich mit parapsychologischen Phänomenen.

Nach der Jagd machte er sich mit der Wünschelrute auf die Suche nach dem alten Brunnen und schritt anhand der Ausschläge das gesamte Fundament des ehemaligen Klosters ab — „wenn man an sowas glaubt“, grinst der eher realistische Anderson augenzwinkernd.

Dann gibt es hier wahrscheinlich auch Gespenster. „Sicher“, bestätigt Ian, „aber nichts Übles, bloß Leute, die durch Wände gehen und sowas. Ich selbst habe nur einmal etwas beobachtet, drinnen auf dem Korridor: Da hängt ein Spiegel direkt gegenüber einer Tür, und als ich nachts zu Bett gehen wollte, sah ich deutlich die Reflektion einer Frau mit langen Haaren, die offenbar in dem Zimmer gegenüber stand. Ich dachte, meine Frau sei längst Schlafen gegangen, und als ich in den Raum schaute, um sie zu fragen, was sie da noch mache — da war das Zimmer leer.

Unser Kindermädchen hat mal eine Frau in einem langen grauen Kleid den Gang heruntergehen und dann durch die Wand verschwinden sehen — dabei hat sie gar keine Ahnung von der Geschichte des Hauses …“ Egal, wer da nachts durch die Gänge schleicht: Tagsüber dreht sich das Leben auf der Anderson-Farm um wesentlich greifbarere Dinge wie Weizen, Gerste, Erbsen, Bohnen oder Raps. Außerdem leben hier an die 100 Schafe (als wollespendende Rasenmäher auf den unbewirtschafteten Wiesen) und eine ständig wechselnde Zahl wertvoller Zucht-, Renn- und allerhand Dressurpferde.

„Die kommen und gehen“, zuckt Ian auf dem Gatter einer Koppel sitzend die Achseln. „Ich mag eh keine Pferde: Die sind blöde, kosten einen Haufen Geld, stehen bloß rum und fressen dir die Haare vom Kopf-Ganz das liebevolle Herrchen ist er dagegen für den belgischen Schäferhund Ruan und die vier Katzen Sushi, Kirin (wie das japanische Bier, für das Sting Werbung macht), Squeak („hat meine Tochter so genannt, find ich keinen guten Namen“) und Cuillin. Eine kleine schwarze Kratzbürste auf dem Arm, nennt Anderson den einzigen Erwerbszweig der Farm, bei dem ihm nicht ganz wohl ist: die Jagd. „Ich selber jage überhaupt nicht mehr, es macht mir keinen Spaß, Tiere umzubringen — aber wenn du Land hast, mußt du versuchen etwas damit zu tun. Mit dem Geld, das wir von den Jägern kassieren (immerhin 20000 Mark pro Tag für acht Jäger) können wir den Wald in Schuß halten, neue Bäume pflanzen und versuchen, die ökologische Ausgewogenheit der Landschaft zu bewahren. Ohne die Einnahmen aus der Jagd müßten wir wohl oder übel alle Hecken abholzen, um mehr Getreide anbauen zu können — so können die Hecken bleiben und mit ihnen alle Tiere, die darin leben. „

Der Gedanke, später mal eine kleine Farm zu haben, hat Ian Anderson schon immer fasziniert: „Und genau das haben wir jetzt — eine kleine Farm. Wobei mich diese Art Landwirtschaft gar nicht sonderlich interessiert; meine Frau kümmert sich vorwiegend darum, ich hab‘ eigentlich gar nichts damit zu tun. Ich persönlich interessiere mich mehr für wirklich spannende Sachen wie… (Ian macht eine Kunstpause und rollt die Augen) … Fische!“

Lachse, um genau zu sein. Die Fünf-Millionen-Mark-Farm in

Buckinghamshire ist nämlich bloß ein Klacks gegen das Andersonsche „Gut“ auf der Isle Of Skye vor der Westküste Nordschottlands: 6500 Hektar Land (umgerechnet fast 9000 Fußballfelder), 1000 Schafe, ein Riesenhaus und sieben Fischfarmen plus zwei weiterverarbeitende Betriebe mit insgesamt 130 Angestellten.

