Serie Jugendkriminalität


Diese Serie basiert auf Interviews mit jugendlichen Straftätern. Namen, Ort und Zeit wurden von der Redaktion bewußt geändert, um die Anonymität zu erhalten.

„Ich raube ne Bank aus!“ Detlev tritt auf die Bremse und schaut zuerst Markus, seinen Bruder, dann seinen Freund Theo an. Theo war 17 Jahre alt und mußte pünktlich zu Hause sein. Jetzt saßen die drei vor seiner Haustür in Detlevs Wagen und fantasierten. Detlevs spontaner Einfall war keineswegs als Schnapsidee aufgefaßt worden, die beiden anderen waren sofort Feuer und Flamme. Vergessen waren Theos strenge Eltern. Detlev trat aufs Gas und fuhr solange durch Hannovers Umgebung, bis sie „ihre“ Kleinstadtfiliale gefunden hatten.

Detlev, heute 22 Jahre alt, hat die Hälfte seiner Haftstrafe verbüßt. Beim zweiten Banküberfall wurden er und seine Komplizen erkannt und wenig später geschnappt. Die Strafe für den damals noch Minderjährigen war hoch: sechs Jahre Freiheitsentzug. Er macht einen recht besonnenen und ernsthaften Eindruck, wenn man mit ihm spricht. Im Gegensatz zu vielen anderen jugendlichen Häftlingen hat er weder Artikulationsschwierigkeiten noch verliert er sich im Laufe der Unterhaltung in verlegenes Grinsen noch in Aufschneiderei. Ei erzählt so ausführlich und ausdauernd, daß die vorhandene Zeit kaum ausreicht.

Wie er so plötzlich auf die Idee mit dem Bankraub kam, kann er nur so erklären: „Ich war damals total aus dem Gleichgewicht geraten! Meine Freundin wollte sich plötzlich nicht mehr mit mir verloben. Das hat mich furchtbar getroffen, denn wir waren täglich zusammen. Außerdem hatte ich zu dem Zeitpunkt keine Arbeit, die mich hätte ablenken können.“ Detlev hing damals zwischen Langeweile und seiner Verzweiflung total durch.

Probleme mit der Regelmäßigkeit

Seinen letzten Job in der zentralen Poststelle einer großen Firma hatte er wie etliche Hilfsposten zuvor nach kurzer Zeit wieder aufgeben müssen – wegen Unpünktlichkeit. „Ich konnte mich nie irgendwelcher Regelmäßigkeit unterwerfen“, erklärt er. „Das fing schon in der Schule an. Meine Mutter konnte da gar nichts ausrichten, auch wenn sie mich morgens selbst hinbrachte. Aber das ging auch nicht immer, denn sie mußte arbeiten. Sie hatte sich von meinem Vater scheiden lassen, weil der ständig besoffen war. Zu Hause war ewig Terror, deshalb habe ich auch ein Jahr lang bei meinen Großeltern gewohnt.“

Aber trotz des ständigen Schuleschwänzens hat Detlev die Hauptschule ohne Sitzenbleiben mit Ach und Krach geschafft – sein Bruder besuchte die Sonderschule. Ein gefundenes Ventil für seinen Hang zur Selbständigkeit war ein Altwarenhändler. So oft er konnte, verbrachte Detlev seine freie Zeit bei dem alten Mann, dort fühlte er sich wohl. Um mit ihm umherzuziehen, versäumte er unzählige Schulstunden.

Nach der Schulzeit fing Detlev interessenlos eine Lehre als Mechaniker an, nach drei Monaten kam er zu einem Elektriker, und als letzter Versuch, den seine Mutter noch durchsetzen konnte, bot sich eine Ausbildung als Maler an. Aber Detlev hielt nicht durch. Er zog fortan Hilfsjobs vor. Immerhin sparte er während dieser Zeit die beachtliche Summe von 4000,- DM. Der Drang zum aufwendigen Leben war bei ihm bis dahin nie vorhanden gewesen. Auch wenn er mit seiner Freundin zusammen war, gingen die beiden äußerst bescheiden aus.

Ein netter Abend und seine Folgen

An dem Abend, an dem Detlev den Einfall mit dem Bankraub hatte, war er zum ersten Mal mit mehreren Leuten zusammen in einer Kneipe gewesen, während er sonst nur mit seiner Freundin allein unterwegs war. Sein Bruder hatte ihn zu einer Verabredung mit Theo in seine Stammpinte mitgenommen. Detlev fühlte sich hier äußerst wohl. Er trank zwar keinen Alkohol, war aber begeistert von den Kontakten und Gesprächen mit neuen Leuten. Fast absurd, daß nach einem solchen Abend die Idee eines Raubüberfalls durch seinen Kopf geisterte.

