Schund ohne Scham
Das Trash-Museum öffnet seine Pforten: Zombies, B-Movies, der billige Glitter Hollywoods — der gesammelte Kulturschrott aus dem Amerika der 60er Jahre ist hier einträchtig vereint. Begleiten wir THE CRAMPS auf einer kurzweiligen Führung durch den Schund der frühen Jahre ...
„Wir leben wie Eremiten, wir haben ein paar gute Freunde, aber raus in die Clubs gehen wir nie. Wir umgeben uns eigentlich nicht gern mit anderen Menschen.“ Höflich, sensibel und scheu gibt mir Lux Interior in einer plüschigen Bar bei dezenter, roter Tischbeleuchtung diesen Einblick ins Cramps-Imperium.
Lux Interior ist der stets in Schwarz gekleidete Sänger der Cramps — und die biedere Bar befindet sich in einem Hotel der nordenglischen Industriestadt Newcastle, das ausschließlich von wichtigtuenden Vertretern der westlichen Wirtschaft belegt wird — bis auf den Donnerstag & Freitag einer jeden Woche, wenn sich unter die Männer mit den Karl Lagerfeld-Krawatten eine illustre Gesellschaft internationaler Popstars mischt.
An diesen Tagen wird nämlich die beste TV-Musiksendung nördlich von Albanien produziert.
Gemeint ist „The Tube“ vom britischen TV-Kanal Channel Four. Und die Cramps aus Kalifornien werden hier & heute vier Songs aus ihrem rüden Rockabilly-Repertoire live präsentieren — auf einer Bühne, die ganz im Stil trashiger Glamour-Shows der 60er Jahre mit einem glitschigglitzernden Lamellenvorhang geschmückt ist: Links steht die junge Fur, mit bürgerlichem Namen Jeniffer Stokes und seit kurzem die neue Bassistin der Cramps; (sie spielte zuvor bei den Hollywood Hillibillies). Für sieht aus wie eine phantastische Eruption, die einer von Russ Meyer inszenierten Teenager-Oper entsprungen ist; rotzig kaugummikauender Mund im sanften Baby-Face, wegrasierte Haare an den Schläfen, darüber rosa-farbener Schopf, straps-behangene Beine und ein wattierter Stummelschwanz auf dem Hintern.
Rechts, weit am anderen Ende der Bühne, bewegt sich cool & majestätisch Poison lvy Rorschach. (Eigentlich heißt sie Kristy Marlena Wallace: den ersten Teil ihres Künstlernamens entnahm sie dem gleichnamigen Song der Coasters, während sie durch einen Traum zu „Rorschach“ inspiriert wurde: „Klingt doch geil, oder?!“) Auf langen Beinen spielt sie die schwirrenden, sägenden Gitarrenpassagen, die den Sound der Cramps bestimmen.
Dann, hinten vor dem Vorhang, sitzt erhaben und gelangweilt der in schwarz gekleidete Nick Knox und beklopft sehr fundamental (es gibt nie ein zuviel!) das spärliche Schlagzeug. Nick ist der lässige Zigeuner der Cramps.
Und was kommt nun. in der Mitte des zwielichtigen Rampenlichts? Sänger Lux Interior mit nacktem Oberkörper, goldener Lurexhose und spitzen, schwarzen Beat-Stiefeln. Manisch und melancholisch zugleich bewegt er sich durchs Bild — die zerrenden Körperbewegungen deuten auf frühen Elvis Presley und athletischen Iggy Pop.
„Im a human fly, I spell f-l-y, I say buzz buzz buzz, and it’s just be’cozz, Im a human fly, and I don’t know why.“
Die Cramps kamen vor genau zehn Jahren in New York zusammen. Lux Interior aus Akron/Ohio und Poison lvy Rorschach aus Sacramento/Kalifornien kannten sich schon ein paar Jahre (und sind bis heute ein romantisches Liebespaar geblieben; sie waren begeisterte Schallplatten-Sammler.) In der Metropole New York entscheiden sich Lux und lvy, zusammen mit dem Plattenverkäufer Bryan Gregory (Gitarre) und dessen Schwester Pam (Drums) die Cramps zu gründen.
