Sex Pistols: Auch das noch – die Sex Pistols rüsten zum großen Comeback!
Am 23. Juni wollen die Väter des Punk im Londoner Finsbury Park zum ersten Mal seit 18 Jahren wieder auf die Bühne klettern. ME/Sounds stocherte in der Gerüchteküche und sagt, was Sache ist.
Konfusion auf allen Kanälen: Zunächst verkündet er englische ‚Melody Maker‘ in fetten Lettern, daß die Sex Pistols am 23. Juni beim Open Air-Feltival im Londoner Finsbury Park ihr Comeback feiern werden. Zudem wird ein Gig beim Phoenix Festival in Stratford für den 21. Juli angekündigt. Tage später dann der Rückzieher: Der Konzertveranstalter Mean Fiddler will davon nichts mehr wissen und behauptet: „Alles erst im Diskussionsstadium!“ Gleichzeitig verlautet aus dem Umfeld der Agentur Goldsmith’s, daß man die Pistols dort ganz regulär buchen könne. Allerdings ist da auch von den horrenden Forderungen der Band zu hören – phantastische 250.000 Pfund für eine Show! Goldsmith selbst spielt den Ahnungslosen: „Wir haben nichts damit zu tun!“ Die Herren Lydon, Matlock, Cook und Jones indes befinden sich auf Tauchstation und dürften sich im Übungskeller ob des mächtigen Medienrummels ins Fäustchen lachen. Für Ende März hat Virgin UK eine Pressekonferenz anberaumt, in der das Verwirrspiel wohl sein Ende in Form bestätigter Termine finden wird – Fazit: ‚The Great Rock’n‘ Roll Swindle, Part 2′ läuft bestens an.
So weit, so gut. Die Versuchung für alternde Helden, die morschen Knochen noch einmal auf die Bühne zu schleppen, ist zur Zeit so groß wie noch nie. Man könnte also zur Tagesordnung übergehen, sich über die Biovital-Punks lustig machen und sie kurzerhand zu rollenden Altersheimen erklären. Das jedoch wäre zu simpel, denn die Reunion der ehemaligen Rock-Brandstifter wirft mehr Fragen auf, als nur die nach dem Alter.
Denn angesichts dieser wohl in erster Linie als gewaltige Inkasso-Aktion gedachten Wiedervereinigung muß sich jedem, der es mit Punk irgendwann einmal ernst meinte, der Magen umdrehen. Die Sex Pistols ’96 würden der Idee von Punk ’76 völlig widersprechen. Mit dem Absingen ihrer Gassenhauer machen sich Rotten & Co. zu genau den Fossilen, gegen die sie einst lauthals protestierten.
Es war ein selbstbemaltes T-Shirt mit dem Slogan ‚I hate Pink Floyd‚, durch das Malcolm McLaren 1975 auf einen blassen Jungen namens John Lydon aufmerksam wurde. McLaren fand dieses T-Shirt so cool, daß er den Nobody fragte, ob er in einer Band spielen wolle. So gesehen haben wir Pink Floyd die Geburt des Punk zu verdanken – Ironie der Geschichte. Wofür und wogegen stand dieses T-Shirt? Die Wut der Punks gegen Rock-Dinosaurier wie Genesis, Yes und Pink Floyd war nicht nur ein Haß gegen die Hippies, sondern vor allem ein Haß auf den Mythos, den diese Bands durch ihre immer bombastischeren Shows aus sich selbst gemacht hatten. Punk war das wütende, aus dem Augenblick geborene, neue Ding von der Straße, das gegen die Selbstgefälligkeit und die Verklärung der etablierten Rockmusik rebellierte.
Inzwischen ist Punk längst selbst Teil der Rockgeschichte geworden: Fans archivieren und verehren die Relikte ihrer Punk-Stars ähnlich ehrfürchtig wie 14jährige Teenies die Bravo-Poster von Take That; kaum mehr eine Live-Aufnahme der Sex Pistols, die es nicht schon auf CD gäbe, notfalls als superteuren Japan-Import (zwei Videos mit Livemitschnitten plus ein Livealbum aus alten Zeiten erscheinen in diesen Tagen). Noch in seiner 1994 erschienenen Autobiographie wehrte sich Johnny Rotten dagegen, ins Pop-Museum gesperrt zu werden und verriet, daß er seine alten Punk-Klamotten längst an Wohlfahrtsverbände verschenkt hat. Indes: Wer mit 40 seine Autobiographie abliefert, hat sich wohl damit abgefunden, in der Vitrine zu enden. Was allerdings weniger peinlich ist, als die Vitrine nun plötzlich wieder verlassen zu wollen.