Ausgerüstet mit Nylonstrümpfen seiner Mutter, einer Spielzeugpistole und einer ungeladenen Gaspistole fuhren die drei morgens um 9 Uhr im gestohlenen Auto zur Bank, die drei Tage zuvor oberflächlich von innen begutachtet worden war. Markus wartete draußen im Wagen, während Detlev und Theo in voller Montur drinnen plötzlich vor verschlossener Tür standen. Gerade hier wollten sie nämlich von hinten in den Kassenraum eindringen. Theo fluchte, Detlev wollte den Rückzug antreten, da hörten sie Schritte. Sie rissen sich die Strümpfe herunter, die „Waffen“ waren sowieso noch in den Mänteln verborgen. Verlegen grinsten sie die Kundin an, die gerade an ihnen vorbeiging und die Bank verließ. Kurz entschlossen gingen sie jetzt maskiert in den Schalterraum. Detlev umfaßte den einzigen Kinden, einen älteren Mann, von hinten, drückte ihm seine Spielzeugpistole an den Hals und gab seine Anweisungen: „Geld raus, kein Alarm!“ Mit 35 000 Mark konnten sie fliehen, der Überfall hatte geklappt. Angestellte und Kunde waren erfolgreich übertölpelt worden. Theo ging nach dem Überfall wie gewohnt zur Berufsschule – wenn auch eine Stunde zu spät.

Jetzt wird angeschafft

Das Geld versteckten sie bei Detlev und Markus zu Hause im Keller. Die drei hatten abgemacht, daß jeder 200 Mark in der Woche bekommen sollte. Als erstes mußte jetzt ein schwerer Sportwagen angeschafft werden, gebraucht – aber immerhin! Detlev mietete sich eine Wohnung und bestellte Möbel. Als die Rechnung fällig war, wollte er sich das nötige Geld aus dem Keller holen – aber da war nichts mehr. Theo war vor ihm dagewesen. Jeder Streit, jede Drohung war vergeblich: Der gab nichts mehr zurück.

„Jetzt stand ich da“, erzählt Detlev, „hatte keinen Pfennig Geld mehr, keinen Job und mußte die Möbel bezahlen. Mit dem Geld war ich doch total durchgedreht und hatte einer viel älteren Frau auch noch einen Heiratsantrag gemacht.“

Mit Bombenattrappe zum zweiten Raub

Die Sache mit der Frau war schnell vergessen, aber das Geld machte ihm Sorgen. Also plante er einen zweiten Banküberfall. Die Unsicherheit nach dem ersten Raub war schnell überwunden, er hatte darum keine Probleme, einen zweiten vorzubereiten. Der sollte nach ähnlichem Muster über die Bühne gehen, nur mit einem Unterschied: Die mitgeführten Waffen, drei Gas- und eine Luftpistole, waren geladen.

Dazu bastelte er mit seinen beiden Partnern – er hatte schnell zwei neue Kompagnons gefunden aus einem Wecker eine Bombenattrappe. Vor dem Coup setzten sich die drei in ein nahegelegenes Cafe, von dem aus sie „ihre“ Bank gut im Auge hatten. Es war kein Problem gewesen, dieses neue Projekt zu finden. Den Eingang im Auge, trank Detlev zum ersten Mal in seinem Leben Alkohol – drei Whisky, um seine Nervosität loszuwerden. Als sie wenig später zu zweit im Vorraum der Bank standen, wollte er umkehren, doch sein Partner (ein Freund von Theo) stieß ihn voran. Sie zwangen Kunden und Personal, sich lang auf den Boden zu legen. Der Kassierer konnte nur ein paar tausend Mark herausgeben. Detlev zwang ihn, den Tresor zu öffnen. Diesmal entkamen sie mit mehr als 200 000 Mark.

Auf dem Weg in den Urlaub gefaßt

Zwei Banküberfälle in fünf Wochen kosten Nerven. Jetzt war erst einmal Urlaub angesagt. Was die drei dazu trieb, ausgerechnet auf der Fahrt in den Urlaub noch einmal in dem Cafe Station zu machen – Detlev hatte keine Ahnung. Offenbar hatten sie sich doch nicht ganz unauffällig bewegt. Der Besitzer des Cafes informierte die Polizei…

Detlev wurde zu insgesamt sechs Jahren verurteilt. Davon gelten sechs Monate für den ersten Banküberfall. Seine beiden Partner mußten sich mit fünf Jahren abfinden. Sein Bruder Markus und Theo kamen noch einmal mit einem blauen Auge davon: 18 Monate mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren.

Detlev ist übrigens seit kurzer Zeit verheiratet. Er bekam Urlaub, um mit seiner Freundin zum Standesamt zu gehen.

Dies ist die vierte Folge unserer Serie zum Thema Jugendkriminalität. Wie beurteilt Ihr die Chancen straffällig gewordener Jugendlicher vor dem geschilderten Background (Persönlichkeit, Familie, Ausbildung etc.)? Welche Maßnahmen wären für eine wirksame Wiedereingliederung notwendig, was meint Ihr? Vor allem: Wo wird ein „Fall“ hoffnungslos? Schreibt uns einmal, wie Ihr diese Problematik seht.