Sean Tyla – Boogie& Balladen
Im Sommer 1981 fragte mich jemand von seiner damaligen Plattenfirma: "Sean wer?" Im sogenannten Fachgeschäft versicherte man mir stolz: Ja, Bonnie Tyler haben wir!" Lexika führen seinen Namen erst gar nicht. Der geneigte ME-Leser dagegen weiß in ein paar Minuten mehr...
In Mönchengladbach und das wissen die Wenigsten – gab’s vor Jahren gleich zweimal zwei Schulkumpel, die wahre Größe erlangen sollten. Zum einen unser Chef vom Dienst, Jörg Gülden – zum anderen Günter Netzer, Chef im Mittelfeld.
Die beiden anderen waren eigentlich nur auf Durchreise und verloren sich später auch lange aus den Augen: Sean Tyla und Nick Löwe, beide „army brats“, wie Sean erzählt, „Besatzerblagen“. „Schwei Funn Getolfel“, diesen Satz würde er nie mehr vergessen. Und nochmal ist er sich – in Verbindung mit diesem unserem Land- ganz sicher: „Wäre ich bei Line Records geblieben, hätte ich mit „Landing Lights“ einen zweiten Hit gehabt“ Doch gemach, gemach, der Reihe nach.
Mitte 1980 war’s, als mehrere Großfirmen eine LP ablehnten, die anschließend gut kam und obendrein den Hit „Breakfast In Marin“ enthielt. Interpret: ein gewisser Sean Tyla, mit dem man eigentlich gar nicht mehr gerechnet hatte, denn es war sein inzwischen x-ter Anlauf im Rockgeschäft.
Nachdem sein dauer-uniformierter Vater wieder in die Heimat versetzt worden war, sollte Sohn Sean zunächst als Landwirtschaffs-Eleve für Zucht und dann als Polizeischüler für Ordnung sorgen. Beides ging daneben. Spaten und Schlagstock tauschte er gegen eine Gitarre. Er spielte Soul mit Geno Washington (1967) und Rock’n’Roll mit Freddie ‚Fingers‘ Lee in Northampton.
„Dann bekam ich einen Vertrag bei CBS, die meine erste LP aber nie veröffentlichten, weil alle meine Eigenkompositionen noch zu sehr nach Jimmy Webb klangen … Für United Artists habe ich dann als Allzweck-Produzent gearbeitet und gräßliche Texte auf Bestellung geschrieben“. Ein Kurzgastspiel bei der walisischen Band Help Yourself folgte.
Sean wurde zur Ente: Ducks Deluxe hieß ab 1972 seine Gruppe, die in jenen Tagen des Rock-Bombasts mit ihrem unverzierten Mix aus Stones, Beatles und Dylan die „beste Band im Lande“ waren, wie ein Kritiker posaunte. „Stimmt“, grient der Gelobte an einem Bremer Mittagstisch, „einmal im Monat, für eine Viertelstunde“.
Von einem Zyniker, vor dem man mich gewarnt hatte, keine Spur. Eher ein Ausgefuchster mit Biß, Künstler und Geschäftsmann, der dem Gestern und Vorgestern nicht nachweint. Und wie er sich auf den abendlichen Auftritt im TV-„Musikladen“ freue …!
„Sich hinstellen, Maul auf und zu, man sollte so ganze Tourneen bestreiten“, giftet der gelernte Rock-Handwerker, der mit den Ducks den damaligen Pubrock-Circuit umrundete, bis die Band schwindelig umfiel. Ohne dabei Kohle gemacht zu haben.
Wie war das, als dann der Punk am Horizont aufzog? Er und Nick Löwe waren doch die beiden alten Herren, die weitermachten fühlt man sich da schon als eine Art Mentor? „Nein, ich wollte nur musikalisch überleben und habe deshalb mit neuen Gruppen gearbeitet, einige produziert. Und irgendein Kerl hat dann geschrieben „The Godfather of Punk“. Totaler Quatsch und fast beleidigend, denn vieles – nicht alles – war damals nichts als Scheiße.“
Ende der Enten. Mit Nick Garvey, der später die Motors bastelte, spielte er kurz als „Das Luftwaffegeschäft“ (!). Die Tyla Gang wurde gegründet, trennte sich von Stiff („wegen Dave Robinson“; der Name fällt oft, wenn’s um Ärger geht) und nahm für Berserkley zwei Alben auf, die man schnellstens aus den Grabbelkisten ziehen sollte, bevor sie ganz verschwinden.
Boogie und Balladen waren von Beginn an Tylas Faible, das er auch auf seine Gang übertrug. Hatte zuvor RCA-Elvis, Elvis, über alles – die Ducks „finanziell abgewürgt“, scheiterte auch die Tyla Gang* „aus ökonomischen Gründen. Berserkley London ging pleite, die Amerikaner wollten uns nicht übernehmen. Vielleicht gar nicht so schlecht, denn was ist heute aus den Rubinoos oder Earthqyake geworden?“
Trotzdem schade, denn gerade die Live-Gigs besaßen Power satt, rissen z.B. Nick Kent vom „NME“ zu der Feststellung hin, Tyla sei „Britain’s answerto Bob Seger“ – wohlgemerkt, 1976, als besagter Herr noch voll im Saft stand.