Daß sich die Aufzucht von Lachsen rentabel betreiben läßt, weiß man erst seit zehn Jahren, und der von Norwegern und Schotten entwickelte neue Industriezweig war genau das, worauf Ian Anderson gewartet hatte. „Früher konnte man in Nordschottland vom Ertrag einer kleinen Farm mit ein paar Schafen und Kühen leben — heute reicht das längst nicht mehr. Da oben müssen neue Jobs geschaffen werden, damit gerade die jungen Leute nicht samt und sonders nach Süden in die großen Städte abwandern. Große Fischfarmen schienen mir da eine vernünftige Sache, sowas gehört einfach nach Schottland.

Natürlich gibt es ein, zwei Probleme, aber die sind geringfügig, besonders wenn man die Alternativen bedenkt: Anheizen des Tourismus, Schwerindustrie oder wirklich gefährliche Sachen wie die leidige Nuklearindustrie.

Ich bin Schotte, ich weiß, daß die Pferde seien dumm, meint der Bauer Katzen und Hunde sind ihm da erheblich lieber Wirtschaft angekurbelt werden muß. aber ich will eine auf lange Sicht sichere Industrie, die innerhalb der Ökologie des Landes betrieben werden kann.

Obendrein verlangen Lachsfarmen ausgesprochen klassische, traditionelle Tätigkeiten wie auf See zu arbeiten und etwas Lebendiges auf und großzuziehen …“

Obwohl diese neue Industrie auch unbestreitbar dazu beigetragen hat, daß die schon reichlich dezimierten Bestände an Atlantik-Lachs noch nicht gänzlich abgefischt sind, wird sie nicht überall so positiv beurteilt: “ Wir haben viele Feinde“, gibt Anderson zu und stopft sich eine neue Pfeife. „Leute, die der Ansicht sind, Schottland sollte reine Wildnis sein, in der man nur herumlaufen, auf Berge steigen und zelten kann. Ich habe aber kein Interesse daran, bloß die Ruinen Westschottlands zu bewahren, damit sie die Deutschen und Amerikaner mit ihren Reisegesellschaften besichtigen können.

Schottland war schon einmal völlig verödet, Mitte des 19. Jahrhunderts, als die englischen Landbesitzer und einige schottische Clan-Chiefs im Rahmen der ,Highland Clearances‘ alle Einwohner nach Kanada, Amerika oder Australien verschifften und stattdessen Schafe ansiedelten, weil das erheblich bequemer war als die armen Bauern mit ihrem bißchen Vieh. Grausig! Soweit darf es nie wieder kommen!

Ökologie interessiert mich nur dann, wenn sie auch etwas mit den Menschen zu tun hat. Schon vor über 3500 Jahren, lange bevor es Pendler in Surrey oder Yuppies gab, lebten da oben Menschen, und das soll so bleiben.“

Jetzt ist Anderson in seinem Element. Bei einer Flasche Bier erklärt er mir am Küchentisch ausführlich, daß in der Lachszucht nur eine einzige Chemikalie verwendet werde — um die Seelaus zu killen — und die auch nur ein-, zweimal pro Sommer und in winzigen, genau überwachten Dosen. „Trotzdem hieß es in der Presse gleich, was für ein fürchterliches Mittel wir da ins Meer kippen. Dasselbe Zeug wird übrigens auch in der Landwirtschaft und gegen Hundeläuse eingesetzt, und wenn man das ißt oder sich ein Jahr lang auf die Baut reibt, kriegt man natürlich eines Tages unweigerlich Krebs.

Wir verwenden es aber bloß in einem Verhältnis von zwei Teilen zu einer Million Teilen Wasser. Außerdem hat es keinen Einfluß auf das Fischfleisch und eine Halbwertzeit von ungefähr einem Tag, ist also schon nach einer Woche so gut wie nicht mehr vorhanden. Unsere Lachse sind folglich kerngesund, gesünder als alles, was in der verschmutzten Nordsee und im Mittelmeer gefangen wird.“

Lachse seien sowieso gesund, erfahre ich weiter, weil sie mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthalten, die den bösen Cholesterinspiegel senken helfen; und gezüchtete Lachse seien noch erheblich gesünder, weil sie im Gegensatz zu frei gefangenen weder innere Krankheiten noch Würmer und andere Bazillen haben.