Während die Ramones, Blondie und Suicide das Bild der Club-Szene bestimmen (1976), lernen die Cramps Nacht für Nacht in einem Keller den Song der 1968 als Bubblegum-Klassiker in die Geschichte einging: „Quick Joey Small“. Und nachdem sie ihn bis zur Bewußtlosigkeit eingeübt haben (und die Schlagzeugerin Pam Gregory durch Miriam Linna ersetzt wurde), gibt die Gruppe in den legendären New Yorker Clubs „GBGBV, „On The Rocks“ und „Max’s“ ihre ersten Live-Auftritte.
Gleichzeitig, das Jahr heißt immer noch 1976, debütieren die Cramps auch als Schauspieler: Im B-Movie „The Foreigner“ von Arnos Poe porträtieren sie eine wilde Gangsterbande, die sich am Filmhelden vergreift. Gegen Ende des Jahres 77 finden Lux und lvy schließlich den endgültigen und einzig wahren Cramps-Schlagzeuger Nick Knox.
In dieser Besetzung, Lux, lvy, Bryan und Nick, spielen die Cramps ihren Trash-Rockabilly voller Naivität, Originalität und Leidenschaft; es sind vor allem billige Horror-Filme, Schwarzer Humor, Surf-Musik, Garagen-Beat und Okkultismus, aus denen die Cramps ihre Inspirationen beziehen. Sie lassen sich von der amerikanischen Trash-Kultur vergangener Jahrzehnte inspirieren — ihren Rockabilly spielen sie aber, mit Vision, im Hier und Heute.
In den legendären Sun Studios von Memphis/Tennessee entsteht 198Ü das erste Album: SONGS THE LORD TOLD US, produziert vom Ex-Mitglied der Box Tops, Alex Chilton. Wenig später verläßt Bryan Gregory die Cramps unter mysteriösen Umständen: Nach einer Show setzt er sich in den Transporter und verschwindet mit der gesamten Ausrüstung.
Zunächst hieß es, Bryan wolle sich einem kalifornischen Satans-Kult anschließen (nachdem er sich schon immer gern auf Friedhöfen herumtrieb, um frische Erde zu sammeln!) Doch schließlich bekam alles eine viel prosaischere Erklärung: Bryan nannte sich nun Scar, tauchte — als Gitarrist der Gruppe The Beast – in San Francisco auf und landete schließlich als „Spießbürger“ (Lux) im sonnigen Florida.
„Ehe Bryan die Band verließ, führten wir mit ihm endlose Diskussionen, denn er hatte die fixe Idee, die Cramps so politisch wie die Sex Pistols zu machen. „
Für das zweite Album. PSYCHEDELIC JUNGLE (1981), holen sich die Cramps den Gitarristen Kid Congo Powers vom Gun Club.
„Das Problem mit Kid war, daß es keine wirkliche Verbindung zwischen uns gab. Sein Spiel war mehr das eines Bo Diddley. „
Ivy: „Letztlich spiele ich auch viel lieber nur mit Lux und Nick zusammen, was die Studioaufnahmen betrifft; denn wir drei teilen die selbe Leidenschaft!“
Lux Interior, der eigentlich Eric Lee Purkhiser heißt („Lux Interior“ entnahm er einer Reklame für einen 57er Buick), sitzt mir immer noch in der schweißigen Hotelbar gegenüber, zusammen mit seiner Freundin Poison Ivy. der Jeffrey Lee Pierce einst mit seinem Gun Club eine surrealistische Liebeserklärung widmete; „For The Love Of Ivy“ (zu finden auf dem Debüt-Album F1RE OF LOVE).
Lux & Ivy, der spirituelle Kern der Cramps (sie schreiben und komponieren die Songs), erzählen besonnen und distanziert. Beide bewohnen in Los Angeles ein Apartment, in dem sie sich ihren eigenen, phantastischen Kultur- und Lebensbereich aufgebaut haben: Relikte der amerikanischen Trash-Kultur und der 50er und 60er Jahre bestimmen die verzauberte Wohnwelt in diesem Haus: obskure Rock ’n“ Roll-Platten, Filmplakate. Comics und seltene Zombie- und Horrorfilme. Und so sitzen die Cramps zu Hause auf Möbeln der 50er Jahre, in verdunkelten Räumen, im Rücken die heiße Hollywood-Sonne, und sehen sich auf einem riesigen Bildschirm Videos wie „Orgy Of The Living Dead“, „Robot Monster“, „College Girl Confidential“ und „Suburban Confidential“ an.
