Screaming Trees – Sweet Oblivion
Zähflüssig wie Lava, mit dem rauhen Charme erdverbundener Provinz-Cowboys: das sechste Album der Screaming Trees Trotz geographischer Nähe zu Seattle von Nirvanas Erfolgs-Sog unabhängig: Zurecht kann man die Screaming Trees als Klassiker des lärmenden Grunge-Rock bezeichnen, immerhin hat das Quartett seit 1986 umfangreiche Pionierarbeit geleistet. Bereits sechs Alben und drei EPs gehen auf das Konto des Quartetts aus dem nordwestamerikanischen Provinzkaff Ellensburg. Trotz wachsender Umgänglichkeit ihrer Musik — instrumentale Härte kopuliert zunehmend mit melodischer Substanz — ist es ihnen mit „Sweet Oblivion“ gelungen, den Abrutsch in den von Indie-Fans zurecht verschmähten Heavy-Mainstream sorgfältig zu vermeiden. Allein die rauhen Gitarrensounds sprechen Bände, zu tief sind die Screaming Trees jener Psychedelic-Garagen-Tradition verbunden, die Seattle kürzlich ins Rampenlicht der Rock-Welt stieß. Die Poser-Schmiede L.A. ist immer noch weit, der Perfektionismus des Vorgängeralbums „Uncle Anesthesia“ ist erneut ruppiger Beseeltheit gewichen.
Komplimente gebühren an dieser Stelle dem Produzenten und Techniker — Teenage Fanclubs Don Fleming (Ex-Dinosaur jr.) und Nirvanas Andy Wallace sind für naturalistischen Hardrock offensichtlich die richtige Wahl. Weder überflüssige Studio-Spielereien noch nervige Effekthaschereien verwässern den unpolierten, derben Charme der Trees. Beispielhaft ist Gary Lee Conners naturbelassene, live im Studio eingespeiste Saitenarbeit für „Julie Paradise“ — pure Energie.
Ausnahmen bestätigen bestenfalls die Regel: Die erste Single-Auskopplung „Nearly Lost You“ und das mit akustischer Western-Gitarre verträumt untermalte „Dollar Bill“ orientieren sich ungewohnt nah an radiotauglichem bis hitverdächtigem „Seattle Light“. Zwar ist damit bewiesen, daß Mark Lanegans rauchiges Organ im weitesten Sinne balladentauglich, bei schweren Krachern wie „Shadow“ oder dem vage psychedelischen „For Celebrations Past“ jedoch weitaus besser aufgehoben ist. (us)
Notizen aus der Provinz
Keine Band möchte freiwillig aus Ellensburg im Staate Washington kommen. Dort, wo sich Fuchs und Hase eine gute Nacht wünschen, gärt das unauffällige Dörfchen in der Einöde des US-Nordwestens träge vor sich hin: Etwa vier Autostunden vom neuen Rockmekka Seattle entfernt, gibt es allenfalls Kühe — und eine Rockband namens Screaming Trees. Eine Band ohne provinziellen Mief, die sich im zehnten Jahr ihres Bestehens anschickt, mit der sechsten LP namens »Sweet Oblivion“ den endgültigen Durchbruch zu schaffen.
,Ellensburg wird ganz schön langweilig mit der Zeit“, gesteht denn auch Gary Lee Conner, tonangebendes Schwergewicht der Trees, ,es gibt nicht einmal einen gutsortierten Plattenloden bei uns.“ Dabei ist es gerade die Abgeschiedenheit, die den Trees half, ihren eigenen Sound zu entwickeln und heranreifen zu lassen. Fernab von Seattle’schen Rock-Trends feilte man an einem schwer psychedelisierten Rockgemisch aus erhabener Träge, schwerelosen Gitarrenstrudeln und lasziv-lethargischen Melodien. Nach jahrelangen Gastspielen bei den Kult-Indie-Labels Velvetone, SST und Sub Pop haben die Screaming Trees mit ihrem zweiten Major-Album ihr grundsätzliches Meisterwerk geschaffen. Bassist Van Conner:
.Auf dem Vorgängeralbum wollten wir möglichst perfekt klingen und vernachlässigten dabei jegliche Spontaneität. Was soll’s, aus Fehlern lernt manl“
Mark Lanegan, Sänger und passionierter Kautabakfanatiker, sieht das so:
.Während der letzten Jahre waren wir vier Einzelgänger, die dem Rest der Band lediglich das Demo eines neuen Songs in die Hand drückten. Jetzt haben wir zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder gemeinsam Stücke geschrieben, was allem Anschein nach unsere Freundschaft erneuert hat. Ich glaube, man hört es.“
Solo-Spaß aus purer Langeweile
Der Wechsel von der Indie-Company Sub Pop zum Branchen-Giganten Epic vollzog sich nicht über Nacht. Um die Langeweile der Zwangspause zu überbrücken und über die Jahre aufgestautes Songmaterial zu verarbeiten, betraten die führenden Köpfe der Screaming Trees 1990 unerschlossene Solopfade. Einzig der Schlagzeuger Martin Barrett blieb dem heimischen Drum-Kit treu.
Gitarrist und Songwriter Gary Lee Conner setzte auf Trees-nahes Abtauchen in psychedelische 60’s-Soundwelten: Seine Wah-Wah-Fantasien setzte er mit der Zweimann-Band The Purple Outside auf der LP „Mystery Lane“ um. Aus Jux verbrüderte sich Gary Lee zudem mit Das Damen-Drummer Lyle Hysen für die Band Dr. Janet. Das Ergebnis: eine einzige Single, auf der des Meisters Einfluß unüberhörbar ist. Der schwergewichtige Gitarrero kann auch auf eine außermusikalische Karriere im Show-Business zurückblicken: Unter dem furchterregenden Pseudonym Butch „The Butcher“ Butcher verdingte er sich Anfang der Achtziger Jahre als Berufs-Catcher — bis ihn eine Rückenverletzung vom Ring auf die Bühne trieb. Gary Lees nicht minder massiger Bruder und Trees-Bossist Van Conner übernimmt bei seiner Hobbyband Solomon Grundy Gitarre und Gesang. Auch hier ist die Nähe zur Mutter-Bond überdeutlich, wenngleich dos Debüt „Stone Soup“ ausgesprochen bodenständig ausgefallen ist. Van:
Jch hatte einfach keine Lust mehr irgendwelchen Neo-Hippie-Mist zu spielen und mich wie ein Mitglied der MC5 zu verkleiden.“ Mit „a little help from his friends“ rechnete Sänger Mark Lanegan für seine Solo-LP „The Winding Sheet“. Die Rechnung ging auf: Nirvana-Mastermind Kurt Cobain gab sich auf der ruhigen, sparsam instrumentierten Platte die Ehre.