Seals & Crofts


Auf die Frage, ob er, der jenseitsorientierte Mahavishnu, sich auch für irdische und unkomplizierte Popmusik begeistern könne, nannte John McLaughlin in einem Gespräch mit MUSIK EXPRESS, das bereits 1973 stattfand, zwei Namen: Seals & Crofts.

Und damit hat er nicht gerade den schlechtesten Geschmack bewiesen. Denn wenn man in eine der fünf bisher veröffentlichten LPs dieses amerikanischen Duos hereinhört, kann man in der Trommelfellgegend jenes befreiende Gefühl verspüren, das sich immer dann einstellt, wenn unverbrauchte, neue Klänge auf einen zukommen. In der folk-beeinflußten Seals & Crofts-Musik sind kunstvoll klassische und orientalische Melodien eingeflochten. Dennoch wird jeder der vielen verschiedenartigen Songs von einer lockeren Leichtigkeit getragen, bei der die komplizierten und im wahrsten Sinne des Wortes ungewöhnlichen Kompositionen nie ihre akustische Durchschaubarkeit verlieren. Nur daran kann es gelegen haben, daß „Summerbreeze“, der Titelsong des zweiten Seals & Crofts-Albums, bereits vor zwei Jahren ein Riesen-Hit in den Vereinigten Staaten wurde. „Diamond Girl“, die Nachfolge-LP, wurde drüben bereits vier Tage nach ihrem Erscheinen vergoldet. Inzwischen ist den beiden „sanften“ Superstars längst auch schon ein Platin-Exemplar davon überreicht worden.

Auf Grund dieses Erfolges wurden Seals & Crofts zwangsläufig von den Musikkritikern jenseits des atlantischen Teiches in eine Lücke auf dem amerikanischen Musikmarkt hineininterpretiert, in die die beiden Herren wegen ihrer unüberhörbaren musikalischen Eigenständigkeit eigentlich gar nicht so recht reinpassen. Man betitelte sie als die einzig legitimen Nachfolger von Simon & Garfunkel.

Dabei wäre es, wenn schon unbedingt verglichen werden muß, viel naheliegender, sich an James Taylor zu erinnern. Genau wie dessen Songs haftet auch den Kompositionen von Jimmy Seals und Dash Crofts jenes bittersüße Feeling an, das eine Atmosphäre von Bescheidenheit, Sehnsucht und Harmonie widerspiegelt. Ohnehin sind Harmonie und Einheit für die beiden außergewöhnlichen Westcoast-Musiker schon seit Jahren so etwas wie Schlüsselworte geworden. Doch um das zu erläutern, müssen wir ein paar Seiten weiter in der Seals & Crofts Biografie zurückblättern.

Jimmy und Dash lernten sich bereits Anfang der fünfziger Jahre auf der High School kennen. Unabhängig voneinander waren beide bereits in ihrer frühesten Kindheit von ihren Eltern zu Violin- beziehungsweise Klavierunterricht verdonnert worden. Dash Crofts hatte daraufhin zunächst einmal gründlich die Nase voll von allem, was mit Noten und Klaviertasten zu tun hatte. Mitternächtliche Rhythm’n’Blues-Sendungen im Radio waren es schließlich, die ihn dazu verleiteten, Schlagzeugunterricht zu nehmen. Jimmy Seals, der es mit neun Jahren bereits zum texanischen Fiddle-Champion gebracht hatte und mit Country & Western Bands durchs Land gezogen war, schulte sich währenddessen auf Tenorsaxophon um. Als dann Mitte der fünfziger Jahre auch noch der Rock’n’Roll erfunden wurde, beschlossen die beiden Pennäler, zusammen mit einigen Freunden, eine Schulband aufzumachen.