Lux: „Ich liebe Videos, weil sie so vieles vor dem Verrotten bewahrt haben. In Amerika gibt es unzählige Filme, deren 35-mm-Originale vor dem entgültigen Zerfall gerettet wurden, weil man Video-Kopien davon zog. Diese Filme liefen damals, 1957 oder 1962, oft nur für drei Tage in den Kinos und verschwanden dann in der Versenkung. Dabei sind sie wirklich faszinierend: ,College Girl Confidential‘ z.B. hat zum Höhepunkt eine LSD-Party, in der man diese brav gekleideten College-Kids sieht, wie sie LSD schlucken, ihre Schuhe ausziehen und Twist tanzen.
So hat man sich damals in Hollywood eine LSD-Party vorgestellt!
Ist das nicht seltsam? Eigentlich wissen wir mehr über die ägyptischen Pyramiden als über die amerikanische Kultur der 50er und 60er Jahre!“
Lux, der im Besitz einer goldenen Paisley-Jacke ist, die einst Jerry Lee Lewis gehörte, war in jenen Jahren noch zu jung, um sie bewußt erleben zu können. “ Mein erstes Idol war Rkky Nelson, der damals oft im Fernsehen war. Klur, im Laufe der Zeit haue ich eine Menge Idole, aber die meisten haben mich enttäuscht. Sie haben meist mit einem großartigen Album begonnen und danach den Rock n‘ Roll nur benutzt. Sie haben sich ausverkauft und sind etwas anderes geworden. In diesem Business versucht doch jeder, nur an das Vorankommen zu denken, niemand denkt darüber nach, was er da eigentlich macht, und das kotzt mich an! Die einzigen, die ich in diesem Business bewundere, weil sie ihre Persönlichkeit bewahren, sind Alan Vega, Lou Reed und Ricky Erichon! Ricky lebt heute bei seiner Mutter, in Austin‘ Texas. „
Die Cramps zogen vor einigen Jahren von New York nach LA, wo in jener Zeit die Sex Pistols-Philosophie „Aufruhr machen, weil man übersättigt ist“ unter den lokalen Bands brodelte. Ein besseres Klima für den Rock ’n‘ Roll der Cramps? Lux: „New York ist nicht der richtige Ort für Rock ’n‘ Roll. New York ist ein Platz für Kultur, die meisten Leute kommen dahin, um Tänzer in einem Broadway-Stück zu werden. Am Anfang gab es eine funktionierende Club-Szene, mit all den jungen Bands, die ihren Spaß hatten — so wie wir. Aber die ist schnell gestorben.
Was den Rock ’n’Roll betrifft, so hat New York außer den Velvet Underground, Suicide und den New York Dolls nichts hervorgebracht! Die Rockmusik befindet sich heute sowieso in den falschen Händen —- der Rock ’n Roll kam ursprünglich von der unteren Klasse, er wurde von Leuten gespielt, die wußten, wie man sich amüsiert. Leider haben sich heute die Intellektuellen daran vergriffen, die ultra-hippe Künstler-Meute!“
Wie man sich amüsiert, das wissen die Cramps. Nicht nur mit Stücken wie „What’s Inside A Girl“ und „Can’t Your Pussy Do The Dog“ (von der A DATE WITH ELVIS-LP) dokumentieren sie ihr Anliegen, daß Rock ’n‘ Roll vor allem mit irdischen/menschlichen Lust-Bedürfnissen zu tun hat. Auch die Cover der letzten drei Cramps-Platten sollen bewußt machen, daß Sex & Amüsement eine entscheidende Rolle spielen: Poison Ivy, die Göttliche, ist zu sehen als Revue-Strip-Girl (auf dem Live-Album SMELL OF FEMALE), als fauchende Tigerkatze in Netzstrümpfen (auf der Maxi „Can Your Pussy Do The Dog“) und in der Pose des sexhungrigen Satanweibs mit Glamour-Girltouch (auf A DATE WITH ELVIS). Lux: „A DATE WITH ELVIS dreht sich nur um das eine: um die Frau und das Verlangen. Es geht um menschliche Genüsse, und da ich ein Junge bin, singe ich über die Mädchen -— wenn Ivy die Sängerin wäre, würde sie über die Jungen singen.