Trotzdem rücken Anderson und seiner Firma Strathaird immer wieder Gruppen wie „Greenpeace“ oder „Friends Of The Earth“ auf die Pelle.

„Was die machen, ist an sich okay, sie schießen bloß gern übers Ziel hinaus und veranstalten immer gleich einen Riesen-Medienrummel, anstatt erstmal anständig zu recherchieren.

Kaum starben die Seehunde, hieß es, die Nordsee sei schuld, basta. Inzwischen sterben die Seehunde aber auch bei uns in Schottland, im saubersten Wasser der nördlichen Halbkugel. Das Wasser ist also nicht direkt verantwortlich für den Tod der Seehunde, sondern offenbar ein mutiertes Virus, gegen das die Tiere keine Immunkräfte haben.

Wenn heute auch die Seehunde im kristallklaren schottischen Wasser sterben, dann heißt das, daß das Virus weiterverbreitet wird, und zwar meiner Ansicht nach gar nicht von den Seehunden selbst, sondern von ganz anderen Überträgern: Heringen, Makrelen oder sonstwelchen Fischarten.

Die ersten Ansätze der Wissenschaftler gingen in die völlig verkehrte Richtung. Gleich nachdem die ersten Seehunde in der Nordsee gestorben waren, hätte man gesunde Tiere aus Irland, Schottland oder Norwegen dorthin bringen müssen, um zu prüfen, ob ihr Immunsystem gegen das Virus auch nicht resistent ist. Dann hätte im Norden schon vor Monaten etwas unternommen werden können.

Wir Fischfarmer wissen oft besser, wie man auf Krankheiten reagiert als die ‚bloody‘ Wissenschaftler, die für Jucking‘ Greenpeace arbeiten. Was denen fehlt, ist ein Mann wie Red Adair, einer der wirklich was tut.“

Anderson wettert auch gegen die „Cowboy-Mentalität“ vieler Naturschutz-Gruppen, denen Schlagzeilen und politischer Einfluß oft wichtiger seien als die tatsächlichen Probleme. „Wenn du mich vor fünf Jahren gefragt hättest, ob man sich Naturschutz-Vereinigungen anschließen soll, halle ich gesagt: Ja, klar, natürlich‘ — heute will ich mit den meisten nichts mehr zu tun haben. Das ist ein schmutziges Geschäft geworden: Leute, die sich untereinander streiten, gegen alles und jeden kämpfen und letztlich bloß deshalb so laut schreien, weil sie gern selbst politische Macht erlangen wollen.“

Ians Redefluß ist nicht zu bremsen — nicht nur, weil es um seinen Lebenstraum geht, sondern auch, weil er diese Rolle gewöhnt ist. Als einer der ersten und größten, auf jeden Fall aber prominentesten Fischfarmer steht er „ständig in der Schußlinie“. Daß er obendrein Rockmusiker ist, macht die Sache auch nicht unbedingt leichter, im Gegenteil: „Da denken viele Leute bloß an lange Haare, Drogen und jede Menge Geld. Manchmal bin ich ganz schön fertig. Trotzdem will ich meinen kleinen Teil dazu beitragen, Schottland auf vernünftige Art bewohnbar zu halten. Da oben 130 Leute zu beschäftigen, ist mir wichtiger als eine Million Alben zu verkaufen. Platten verkaufen kann schließlich jeder Dummkopf, er braucht bloß den richtigen Krach zu machen …“

Apropos Krach: Wieviel Zeit läßt das Farmer-Leben überhaupt noch für die Musik? „Fifty-fifty“, meint Ian nach kurzem Überlegen.

„Die eine Hälfte des Jahres bin ich Farmer, die andere Musiker. Ich hab ja alles griffbereit, wenn ich hier unten bin.“

Er führt mich aus der Küche in sein kleines Studio in einem Seitentrakt des Hauses: Instrumente, Mischpult, Bandmaschinen, alles da. „Nur für Schlagzeug-Aufnahmen ist hier zu wenig Platz, das machen wir bei unserem Bassisten. Ansonsten entstehen Jethro Tull-Platten komplett in diesem Raum. Hier kann ich arbeiten, wann ich will: am liebsten so acht Uhr früh. Dann klingelt das Telefon noch nicht, weil im Musik-Biz vor halb elf keiner den Arsch hochkriegt.“

ROLF LENZ