Nach der Schulabschlußprüfung zog es Jimmy und Dash nach Kalifornien. Dort schlossen sie sich einer Band an, die sich „The Champs“ nannte. 1958 leistete sich diese Formation einen Mords-Hit mit dem Titel „Tequila“, von dem insgesamt sechs Millionen (!) Platten verkauft wurden. Ganz allein diese Erfolgssingle führte die Champs auf Tourneen rund um die Welt und hielt die Gruppe sieben Jahre über Wasser. Dann war der Kuchen aber auch wirklich gegessen. Die Band verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Seals & Crofts tobten sich danach in einer Band aus, die auf den Namen „The Dawnbreakers“ hörte. Jimmy Seals spielte dort Rhythmusgitarre und Saxophon, während Dash Crofts trommelte. Die Gruppe wäre nicht weiter erwähnenswert gewesen, wenn es da nicht auch noch drei singende Damen gegeben hätte, die allesamt die Töchter des Bandmanagers waren. Ganze zwei Jahre brauchten der Leadgitarrist, der Bassist und Jimmy Seals, bevor sie die drei Hübschen geehelicht hatten. Doch auch Dash Crofts, der inzwischen ebenfalls längst verheiratet ist, brauchte damals nicht leer auszugehen. Manager Marcia Day hatte nämlich außer seinen Töchtern und seinen Geschäftskünsten noch mehr zu bieten: Baha’i. Das war und ist auch heute eine Art Superreligion, die Einheit und Harmonie zu ihren höchsten Prinzipien erhoben hat – womit wir den geistigen Anknüpfungspunkt an die musikalischen Meisterwerke von Seals & Crofts gefunden hatten.

Die „Dawnbreakers“ haben zwar langst das Zeitliche gesegnet, die geistigen Einflüsse aus jener Zeit, die Jimmy und Dash schnell zu überzeugten Baha’is machten, brachten das zustande, was inzwischen als unverkennbare Seals & Crofts-Musik viele Millionen Freunde in aller Welt gefunden hat. „Baha’i“, so versuchte Jimmy Seals es neulich in einem amerikanischen Rundfunkinterview zu erklären, „hat Dash und mir dazu verholfen, uns selbst besser zu erkennen und hat unser Bewußtsein gewissermaßen eine Stufe höher gehoben. Ohne dieses Plus an Durchblick wären wir wohl kaum in der Lage, die Musik zu machen, die wir auf den fünf Seals & Crofts LPs festgehalten haben.“ Anders als John Mc-Laughlin, der seine Konzerte stets mit einer kurzen Gebetsübung beginnt, bemühen Jimmy Seals und Dash Crofts sich darum, alles missionarische Gehabe bei ihren Auftritten so weit wie möglich zu unterlassen. Was nicht immer leicht ist, denn in den Staaten hat es sich längst herumgesprochen, daß die zwei überzeugte Baha’is sind. Deshalb kommen Jimmy und Dash dort nach ihren Konzerten häufig ohne Instrumente wieder auf die Bühne, um mit allen, die sich dafür interessieren, über Religionen und über „Baha’i“ im Besonderen zu diskutieren.

Als im vergangenen Jahr ihr Album „Unborn Child“ erschien, bekamen Seals & Crofts es ernsthaft mit der in Amerika sehr aggressiven Frauenemanzipationsbewegung zu tun. Die fand es nämlich gar nicht so witzig, daß zwei Popmusiker, die nicht gerade auf die Nase gefallen waren, über das Schicksal ungeborener Kinder sangen, während die Women’s Lib auf die Straßen ging, um für die Legalisierung der Abtreibung zu protestieren. Keine Diskussionen gab es, als vor einigen Wochen das bislang neueste Seals & Crofts Album „I’ll Play For You“ erschien. Jedenfalls in Amerika. Dort schaffte das Album höchste Hitlistennotierungen und lockte allesversprechende Kritiken aus den Schreibmaschinen der Popjournalisten. Hierzulande sind LPs wie „I’ll Play For You“ wohl nur dazu geeignet, immer dann im trauten Heim aufgelegt zu werden, wenn im Radio mal wieder Mist gesendet wird. Denn mit Seals & Crofts Klängen kann man’s stundenlang aushalten.