In den jüngsten Kritiken hat man uns als Frauen-Hasser und Anti-Feministen angeklagt — für mich ist diese Person, die uns Frauen -Hasser und Sexisten nennt, selbst sexistisch. Wir sind eine der wenigen Bands, in der zwei Frauen den größten Teil der Musik machen —- sie stehen nicht irgendwo im Hintergrund herum und wackeln mit ihren Tamburinen!“
Ivy: „99% der heutigen Schwarzen Musik besingt doch das gleiche Thema: Frauen und Begierde. Nur daß die Kritiker diese Musik anders beurteilen, weil man sie als nicht zivilisiert genug einschätzt. Für mich ist dieses Verhalten der Kritiker sexistisch und rassistisch!“
A DATE WITH ELVIS – den Titel für dieses Album übernahmen die Cramps von einem gleichnamigen Presley Werk aus dem Jahr 1959: Als sie das Cover sahen — Elvis winkend in einem Kabriolett — wurden Lux und Ivy inspiriert. Und so gingen die Cramps rechtzeitig zum 50. Geburtstag des toten Kings ins Studio, um ihr Elvis-Tribut aufzunehmen.
Lux: „Als wir in den Sun Studios in Memphis unsere erste Platte aufgenommen haben, also dort, wo Elvis entdeckt wurde, trafen wir auf Rooster, einen ehemaligen Chauffeur der Studios. Rooster hat uns viel über Elvis erzählt, er war bei den ganzen Sun-Sessions dabei.
Als Elvis z. B. das erste Mal in den Studios auftauchte, in purpurfarbenen Hosen und rotem Hemd, haben sich alle über ihn lustig gemacht. Da Elvis aber durch seine Mutter, die ständig Schlankheitspillen schluckte, Rezepte für Upper besaß, verteilte er die Pillen an die Studio-Musiker, mit denen er sich auf diese Weise anfreundete. So durfte er bleiben und seine Aufnahmen machen — Demobänder, die er seiner Mutter zum Geburtstag schenken wollte.
Heute herrscht unter den jungen Leuten große Respektlosigkeit gegenüber Elvis. Man sieht immer nur auf die gräßlichen Filme, die er gemacht hat, seine menschlichen Schwächen, daß er dick geworden ist — aber für mich ist da etwas anderes, was Elvis so faszinierend und fremdartig macht! Elvis steht für mich als Symbol für eine Rockabilly-Ethik, für eine bestimmte Lebensphilosophie, nach der man sich seine eigene, magische Welt aufbaut und darin leidenschaftlich lebt. Elvis hat sehr oft völlig irrational gehandelt. So ist er mitten in der Nacht aufgestanden, hat sich sein purpurfarbenes Cape übergezogen und ist ganz allein -— die Bodyguards ließ er zurück -— nach Washington gegangen, um Präsident Nixon zu treffen! Er wollte sich von Nixon ein Abzeichen holen, so etwas wie ‚Offizier der Drogenfahnder‘.
So stand Elvis tatsächlich vor Nixon, doch war er so vollgepumpt mit Drogen, daß der Schuß wohl nach hinten losging.
Lux und Ivy,die beide gesunde, weiße Haut haben, äußern sich zum Schluß zu den Themen Kalifornien -— Sonne —- Surfen. Ivy: „Wir würden gerne surfen, aber da wir weiße Haut mögen und man in LA schon nach Minuten Sonne rot wird, geht das nun mal nicht. Außerdem ist Surfen eine Lebensweise, nach der man sein ganzes Leben ausrichtet — wenn du Cramps-Mitglied bist, füllt das auch dein ganzes Leben aus. Da muß man sich entscheiden!“
Lux: „Wenn wir in LA vor die Tür gehen, nehmen wir immer einen Regenschirm mit, um uns vor der Sonne zu schützen! Auf einem Surf-Brett kannst du schlecht einen Regenschirm halten.
Seltsam, wir haben das Image, ungesund auszusehen, weil man bleiche Haut immer mit Kranksein in Verbindung bringt. Ich glaube, wir sind eine Ausnahme: Ivy und ich sind kräftige Menschen; wenn man sich im Schatten aufhältt, lebt man länger -— sieh dir die Vampire an!“