Sean: „Ich hatte gute Kontakte zu den Musikern von Greg Kihn, der ja auch bei Berserkley gewesen war, und bin deshalb erstmal in die USA gegangen“.
Lange herrschte Funkstille, bis plötzlich die anfangs erwähnte LP, betitelt JUST POPPED OUT, vorlag. Ablehnungen rundum, nur Line Records griff zu … und hatte auf einmal den ersten Chart-Erfolg.
Das war ein „neuer Tyla“, der nun messerscharf konzipierte Ohrwürmer ablieferte. Keinen Schund, sondern Edel-Pop, selbst produziert und vorzüglich begleitet von alten Bekannten. Die Reibeisenstimme brummelte sich intensiv durch leichtgängige, halbakustische Songs, von denen „Breakfast In Marin“ den Absprung auf eine Single schaffte.
„Es gibt“, amüsiert sich Tyla, „sogar eine deutsche Version „Fruhschtuck im Baiin“, auf der so ein Hampel versucht, meine Stimme zu kopieren „. Und schon äfft er lauthals nach, bis der pikierten Frau Generaldirektor am Nebentisch die Runzeln in der Pelle zittern. Ein weiteres Album habe er in San Francisco gemacht, „aber die Bänder liegen noch dort, war nicht ganz zufrieden damit“.
Anfang 1981 hieß es dann, Tyla habe die Band English Electric formiert, eine BRD-Tour stände kurz bevor, die LP REDNECK IN BABYLON würde erscheinen. Aber nichts geschah. Angeblich. Diverse Anrufe bei der neuen Plattenfirma, wo man aber noch „Sean wer ?/“fragte, als die Scheibe sogar schon bei Karstadt zu haben war. Da wird generell über Umsatzrückgänge gejammert, und andererseits läßt man mal eben einen potentiellen Folge-Hit wie „Landing Lights“ regelrecht vergammeln.
Warum hast du denn bloß gewechselt? „Es gab absolut keinen Grund, zur RCA zu gehen, aber da gibt es das seh äne Wort „politics“, und du hast nicht die Bohne Einfluß darauf. Ich jedenfalls bin noch heute stinksauer deswegen“. Und English Electric? „Das war nur ein one-off-Name für die Übergangszeit“.
Denn ein neues Projekt war bereits in Angriff genommen: The Force, eine Band mit Tyla, Paul Simmons (Drums), Mickey Groome (Bass) und.. .Deke Leonard, ex-Boß der legendären Man, gefragter Produzent und einer der fähigsten britischen Gitarristen überhaupt.
Die Debüt-Single „Close To A Headline“ (Album folgt demnächst) deutete schon an, daß wieder härtere Zeiten ins Haus stehen, eine Wiederbelebung der Ducks etwa? „Nein, höchstens das Weiterverfolgen einer musikalischen Linie, Rock’n‘-Boogie“.
Aus der Traum also von weiteren „Landing Lights“, keine Balladen mehr? „Doch, ich fahre jetzt zweigleisig. Ich mache als Solist weiter, genauso wie Deke, und außerdem gibt’s The Force. Der Mist ist, daß ich praktisch wieder von vom anfangen muß. Der Ärger mit der alten Platten firma hat mich glatt um ein Jahr zurückgeworfen, weil ich schon eine neue Solo-LP im Kopf habe, ohne daß die vorige überhaupt in die Gänge kommen konnte“.
Bliebe zu berichten, daß der ursprüngliche Force-Drummer Terry Williams „für unglaublich viel Kies“ vom stimmlosen Meat Loaf geködert wurde (wann kauft Sinatra Joe Strummer?); daß, nachdem die EMI es schändlich verschlafen hat, Deke Leonards letzte Top-LP BEFORE YOUR VERY EYES doch noch hier erscheinen soll; daß Sean Tyla mit Erfolgsgarantie“ – gerne mal Carlene Carter produzieren würde.
Kann ein bodenständiges Unternehmen wie The Force eigentlich auf einen grünen Zweig kommen, wo doch die Elektronik aus allen erdenklichen Winkeln zirpt? „Gerade deshalb, denn auf ‚unserem Gebiet‘ herrscht totale Öde. Rockpile hätten ’s ja fast geschafft, aber sie … sie… sie sahen nicht so hübsch aus wie wir, if know what I mean…! Es gibt zumindest auf dem europäischen Festland und in den USA einen Markt. Und wenn nicht, dann eben nicht“.
Vom Geldsegen erschlagen worden war Sean Tyla ohnehin noch nie. Schon 1972 hatte er so treffend definiert: „Two fried eggs and dirty underpants that’s what rock’n’roll is all about!“