Sequencer, nein danke: Die Melvins geben sich konservativ
Sie haben Seattle verlassen, als die von ihnen initiierte Glut zu brennen begann. Sie inspirierten Kurt Cobain zum Musizieren und sie änderten die Schreibweise von Rock in Rrrrock. Ehre den Melvins. Seit über 15 Jahren setzt sich das Trio über alle Genre-Grenzen hinweg. Hardrock und Doom, Metal und Avantgarde – und als wäre das nicht genug, befassen sich die humorvollen Drei jetzt auch mit poppigen und ambienten Formen der Musik, auf ihre eigene Art. Im weitgesteckten Koordinatensystem ihrer speziellen Vorlieben Kiss (Buzz „King Buzzo“ Osbourne, Gitarre und Gesang), Porno (Dale Crover, Drums) und John Coltrane (Mark Deutrom, Bass) experimentieren die Melvins auf ihrer dritten Major-Veröffentlichung ‚Stag‘ immer mehr mit irritierenden Klangreisen. „Wir sind im Studio abgedriftet und dachten, wir wären Keith Emerson“, lacht Bassist Mark. „Aber alles ist wirklich gespielt, handgemacht.“ Für echte Handwerker wie die Melvins ist der Sampler eines der wenigen Tabu-Themen. Da zeigt sich ihr unsterblicher Traditionalismus: „‚Who’s Next‘, ZZ Tops ‚Tres Hombres‘, Queens ‚Sheer Heart Attack‘ oder Led Zeppelins ‚Physical Graffiti‘. Das ist zeitlos“, betont Mark. „Da läuft kein Sequencer, das ist nicht am Computer hergestellt, wie 99% der Rockmusik heutzutage. Wenn ich heute das Radio anmache, kann ich nichts identifizieren – ich höre Klischees, ich höre Samples, ich höre Maschinen. Wir sind ziemlich altmodisch, entweder du kannst dein Zeug spielen oder verpiß dich von der Bühne. Wenn ich Sequencer hören möchte, stelle ich mich neben eine Kasse im Kaufhaus – das hat genausoviel Soul.“ Mark Deutrom lebt seit acht Jahren in London, interessiert sich aber wenig für die dortige Clubszene. Drum ’n‘ Bass oder TripHop geben ihm a&khts. Er sucht nach etwas, wie er es bei Hendrix oder Coltrane gefunden hat: Ausdruck und Kontrolle. Wissen um das eigene Tun steckt bei den Melvins in jedem Akkord, in jedem Break. Musikalisch können sie, wie die neue Platte wieder eindrucksvoll beweist, alles tun. Und cool sind sie sowieso. „Wir hängen nicht von der Pop-Kultur ab, wir transzendieren sie eher, weil wir einen Scheiß drauf geben“, sagt Mark. „Das ist Punkrock. Ich glaube, wir sind vielmehr Punk als alle Punk-Bands.“ Lacht, lehnt sich zurück und zieht an seiner extra dicken Zigarre.