Ein Pistols-Revival verspricht Kohle satt: Der Fall Green Day hat mustergültig bewiesen, daß man heutzutage mit Punkrock ohne weiteres die Popularität erlangen kann, die einst nur den größten Haßobjekten des Punk vergönnt war. Und ‚Sell Out‘-Vorwürfe dürften Lydon am Arsch vorbeigehen das war schon 1976 so, als die Band gerade ihren Vertrag mit der Major-Company EMI abgeschlossen hatte und die Szene dazu Zeter und Mordeo schrie. Nein, das Ganze ist und bleibt eine Frage des Stils – so etwas tut man als anständiger Punk nun mal nicht!
Aufstieg und Fall der Sex Pistols waren kurz und heftig. Ganze zwei Jahre dauerte die Karriere der Band. Als Sid Vicious 1979 starb, existierte die Gruppe längst nicht mehr. Denn Rotten und seine aus heutiger Sicht
mit ihren Rasierklingen und zerrissenen Hosen geradezu niedlich anmutenden Kumpane hatten ihre Pflicht und Schuldigkeit 1978 erledigt: Der Punk hatte die Popwelt in ihren Grundfesten erschüttert, und der schlichte, radikale Pistols-Stil wäre bei weiterer Wiederholung zur reinen Farce verkommen. So dankten die Sex Pistols 1978 zu einem Zeitpunkt ab, als das Skandalgeschrei noch in allen Ohren klang. „Rock’n’Roll is dead“, verkündete Malcolm McLaren nach dem letzten Gig der Pistols am 15. Januar 1978 im Winterland in San Francisco. Der schlitzohrige Pistols-Manager hielt sich seitdem an dieses Statement: In den 80ern brachte er ein paar amüsante Pop-Platten heraus, auf denen er Wave und Walzer verschmolz. In den 90ern mutierte er zum Pop-Philosophen. Zur Zeit befindet er sich in Australien auf Vortragsreise zum Thema ‚Das Leben von gestern und morgen‘. Zur Pistols-Reunion zuckt er die Schultern und verkündet: „Ich hab‘ mit dem ganzen Mist schon lange nichts mehr zu tun und sage lieber gar nichts mehr dazu.“
Lydon brach kurz nach dem Pistols-Split zu neuen Ufern auf und gründete P.I.L. – eine Band, deren avantgardistischer Wave sich spätestens mit ‚Metal Box‘ (1979) so sehr vom gängigen Punk-Klischee entfernte, daß es den alten Pistols-Fans endgültig zu schräg wurde. Um P.I.L, die Lydon als seine endgültige musikalische Heimat ansah, ist es in den letzten zwei Jahren grabesstill geworden. Stand Lydon womöglich schon im heimischen Keller, um heimlich den alten Rotten einzustudieren?
Punk ist heute zum bloßen Pop-Stil für die Massen geworden. Und Lydon sollte ganz genau wissen, daß er mit einer Pistols-Reunion den ursprünglich rebellischen Punk-Geist der Mode und damit der Lächerlichkeit preisgibt. Pete Townshend fand seinerzeit an den Sex Pistols mitreißend, „daß das wirklich passiert“. Der Schock und die Begeisterung dieses historischen Umsturzes sind nicht wiederholbar die Geschichte hat keinen Rückwärtsgang. Als Gegner der Sex Pistols-Reunion gerat man leicht in den Verdacht, den nostalgischen Rebellen raushängen zu wollen, ganz so, wie es jene heute 50jährigen Staatsanwälte tun, wenn sie nach dem fünften Bier mit feuchtem Blick erzählen, wie sie sich ’68 in den Strahl der Wasserwerfer geworfen haben. Mußten nicht auch sie miterleben, wie ihre Helden (z.B. Pink Floyd) zu glatten Pop-Produkten verkamen?
1976 wollte Punk radikal mit der Rockgeschichte brechen und alles Etablierte zum Teufel jagen. Bis heute zieht er seine Glaubwürdigkeit daraus, daß dieser Bruch in einer kurzen, heftigen Phase tatsächlich vollzogen wurde. Die Pistols brachten zur richtigen Zeit den richtigen Stein ins Rollen, ohne von ihm hinterher begraben zu werden. Die Inschrift auf diesem Stein, der noch immer rollt, heißt: rücksichtsloser Gegenwartsbezug und ein Faustschlag gegen jegliche Nostalgie! Die Pistols müssen in der Vitrine bleiben – no future! Der Slogan gilt auch für Johnny Rotten. Oder lautet die Message dieser Reunion am Ende gar: Leckt uns am Arsch, und nehmt den ganzen Punk-Scheiß bloß nicht ernst?